Mit der Böhringer Ortszeit bringt Künstlerin Victoria Graf seit fünf Jahren etliche Maler, Bildhauer, Fotografen und Musiker nach Radolfzell. Die viertägige Kulturveranstaltung in den leerstehenden, abrissreifen Gebäuden in der Ortsmitte sorgte bei Besuchern im September regelmäßig für Begeisterung. Doch in den vergangenen Wochen fragten sich viele, ob die Ortszeit überhaupt noch einmal stattfindet. Nun ist klar: Nein, wird sie nicht.
Für das Aus der so beliebten Kulturveranstaltung nennt Victoria Graf einige Gründe – und spricht von einem heiklen Thema. Eine Ursache sei die zunehmende Baufälligkeit der Gebäude, welche die Organisation schwierig mache. So sei vergangenes Jahr sogar eine Scheune mit Wasser voll gelaufen.
Finanzierung war eines der Probleme
Schlimmer sei allerdings die ungewisse Finanzierung der Ortszeit. „Wir hatten immer Bedenken, dass das Geld nicht reicht“ berichtet Graf. Die Stadt, die neben der Messmer-Stiftung auch einen Teil der Finanzierung aus dem Budget des Kulturbüros für die Kulturnacht übernahm, habe nun klar gemacht, dass das Limit erreicht sei. Hinzu gekommen sei die Nachricht, dass das Budget für die Kulturnacht in diesem Jahr nach Markelfingen gehe. „Ich finde es aber gut, dass auch mal ein anderer Ortsteil profitiert und bin dankbar für die bisherige Unterstützung“, stellt Graf klar.
Der dritte Grund sei der zunehmende Aufwand für die Vorbereitung. „Wir haben im vergangenen Jahr gemerkt, dass wir an die Grenze unserer Kräfte und Kapazitäten kommen. Daher haben wir schon gedacht: Es war eine tolle Ortszeit, mit tollen, engagierten Künstlern, aber unter diesen Bedingungen können und wollen wir sie nicht noch einmal machen“, erklärt Graf. Die Vorbereitung der letzten Ortszeit habe schließlich ein Dreivierteljahr gedauert.
Gescheiterter Förderantrag und fehlender Veranstalter
Doch für den endgültigen K.O. sorgten letztlich zwei andere Nachrichten: Zum einen die Ankündigung der Ortsverwaltung Böhringen, künftig nicht mehr Veranstalter der Ortszeit sein zu wollen – und damit dafür zu haften. Zum anderen sei ein Förderantrag bei „Freiräume“, einem Förderprojekt des Landes Baden-Württemberg speziell für Kultur in leerstehenden Gebäuden, abgelehnt worden.

„Wir haben leider erst sehr spät im letzten Jahr von dieser bereits langjährigen Förderung erfahren und den Antrag deshalb kurzfristig einreichen müssen“, erklärt Graf. Trotz Hilfe von Kulturamtsleiter Erik Hörenberg sei er wohl nicht ausreichend gewesen und daher abgelehnt worden. „Davon hatten wir letztlich die Fortsetzung der Ortszeit abhängig gemacht. Als im Januar die Absage kam, war klar: Das war‘s“, sagt Graf.
Kulturbüro bedauert Aus der Ortszeit
Heike Endemann, Leiterin des Kulturbüros der Stadt Radolfzell, bedauert das Aus für die Ortszeit auf SÜDKURIER-Nachfrage: „Die Ortszeit in Böhringen war mehrere Jahre lang einer der Höhepunkte der Kulturnacht, in den Frau Graf mit ihrem Team und die Ortsverwaltung Böhringen viel Energie und Zeit investiert haben. Der Fachbereich Kultur bedauert sehr, dass die Ortszeit nicht mehr stattfindet.“
Allerdings komme die ursprünglich für die Ortszeit eingeplante finanzielle Unterstützung der Stadt nun der Kulturnacht in Markelfingen zugute. Denn, so Endemann, für die kommenden Jahre sei vorgesehen, „dass in jedem Jahr neben der Kernstadt einer der Ortsteile während der Kulturnacht hervorgehoben wird“.
Diese neuen Projekte plant Victoria Graf
Mit der Verkündung des Endes wollte Graf warten, bis sie ihren bisherigen Besuchern Alternativen bieten kann, erklärt sie. Und davon gibt es nun einige. Zwar werde es in Böhringen selbst laut Graf keinen Ersatz geben. Sie selbst arbeite aber an zwei größeren Projekten.
Zum einen wird Graf mit dem Kubus, ihrem mobilen Raum für Kunst, am 16. September auf der Gems-Wiese in Singen bei der Museumsnacht Hegau-Schaffhausen zu sehen sein. Er soll dafür zu einer Projektionsfläche und für eine Lasershow umfunktioniert werden. Außerdem laufen erste Gespräche mit der Stadt Singen, ob man den Kubus im kommenden Jahr vervielfältigen könnte, was bislang am Aufwand und fehlenden Geld gescheitert sei.
Gute Zusammenarbeit mit Singen
Die bisherige Zusammenarbeit mit Singen sei unkompliziert und gut. „Meine Kontakte zur Stadt Singen, in der ich aufs Gymnasium gegangen bin, werden somit wieder neu geknüpft und ich freue mich sehr, mit offenen Armen empfangen worden zu sein. Wir fühlen uns sehr wohl“, sagt Graf.
Zum anderen plane sie ebenfalls eine erste Kooperation mit dem Schloss Blumenfeld in Tengen für den Tag des offenen Denkmals am Sonntag, 10. September. „Wir sind in engem Kontakt. Künftig könnte daraus noch mehr entstehen“, kündigt Graf an.
Und in Radolfzell ist sie bei den Radolfzeller Künstlern in der Villa Bosch ab Freitag, 1. September, mit einigen Werken dabei und hat neue Beiträge für das Wunderfitz mit Kunst, Musik und Cocktails geplant. Bei der Kulturnacht dagegen will Graf sich in geringem Maß beteiligen.
So wirkt die Ortszeit in Böhringen nach
Doch trotz aller neuen Ideen, das Aus der Ortszeit hat Victoria Graf laut eigener Aussage hart getroffen. „Die Ortszeit war mein Baby, das ich fünf Jahre lang aufgezogen habe. Nach dem abgelehnten Förderantrag war ich schon sehr enttäuscht, ich spüre eine gewisse Traurigkeit.“ Doch sie empfinde auch Stolz auf die fünf Jahre und Dankbarkeit für die große Unterstützung durch die beteiligten Künstler, die ehrenamtlichen Helfer, die Messmer-Stiftung sowie Stadt- und Ortsverwaltung.
Ihre Hoffnung ist, dass die Ortszeit Spuren hinterlassen hat – zum Beispiel, weil die leerstehenden Gebäude dadurch mehr in Fokus gerückt seien und ein Teil nun unter Denkmalschutz stehe und erhalten bleiben soll. „Ich denke, daran hat die Ortszeit ihren Anteil“, sagt sie.
Und für Radolfzell wünscht Graf sich Mut. „Ich hoffe, dass die Stadt auch künftig so mutig bleibt, noch einmal solchen Projekten wie der Ortszeit eine Chance zu geben. Damit es nicht das letzte Mal ist, dass eine solche Kulturveranstaltung hier stattgefunden hat.“