Schrecksekunde am Nellenburg-Gymnasium! Erst vor wenigen Wochen machte ein Wildschwein die Gegend um das Schulhaus unsicher und flüchtete schließlich quer über den Schulhof in Richtung Osterholz. Dass sich immer mehr Wildtiere auch in direkter Nähe zum Menschen wohlfühlen, ist keine Seltenheit mehr. Fast täglich muss Stockachs Stadtjäger Kurt Kirchmann ausrücken, weil Menschen unschöne Begegnungen mit Wildtieren machen.
„Deutschlandweit nehmen wir den Tieren durchschnittlich jeden Tag rund 70 Hektar an Fläche weg. Da ist es an sich nicht verwunderlich, dass sie sich einen neuen Lebensraum suchen müssen“, sagt Kirchmann. Bis Ende des vergangenen Jahres war er der einzige zugelassene Stadtjäger im Landkreis Konstanz. Inzwischen gibt es vier. Auch daran zeigt sich, das Thema wird drängender.
Einige Tierarten kommen schon häufig vor
„Wir arbeiten schon länger an dem Thema. An der Landesgartenschau in Singen im Jahr 2000 waren wir schon mit einem Stand vertreten und haben eine Broschüre zum Marder herausgegeben“, erinnert sich Kirchmann. Inzwischen habe die Artenvielfalt innerhalb von Siedlungsgebieten aber nochmals deutlich zugenommen. Fuchs, Dachs und Marder kommen schon recht häufig vor. Inzwischen machen sich sogar Rehe in den Vorgärten breit. „Die haben eine besondere Vorliebe für Rosenknospen und andere Ziergewächse“, berichtet Kirchmann.
Erst vor wenigen Monaten habe er gemeinsam mit der Tierrettung ein Reh aus einer Tiefgarage befreien müssen. Sechs Helfer waren hierbei im Einsatz. „In Stockach kommen die Rehe mittlerweile bis zum Berufsschulzentrum“, so Kirchmann.
Auch der Biber verirrt sich bisweilen in Siedlungsgebiete. „In gewissen Stadtteilen hatten wir hier in der Region sogar schon Waschbären auf Überwachungskameras“, sagt Kirchmann. Es sei bislang ein großes Glück, dass gerade diese Tiere noch selten sind. „Die Population kann aber schnell explodieren und dann können sie zum Problem werden“, sagt Kirchmann.
Waschbären können ganze Dachböden verwüsten
Immer wieder sei es schon vorgekommen, dass Waschbären ganze Dachböden verwüstet hätten, beispielsweise, weil sie auf der Suche nach Fressbarem waren. „Die gehen an der glatten Dachrinne hoch und können sogar Dachziegel anheben, um in ein Haus zu kommen“, sagt Kirchmann. Während Marder zumindest ein Loch in der Größe ihres Kopfs bräuchten, durch das sie in Häuser eindringen können, werden Waschbären also teilweise ganz aktiv zu kleinen pelzigen Einbrechern. „Schlimmstenfalls können die Tiere in einem Kamin steckenbleiben und die Heizung lahmlegen“, sagt Kirchmann.
Grundsätzlich gehe von den meisten Wildtieren übrigens keine direkte Gefahr für den Menschen aus. „Auch wenn die Tiere so zutraulich werden, dass sie sich in Wohngebiete wagen, ist meistens doch immer noch eine gewisse Scheu vor dem Menschen da“, erklärt Kirchmann. Problematisch werde es allerdings zum Beispiel, wenn die Tiere krank sind.
Tollwut ist keine realistische Gefahr
„Viele denken dabei immer gleich an Tollwut, wenn sie ein Wildtier in der Stadt sehen. Aber Tollwut kommt in Deutschland eigentlich gar nicht mehr vor“, erklärt der Stadtjäger. Das bestätigt auch der deutsche Tierschutzbund auf seiner Internetseite. Problematischer seien Krankheiten wie Räude und Staupe, mit denen sich auch Haustiere anstecken können. Im Fall der Räude können sich Haustierbesitzer auf fünfstellige Tierarztkosten einstellen, im Fall der Staupe können Tiere, die nicht vollständig geimpft sind, sogar sterben, erklärt Kirchmann.
Doch auch Menschen können sich mit der Räude infizieren, dieses Krankheitsbild ist als Krätze bekannt. „Auch hier sehen wir steigende Fallzahlen“, sagt Kirchmann. Mit dem Fuchsbandwurm, der neben Hunden und Katzen ebenfalls den Menschen befallen kann, gebe es eine weitere Krankheit, die Wildtiere in Siedlungsgebiete hineintragen können.
Oder sogar in die Häuser, denn es könne durchaus vorkommen, dass ein krankes Wildtier mal im Wohnzimmer steht, wenn die Terrassentür offen ist. All das habe Kirchmann bereits erlebt. Angriffe von Wildtieren auf Menschen seien hingegen sehr selten. Gefährlich könne es höchstens werden, wenn ein Wildschwein mit seinen Jungtieren unterwegs sei.
Was tun, wenn der Fuchs zu Besuch kommt?
Was also tun, wenn man ein Wildtier in seinem Garten entdeckt? „Wenn das Tier gesund aussieht und niemanden stört, braucht man erstmal gar nichts zu unternehmen“, sagt Kirchmann. Andernfalls könne man das Tier bei der Stadt oder dem Wildtierbeauftragten melden. Letztere Stelle gebe es seit diesem Jahr beim Landratsamt. Für Kirchmann ist das eine positive Entwicklung. Wenn es allerdings Probleme mit einem Wildtier ist, dann kommt der Stadtjäger zum Einsatz. In vielen Fällen können Tiere mithilfe von Fallen gefangen und wieder ausgesetzt werden.
Die Stadtjäger selbst wollen sich für die Zukunft besser aufstellen. Vor Kurzem erst hätten sie ihren eigenen Verband gegründet, derzeit bereite man Verträge mit Städten und Gemeinden vor.
Auch mit Versicherungen sei man im Gespräch, schließlich bringe die Tätigkeit auch Risiken mit sich. Schon allein, was den streng reglementierten Gebrauch der Schusswaffe angeht. Denn es ist nicht immer damit getan, ein Tier einzufangen und im Wald wieder auszusetzen. Wenn ein krankes Tier gefunden wird, dem kein Tierarzt mehr helfen kann, dann kommt die Waffe zum Einsatz. Hierfür gibt es für die Stadtjäger sogar ein spezielles Schießtraining.
Prävention soll helfen
Viel wichtiger ist aus Kirchmanns Sicht aber die Prävention. „Es wäre zum Beispiel schon gut, wenn man uns Stadtjäger bei der Planung von neuen Baugebieten mit einbezieht“, erklärt er. Es gebe auch ganz einfache Verhaltensregeln zur Prävention, die jeder bei sich umsetzen kann. So sollte man Futterquellen beseitigen, sprich kein Katzenfutter draußen stehen lassen und keine Essensreste auf dem Komposthaufen entsorgen. Wildtiere sollten niemals gefüttert werden, da sie sonst ihre Scheu ablegen. Das schreibt auch der deutsche Tierschutzbund auf seiner Internetseite.
Dort heißt es zudem zum Schutz vor ungebetenen Gästen aus der Natur, man solle den Weg für Waschbär, Marder und Co. zum Hausdach verhindern. „Schneiden Sie etwa alle Bäume zurück, die nah ans Haus heranragen und somit den Zutritt zum Dach erleichtern. Sperren Sie Zugänge durch Metallgitter ab oder versperren Sie Katzenklappen nachts“, schreibt der Tierschutzbund.