Mit dem morgendlichen Wecker startete im Hegau nach den Pfingstferien wieder der reguläre Schulbetrieb. Doch nicht für Jeden war normaler Unterricht angesagt. Für die Zehntklässler des Hegau-Gymnasiums in Singen diente der Wecker dem nicht Verpassen des ersten Tages ihres einwöchigen Praktikums.

„Bei Bogy, das steht für Berufsorientierung am Gymnasium, geht es um die Selbstständigkeit der Schüler, die eine Woche Berufsalltag erleben“, so Petra Bürchner. Als Lehrerin am Hegau-Gymnasium ist sie gemeinsam mit Anette Tenbrock hauptverantwortlich für die Organisation des Praktikums an der Schule.

Die anstrengende Arbeit der Erzieherin

In den vergangenen Jahren werden die großen Personallücken bei den Kitas immer deutlicher. Ein Grund mehr für junge Menschen, sich dieses Berufsbild anzuschauen. Alicia Samuel war sich bereits vor ihrem Praktikum dem ausgesetzten Stress bewusst, berichtet allerdings von einem schönen Erlebnis. „Meine Schwester arbeitet selber als Erzieherin“, sagt sie. Dadurch sei sie auf die Idee für ihr Praktikum gekommen. Was ihre Schwester erzähle, sei interessant gewesen und es sei für Alicia direkt klar geworden, wie sie ihre erste Berufserfahrung sammeln wolle.

Alicia Samuel während ihres einwöchigen Praktikums bei der Kita St. Peter und Paul in Singen.
Alicia Samuel während ihres einwöchigen Praktikums bei der Kita St. Peter und Paul in Singen. | Bild: Colin Joel Schmid

Die Kinderbetreuung sei eine sehr unterschiedliche Erfahrung. Sie habe ihr Praktikum in Singen bei Kita St. Peter und Paul Kita absolviert, sagt Alicia. Den Kindern etwas beizubringen, könne eine schwierige Aufgabe sein, da sich nicht jedes Kind gleich benehmen würde. Daher sei es bei Manchen einfach, aber „bei Manchen geht es ins eine Ohr rein und aus dem anderen wieder heraus“. Es brauche also eine Menge Geduld, doch diese sei es wert.

Mit den Kindern zu spielen sei zwar anstrengend, dennoch mochte Alicia die Arbeit mit Kindern und würde die Erfahrung jederzeit wiederholen. Trotzdem bemängelte sie auch einige Aspekte des Berufes. Denn nach dem, was sie in der Kita erlebt habe, komme es des Öfteren zu finanziellen Engpässen bei der Kita. „Das Budget ist zu niedrig“, sagt sie. So berichtet Alicia davon, dass Erzieher Spielzeug selbst mitbrächten, weil es zu wenig in der Kita gebe und die Kinder sich mehr Abwechslung wünschten. „Sie wollen einfach nicht jeden Tag mit dem selben Auto spielen“, sagt die Schülerin.

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Ihr Plan A wäre es zwar den Berufsweg der Flugbegleiterin einzuschlagen, trotzdem habe Alicia der Job der Erzieherin gut gefallen und sie wolle sich diese Option definitiv als Plan B beibehalten. „Mir hat es sehr viel Spaß gemacht. Es war eine Erfahrung, die mich weitergebracht hat“, sagt Alicia nach dem Praktikum. Es habe sich aus ihrer Sicht mehr als gelohnt und sei eine willkommene Abwechslung zum regulären Schulunterricht gewesen.

Die vielseitigen Aufgaben des Bibliothekars

Bibliotheken wirken auf den ersten Blick wohl meist eher ruhig, unspektakulär oder sogar langweilig. Mit ähnlichen Erwartungen ist auch Florian Rozée in die Bogy-Woche gestartet. Trotzdem entschied er sich für ein Praktikum bei der Stadtbibliothek Engen. Er begründet dies mit seinem Interesse für Bücher und Lesen. Umso überraschter war der 16-Jährige über die enorme Vielfalt, die der Job eigentlich bietet. Er sei davon ausgegangen, nur Bücher einzuräumen, habe sich aber kundennah auch mit anstehenden Veranstaltungen auseinandersetzen dürfen, berichtet Florian. Zudem habe sich das im Umbau befindende Gebäude mit seiner Hilfe laut den Mitarbeitern strukturell verbessert. Gelangweilt habe Florian sich nicht. Im Gegenteil: Die Zeit sei für ihn zu schnell vergangen. Er habe den Beruf als angenehm und genieße die Ruhe der Bücherei empfunden.

Florian Rozée während seinem einwöchigen Praktikums in der Stadtbücherei Engen.
Florian Rozée während seinem einwöchigen Praktikums in der Stadtbücherei Engen. | Bild: Colin Joel Schmid

Seine neuen Einblicke in die interne Struktur von Bibliotheken habe ihm weitergeholfen, vor allem da er zuvor unsicher über seinen späteren Beruf gewesen sei. Florian beschreibt die Zeit im Gespräch mit dem SÜDKURIER als schöne Erfahrung und würde den Beruf des Bibliothekars zumindest als Ausweichalternative, falls er nichts Besseres finden sollte, in Betracht ziehen.

Er bewertet die Woche positiv: „Du bist dieselbe Zeit in der Schule, wie jetzt beim Praktikum, aber es macht mehr Spaß.“ Sollte er irgendwann wieder ein Praktikum anstehen, würde es ihn reizen, bei einer größeren Bibliothek vorbeizuschauen. Doch das Wichtigste sei für ihn, dass er sich selbstständig seinen Praktikumsplatz aussuchen dürfe. Das mache die Bogy-Woche für ihn deutlich interessanter. Dennoch fragt sich Florian, „ob es sein kann, dass seine Meinung dadurch beeinflusst ist, dass er mit sehr niedrigen Erwartungen gekommen ist“. Die Gewonnene Erfahrung sei es wert gewesen. Er könne das Bogy Jedem empfehlen und wünsche sich, dass Schülerinnen und Schüler offen an das Praktikum herangehen.

Raus aus dem Hegau

Doch nicht jeder verbleibt bei den heimischen Unternehmen. Manche Schüler zieht es auch raus aus dem Hegau. Maja Senger hat sich für ihr Praktikum etwas Besonderes ausgedacht: Latinistik an der Universität Konstanz. Für sie schwankte die Entscheidung zwischen ihren beiden Interessen: Musik und Latein. Sie entschied sich für Letzteres und wurde somit die erste Schülerpraktikantin der Latinistik in Konstanz, wie Professoren ihr gegenüber äußerten. Sie beschrieb ihre Erfahrungen als besser als sie ursprünglich erwartete und meine es sei „alles andere als langweilig“. Innerhalb dieser Woche habe sie vor allem mehr über das Studieren an einer Universität herausfinden und habe auch wie die Studenten bei Vorlesungen dabei sein können.

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Maja habe zudem vieles über die Struktur einer Universität gelernt, konnte sich Beratungsstellen anschauen und sich in den Pausen gemeinsam mit Studenten unterhalten, um noch mehr über den Alltag dort lernen zu können. Insbesondere die Freundlichkeit hob sie dabei hervor. Alle seien wie eine kleine Familie und seien für einen Scherz immer zu haben.

Paris, die Stadt der Mode

Manch anderen Schüler ziehe es sogar noch weiter hinaus, eventuell sogar in ein völlig anderes Land: Paris, die Stadt der Liebe, der Kultur und der Mode. Der letzte Punkt sei wohl das ausschlaggebende gewesen, als Lussin Sandrone sich für ihren Praktikumsplatz entschieden habe. Da sie in Frankreich aufwuchs und Französisch als Muttersprache beherrsche, kombinierte sie dies mit ihrem großen Interesse für Kostümdesign. „Als ich gehört habe, dass wir die Möglichkeit haben, auch im Ausland ein Praktikum zu machen, wollte ich natürlich zurück in meine Heimat“ so Lussin.

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Den richtigen Schnitt zu finden und das Nähen der Kostüme habe ihr viel Spaß gemacht und sie empfehle das Praktikum weiter. Es sei so wie sie es sich vorgestellt hatte, und habe ihren Berufswunsch weiter gefestigt. Allerdings solle man sich Zeit nehmen, vor allem, wenn es dafür nach Paris geht: „Ich mache zwei Wochen Praktikum, weil eine Woche lohnt sich nicht und ich weiß dadurch jetzt viel besser, wie der Beruf geht“.

Der Erfolg der Bogy-Woche

Lehrerin Petra Bürchner bewerte ihre bisherigen Erfahrungen als Organisatorin des Bogys positiv und freue sich vor allem über die Reaktionen der Unternehmen, die ihrer Erfahrung nach freundlich und offen gegenüber den Schülern sind. Dies sei ihres Erachtens nach nicht selbstverständlich. „Ich bedanke mich bei den Betrieben, dass sie Praktika anbieten“.

Des Weiteren betone Bürchner den Mehrwert, den diese Woche bieten könne: Durch dieses Praktikum erlebe man hautnah den Berufsalltag und könne besser einschätzen, wie das Arbeitsleben wirklich sein werde. Statt dem eingeschränkten Blick von außen haben die Schülerinnen und Schüler einen umfangreichen Blick von innen. Dabei lernen sie die vielen verschiedenen Facetten eines Unternehmens besser kennen.

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Die befragten Schülerinnen und Schüler schließen sich dem an: Abgesehen von kleinen Kritikpunkten, verliefe alles so – oder besser – wie sie es sich vorgestellt hatten. Die Schüler hätten nun eine bessere Vorstellung wie das Berufsleben später aussehen könne und sind sich einig, dass solche Praktika eine wichtige Bereicherung für den Gewöhnlichen Schulunterricht darstellen.