Das hat es beim politischen Aschermittwoch der FDP lange nicht mehr gegeben: Im Nebenzimmer des „Hirschen“ musste nachgestuhlt werden, damit die knapp über 50 Besucher auch alle einen Sitzplatz fanden. Wenige Monate vor den Kommunalwahlen und der Europawahl am 26. Mai scheint das Interesse der liberalen Parteigänger an Informationen ihrer Führungskräfte besonders groß zu sein. Unter den Anwesenden waren viele bekannte FDP-Gesichter aus dem Städteviereck auszumachen.

Mit dem Bundestagsabgeordneten Marcel Klinge, der Stuttgarter Landtagsabgeordneten Gabriele Reich-Gutjahr und der FDP-Kreisvorsitzenden Andrea Kanold bat der Blumberger FDP-Gemeinderat Werner Waimer als Gastgeber drei Redner ans Mikrofon, die sich mit wenigen Ausnahmen markiger Aschermittwochs-Wortspiele und der üblichen Pointenhuberei enthielten. Waimer selbst haute aber einen Spruch raus, als er über die gute Zusammenarbeit mit der SPD in der gemeinsamen Gemeinderatsfraktion berichtete. „Eher heiratet der Papst, als dass aus einem Liberalen ein Sozialdemokrat wird.“ Er kündigte eine starke eigenständige FDP-Liste mit einer guten Altersdurchmischung an. Man habe auch Frauen dazu bewegen können, sich der FDP anzuschließen. An einen Frauenanteil von 40 Prozent wie auf der Trossinger FDP-Liste kommt die Blumberger FDP aber nicht ran. Diese Information stammte vom Grandseigneur der südbadischen FDP, dem langjährigen Wirtschaftsminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Ernst Pfister. Der forderte seine Parteifreunde im Hinblick auf die kommenden Urnengänge auf: „Jetzt raus aus dem Narrenhäs und rein in den blau-gelben Kampfanzug.“
FDP mit Kramp-Karrenbauer solidarisch
Thema von Waimer war auch die Rede von Annegret Kamp-Karrenbauer bei deren Auftritt vor dem Stockacher Narrengericht, in dem sie den Gender-Wahnsinn veräppelte und weswegen von vielen Seiten auf sie eingedroschen wurde. Waimer kann das nicht nachvollziehen: "Bei der Kritik an Kramp-Karrenbauer rollen sich mir die Zehennägel nach hinten." Tosender Applaus.
Klinge: "Wer einen alten Diesel hat, wurde enteignet."
Marcel Klinge gestand ein, dass die FDP nach ihrem Wiedereinzug in den deutschen Bundestag ein wenig Zeit gebraucht habe, um in die Gänge zu kommen und bat dafür um Verständnis: "60 von 80 Abgeordneten waren Neulinge." Doch mittlerweile sei das FDP-Schiff auf Kurs. Klinge wandte sich gegen die bedingungslose Grundrente für alle. Diese sei zu teuer, unfair und nicht zielgerichtet. Heils Grundrente, so Klinge, verletze sowohl das Leistungs- als auch das Gleichheitsprinzip. Außerdem gehöre der Solidaritätszuschlag endlich abgeschafft. Bei 60 Milliarden Euro Staatsüberschuss sei es an der Zeit, den Bürgern wieder etwas zurückzugeben. Außerdem machte er sich für eine Reform der Unternehmenssteuer stark ("Die Betriebe brachen Luft zum Atmen"), forderte mehr Anstrengungen bei der Digitalisierung ("Wir brauchen 5G an jeder Milchkanne.") und mahnte mehr Sachlichkeit beim Umgang mit Diesel-Autos an ("Wer einen alten Diesel hat, wurde enteignet.").
Von Wohnungsnot und Eidechsen in Stuttgart
Die Stuttgarterin Gabriele Reich-Gutjahr arbeitete sich vor allem an dem baden-würtembergischen Verkehrsminister Winfried Hermann ab. Der treibe nicht den Straßenbau voran, so wie das in ihren Augen dessen zentrale Aufgabe sein sollte, sondern profiliere sich vor allem als Autovernichter. Hermann sei nach Kretschmann der zweitmächtigste Mann in Stuttgart. In der Landeshauptstadt machten die Grünen, was sie wollen und die CDU, was die Grünen wollen. Sollte Kretschmann eine dritte Amtsperiode anstreben, dann gingen die Grünen bei der nächsten Landtagswahl wieder als Sieger hervor, so ihre Einschätzung. Reich-Gutjahr thematisierte auch den Wohnungsmangel, nach einer Untersuchung fehle es in Baden-Württemberg an 520 000 Wohneinheiten. "Wenn sie in Stuttgart eine Wohnung bekommen möchten, dann verwandeln sie sich am besten in eine Eidechse", so die Empfehlung der Stuttgarterin. Hintergrund: In Stuttgart leben mindestens 140 000 streng geschützte Mauereidechsen. Die Tiere müssen bei Bauprojekten umgesiedelt werden.
Die FDP-Kreisvorsitzende Andrea Kanold griff die Wohnungsnot ebenfalls auf und schlug vor, das Mietrecht zu ändern. Sie selbst kenne ganz viele Menschen, die eine Wohnung leer stehen lassen aus Angst davor, einen missliebigen Mieter nicht wieder loszuwerden.
Vom Meldeschein-Unfug oder wenn Aufwand und Ertrag so gar nicht zusammenpassen
Seit ihrer Gründung hat sich die FDP auf die Fahnen geschrieben, Selbstständige, Gewerbetreibende, Einzelhändler, Hoteliers und familiengeführte mittelständische Unternehmen vor allzuviel staatlichen Auflagen zu schützen. Das Stichwort hierzu lautet Entbürokratisierung. Kein Wahlkampf, in dem die Liberalen nicht mit diesem Ziel antreten. Marcel Klinge hat beim politischen Aschermittwoch über einen Fall von Bürokratisierung berichtet, der einem die Lachtränen in die Augen treiben könnte, wenn der Hintergrund nicht so ernst wäre.
Danach sind die Chefs von Beherbergungsbetrieben dazu verpflichtet, jeden Gast einen Meldeschein ausfüllen zu lassen, auch wenn das Zimmer bereits online gebucht wurde – so wie das heute üblich ist. Außerdem müssen sie den Meldeschein eine Jahr aufbewahren und diesen innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Aufbewahrungspflicht vernichten. Und dann sind die Meldescheine laut Gesetz noch so aufzubewahren, dass keine unbefugte Person sie einsehen kann. Begründet wird das mit der inneren Sicherheit. Sprich: Der Gesetzgeber hofft, mit den Meldescheinen die Jagd auf Kriminelle zu vereinfachen. Laut Klinge sind in den vergangenen zehn Jahren 1,5 Milliarden Meldescheine in Deutschland angefallen.
Klinge und drei Bundestagskollegen haben eine kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, in der sie sich unter anderem danach erkundigten, in wie vielen Fällen die Einsicht in Meldescheine zu einem Fahndungserfolg führte und ob dafür die händische Unterschrift des Gastes beitrug. Die Anwort erstaunt ebenso wie sie wütend macht: "Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor." Außerdem hat die Liberalen interessiert, in wie vielen Fällen Fingerabdrücke von Meldesscheinen genommen wurden. Einmal, so die Antwort der Regierung. Hat das zu einem Fahndungserfolg geführt? "Dazu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor."
Klinge und seine Parteifreunde haben jetzt einen Vorstoß gestartet, diesen Meldeschein-Unfug zu stoppen. Denn: "Ich will, dass ein Wirt hinter dem Tresen steht oder in der Küche und sich nicht um Zettelwirtschaft kümmern muss."
Holger Niederberger