Michaela Meyer sitzt in ihrer Küche in der Neue-Wolterdinger-Straße. Der Hund bellt, am Tisch sitzen die Oma sowie die Geschwister Kilian und Marie, eine Haushaltshilfe ist in der Küche zugange. Bei Meyers ist eigentlich immer was los. Es ist turbulent, bunt, vielleicht auch manchmal etwas chaotisch. Aber das gehört dazu, sagt Mutter Michaela Meyer: „Das ist das Leben.“ Und es ist auch jenes Element, welches ihr in dunklen Zeit die nötige Kraft schenkte. Und ihr half zu überleben.

Schlimme Nachricht

Im November 2019 hatte die 48-Jährige die erschreckende Diagnose erhalten: Leukämie. Sie muss ins Krankenhaus, bekommt Chemotherapie – und braucht dringend eine Stammzellenspende. Diese entscheidet über Leben und Tod.

Michaela Maier im Dezember 2019. Damals muss sie schwer krank Weihnachten im Krankenhaus verbringen.
Michaela Maier im Dezember 2019. Damals muss sie schwer krank Weihnachten im Krankenhaus verbringen. | Bild: Jakober, Stephanie

Aktive Familie

Meyers sind in der Stadt bekannt. Die Mutter von sechs Kindern hat zwar mit dem Haushalt und ihrer Arbeit als Pflegedienstleitung einiges um die Ohren, aber wenn Hilfe gebraucht wird, dann packt sie mit an. Die Kinder sind in vielen Vereinen in Donaueschingen aktiv, Stadtkapelle, Turnverein und auch beim Roten Kreuz. Jetzt will man ihr helfen.

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Die Typisierung

So wird schließlich eine große Typisierungsaktion im Januar 2020 ins Leben gerufen. Das Ziel: einen passenden Stammzellspender für Michaela Meyer zu finden. Alle, die mithelfen wollen, sollen damals am Dienstag, 7. Januar, zum Roten Kreuz in die Dürrheimer Straße kommen. Und sie kommen. Den ganzen Tag strömen die Leute zum Gebäude. 800 Menschen sind es schließlich, die sich typisieren lassen. Ein passender Spender ist jedoch nicht dabei.

Die große Hilfsaktion für Michaela Meyer im Januar 2020: 800 Menschen lassen sich in Donaueschingen beim Roten Kreuz typisieren, um für ...
Die große Hilfsaktion für Michaela Meyer im Januar 2020: 800 Menschen lassen sich in Donaueschingen beim Roten Kreuz typisieren, um für die Mutter von sechs Kindern einen passenden Stammzellenspender zu finden. | Bild: Simon, Guy

Stammzellenspende

Meyers Bruder hat wohl keine hundertprozentige Übereinstimmung, aber er wird als Spender in Betracht gezogen: „Er bekam vier Tage vorher eine Spritze, damit mehr Stammzellen vorhanden sind“, erklärt Meyer. Schließlich geht es für zwei Tage nach Freiburg, wo er an eine Art Dialysegerät angeschlossen wird: „Die Maschine hat die Stammzellen aus dem Blut geholt.“ Zwei Tage später bekommt Michaela Meyer das aufbereitete Material. Das war am 5. Februar 2020, „meinem zweiten Geburtstag.“

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Kraft sammeln

Dann beginnt es wieder bergauf zu gehen. Mittlerweile geht es Meyer besser, auch wenn sie noch mit den Nebenwirkungen der Chemotherapie zu kämpfen hat. Jetzt muss sie wieder auf die Beine kommen und Kraft sammeln, sprichwörtlich: „Ich lag fast ein halbes Jahr im Bett und hatte überall Schläuche. Ich musste das Laufen und Treppe steigen erst wieder lernen.“ Auch wenn es ihr nicht immer gut ging, sie zwang sich dazu, jeden Tag rauszugehen. 16 Monate hat sie schließlich im Krankenhaus verbracht.

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Noch mit Hilfe

„Der Therapeut hat gesagt: Ich darf erst nach Hause, wenn ich wieder Treppen steigen kann“, erklärt sie. Dafür muss sie sich jetzt zwar immer noch am Geländer festhalten, aber sie hat bis zu diesem Punkt schon ein weites Stück zurückgelegt. Anfangs kam sie generell nur im Rollstuhl voran, dann am Rollator – jetzt wieder selbstständig auf den eigenen Beinen. „Lange stehen kann ich allerdings noch nicht. Und ich habe gute und schlechte Tage.“

„Ohne meine Kinder hätte ich es nicht geschafft.“
Michaela Mayer

Wichtigster Faktor für sie dabei: die Familie. „Ohne meine Kinder hätte ich es nicht geschafft“, sagt sie. So gibt es den Punkt, als ihre Schwester in der Corona-Pandemie eine Sondergenehmigung beim Krankenhaus einholt, um mit den zwei kleinsten Kindern die Mutter besuchen zu können. Was damals droht: Es könnte der letzte Besuch sein. Dieses Bewusstsein löst in der Mutter jedoch etwas aus, das sie antreibt: „Ich dachte, jetzt musst du kämpfen.“

Gemeinsam feiern

Auch wenn sie immer noch mit den Tränen kämpfen muss, wenn sie daran denkt, was ihre Kinder in der Zeit mitmachen mussten – sie hat es geschafft. Sie war auf der Hochzeit ihrer ältesten Tochter Sophie und konnte wieder mit der Familie Weihnachten feiern. Solche Momente schätzt sie jetzt noch mehr: „Alle waren da, wir haben gegessen und gesprochen. Ich habe jetzt einen anderen Blick aufs Leben.“

Überwältigt von der Hilfsbereitschaft

Von der Hilfsbereitschaft, die sie in Form der Typisierungsaktion erfahren hat, ist sie noch heute überwältigt: „Man hat mir gesagt, da sind ganze Schulklassen gekommen.“ Dass dort so ein Andrang herrschte und so viele Menschen kamen, „das hat uns alle überrascht.“

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Ständchen zu Weihnachten

Die Vereine haben darüber hinaus auch noch geholfen. An Weihnachten steht eine Abordnung der Stadtkapelle vor ihrer Tür im Krankenhaus und spielt ein Ständchen. Dort sammelt man auch für die Familie: „Wir waren dann alle zusammen drei Tage im Europa-Park – und haben das richtig genossen. Wir reden noch heute oft davon“, sagt Meyer.

Und dann noch eine Corona-Infektion

Einen Schockmoment gibt es, als sie bereits wieder zu Hause ist: Sie erkrankt an Covid-19. Mit Leukämie zählt sie zur Risikogruppe und kommt sofort ins Krankenhaus: „Ich war sehr müde, hatte Fieber.“ Allerdings ist sie geimpft, wie auch alle ihre Kinder. Fünf Tage bleibt sie im Krankenhaus, bekommt aus Freiburg ein immun-aufbauendes Medikament. Dann darf sie wieder zurück nach Hause.

Wie geht es weiter?

In ihren alten Beruf in der Altenpflege wird Meyer wohl nicht mehr zurückkehren können: „Momentan ist das Geld ein wenig knapp, ich bekomme Berufsunfähigkeits-Rente. Aber ich bin froh, wieder zu Hause zu sein.“ Und sie freue sich, morgens für alle Vesper machen zu können: „Wenn es mir nicht so gut geht, dann stehe ich trotzdem auf.“ Sie hat die sogenannte Graft-versus-host-Erkrankung, eine Immunreaktion auf die Stammzellenspende. Sie bewirkt Entzündungen im Körper sowie Veränderungen im Magen-Darm-Bereich, auf der Haut und in der Leber.

Wirklich genesen?

„Mein Gott, ich kann damit leben“, sagt Meyer. Fünf Jahre, so heißt es, dauert es bis man sagen kann: „Ich bin genesen.“ Der Blick gehe aber nach vorne: „Ich habe es bis hierhin geschafft, den Rest mache ich auch noch.“ Meyer ging immer gerne zur Arbeit und will schauen, dass sie irgendwann zumindest ein bisschen was machen kann: „Vielleicht geht ja irgendwo ein Türchen auf.“