Die Politik in Bund und Land fokussiert sich neu. Programmatisch ausgerufener Klimaschutz steht in Baden-Württemberg schon in Großbuchstaben über allem Handeln. Und: Nach fast eineinhalb Corona-Jahren sind die öffentlichen Kassen strapaziert. Im Land gilt deshalb bei jedem Vorhaben ein Finanzierungsvorbehalt. Was bedeutet das für das strukturell bedeutsamste Vorhaben, den Bau der Querspange in der Verlängerung der Autobahnabfahrt an Villingen vorbei Richtung Mönchweiler, St. Georgen und nach Offenburg. Welche Chancen hat das Projekt? Seit über 20 Jahren wird an dem Vorhaben genagt, mittlerweile haben sich die Rahmenbedingungen – politisch wie ökologisch – markant verändert.

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  • Die neue Verkehrspolitik: Geht es ums Auto, um Bus und Bahn, so führen die Debatten neuerdings schnell im deutschen Sommer 2021 zu Schlagworten wie Pop-up-Radweg, Kohlendioxid-Belastung und Klimaschutz. Über allem liegt für viele Menschen die Frage, welche Motorisierung umweltgerechter und praktikabler sein kann. Von Hybrid- über Elektro- bis hin zu Brennstoffzellen-Antrieb reicht hier die Debatte, auch von Experten.
Am neuen Markt kommt die 90-Grad-Kurve am Ende der B 523. Bild: Hans-Jürgen Götz
Am neuen Markt kommt die 90-Grad-Kurve am Ende der B 523. Bild: Hans-Jürgen Götz
  • Die zugespitzte Finanzlage: Nach der dritten Corona-Welle ordnen die Behörden die öffentlichen Kassenlage. Im Juni 2021 steht fest: Der Schuldenberg ist massiv gewachsen, auch in Baden-Württemberg. Es gibt eine neue Landesregierung und Klimaschutz wird in Baden-Württemberg jetzt obenan gestellt, ebenso wie ein Finanzierungsvorbehalt je Projekt. Um weiter handlungsfähig zu bleiben, erhöhte das Landes-Parlament im Oktober 2020 die Kreditaufnahme auf insgesamt rund 13,5 Milliarden Euro für den Doppelhaushalt 2020/2021. Damit weicht Baden-Württemberg zwar von den Regelungen der Schuldenbremse ab. Für 2020 ist von Zinsaufwendungen in Höhe von rund 1,3 Milliarden Euro auszugehen. Die Verschuldung des Landes Baden-Württemberg betrug zum 31. Dezember 2020 rund 56 Milliarden Euro (Quelle: Landesfinanzministerium).
Martina Braun
Martina Braun | Bild: Laurin Budnik
  • Die Querspange der B 523: Die Autobahnabfahrt macht am Villinger Ortsrand eine 80-GradKurve nach links ins Gewerbegebiet Neuer Markt. Hier soll die Straße geradeaus über Wiesen und Felder bis nach Mönchweiler gebaut werden. Vor dem Mönchsee ist die Einmündung in die B 33 geplant und die Weiterführung der Route nach St. Georgen. Die Strecke durch Villingen auf der B 33 soll nicht mehr die Hauptroute sein. Die Querspange ist mit 5,5 Kilometer projektiert. Das neue Straßenstück wird zweispurig geradeaus am Neuen Markt vorbei Richtung Mönchsee führen.
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  • Doppelt begründet: Politisch wird das Vorhaben mit einem weiteren Etikett zusätzlich zur Ortsumfahrung versehen: „Die Funktion der B 523 ist künftig nicht nur eine Umgehung von Villingen, sondern gilt im Verkehrsnetz als leistungsfähige Verbindung zwischen der A 81 und der B 33“, hieß es im März dieses Jahres von den Behörden. Das sei das übergeordnete Ziel der Planung und auch Interesse der Region, betonte zuletzt ebenfalls das Regierungspräsidium.
  • Die bezifferten Kosten: Rund 26 Millionen Euro steht als Preisschild auf dem Straßenabschnitt. Die Summe gilt nach zuletzt über mehrere Jahre teil galoppierender Preissteigerungen auf diesem Sektor als klar unrealistisch.
  • Wer bezahlt was bei der neuen Querspange: Bauherr ist der Bund. Er ist damit für die Erstellung des Vorhabens zuständig und für die Begleichung der reinen Baukosten. Das sind nach derzeitigen Zahlen rund 23 Millionen Euro. Das Land ist aus der Sache finanziell keineswegs raus: 3,3 Millionen Euro Planungskosten muss Baden-Württemberg stemmen.
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  • Die politische Lage: Die Milliardenlöcher im Landeshaushalt bergen Zündstoff für Grüne und auch für die in der Regierung beteiligte CDU. Die Klimaschutzbemühungen sind im gemeinsamen Koalitionsvertrag des Landes für die kommenden fünf Jahre von den beiden Parteien definiert und keineswegs nur von den Grünen verantwortet.
  • Die Streckenführung: Die Details werden aktuell erarbeitet. Welche Einmündungen gibt es und wie genau sind diese ausgestaltet. Wie kommt die Route am See vor Mönchweiler vorbei? Es wird „ohne Denkverbote“ geplant, heiß es wörtlich aus dem Regierungspräsidium im Frühjahr 2021. Landtagsabgeordnete Martina Braun von den Grünen aus Furtwangen-Linach sagt, das Vorhaben sei „umgeplant worden“. Dies sei erfolgt, um Fläche einzusparen. Sie lässt durchblicken, dass diese Bemühungen offenbar auch erfolgt sind, um das Vorhaben für grüne Politiker noch konsensfähig zu halten.
Vertreter von Industrie, Wirtschaft, Kommunen und Politik fordern seit Jahrzehnten den Lückenschluss. Bild: Roland Sprich
Vertreter von Industrie, Wirtschaft, Kommunen und Politik fordern seit Jahrzehnten den Lückenschluss. Bild: Roland Sprich
  • Das sagt der Bundestagsabgeordnete: Für den Christdemokraten Thorsten Frei sind die Knackpunkte des Themas klar. Einerseits sei die „kreuzungsfreie Verknüpfung der beiden Bundesstraßen“ eine ebenso große Herausforderung wie die Trassenführung durch das Vogelschutzgebiet. Thorsten Frei sagt, die Straßenschnittstelle am Mönchsee sei „noch nicht ausgestaltet“. Auch die Frage, welche Anbindungen an die neue Straße geschaffen werden sollen, sei noch zu diskutieren. Klar ist nur: Jede Anbindung macht die neue Querspange langsamer. Anbindungen können aber sehr sinnvoll sein, indem sie Verkehr auf Villinger Gebiet ganz lange auf der großen Straße halten und erst im letzten Moment ableiten.
Winfried Hermann Bild: Sebastian Gollnow/dpa
Winfried Hermann Bild: Sebastian Gollnow/dpa | Bild: Sebastian Gollnow
  • Der Landesverkehrspolitiker: In den letzten sechs Jahren war es lange unklar, wie sich Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Die Grünen) zu dem Projekt positionieren würde. Er, der bei Terminen gerne Sturzhelm-bewehrt mit Fahrrad erscheint, soll mithelfen, 5,5 Kilometer Straße über Wiese und Feld, vorbei an See und durch ein Schutzgebiet im Schwarzwald-Baar zu realisieren. Hermann schien zuletzt eingelenkt zu haben. Der Nutzen der Querspange, die direktere Anbindung der Räume St. Georgen, Triberg, sind nicht zuletzt auch ein wichtiges Puzzlestück in einer seit Jahrzehnten immer wieder geforderten Verbesserung der Ost-West-Verbindung im Land. Auch für Minister Hermann haben sich aber die – politischen – Zeiten zugespitzt. Klimaschutz, Corona-Schulden, Finanzierungsvorbehalt sind die Vokabeln, die über aller Politik nun im Jahr 2021 stehen.

Wann kommt das neue Preisschild?

  • Der Sachstand: Aktuell läuft beim Regierungspräsidium die Vorplanung, im Rahmen derer mit umfangreichen Umwelt-, Verkehrs- und Variantenuntersuchungen eine Vorzugsvariante entwickelt wird. Diese legt voraussichtlich bis 2022 als erster großer Meilenstein im Projekt fest, wie die künftige Verkehrsführung genau gestaltet werden soll. Erst mit der Zustimmung des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg und des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur hierzu können in der anschließenden Projektphase die konkreten Entwürfe ausgearbeitet werden. Ab wann ein modifiziertes Preisschild auf dem Vorhaben klebt, ist eine der vielen offenen Fragen aktuell.
Noch ist hier keine Geradeausfahrt möglich: Die Bundesstraße B 523 endet abrupt bei Villingen. Bild: Jochen Hahne
Noch ist hier keine Geradeausfahrt möglich: Die Bundesstraße B 523 endet abrupt bei Villingen. Bild: Jochen Hahne | Bild: Hahne, Jochen

Bleibt Naherholung am See möglich?

  • Die Projektbeschreibung: Das Schreiben liegt beim Regierungspräsidium vor. Darin heißt es: „Das Neubauprojekt der Ortsumfahrung Villingen-Schwenningen liegt größtenteils in landwirtschaftlich geprägtem Raum mit bewaldeten Abschnitten. Die Trasse durchquert auf fast gesamter Länge ein Vogelschutzgebiet.“ Erhebliche Beeinträchtigungen werden in dem Behördenpapier prognostiziert. Weiterhin wird der Randbereich eines Großraums für Feuchtlebensräume und ein Großsäuger-Funktionsraum auf kurzer Strecke gequert. Ein Kernraum für Feuchtlebensräume liegt innerhalb der Wirkzone des Projekts. Weiterhin liegen die westlichen drei Viertel der Trasse innerhalb eines Naturparks. „Den sensiblen Mönchsee“, wie im März 2021 formulierte wurde, wollen die Planer möglichst optimal schonen. Nur: Das Gewässer, das mit seinem Naturufer Radler, Spaziergänger und Angler gleichermaßen anlockt, befindet sich „unmittelbar im Bereich der Einmündung“, der neuen Querspange Richtung Autobahn, wie zuletzt noch einmal betont wurde.
Thorsten Frei
Thorsten Frei | Bild: Büro Thorsten Frei
  • Umweltpolitik und Straßenbau: Zieht all das eine grün geführte Landesregierung nach wie vor mit durch? Bauherr des Vorhabens ist der Bund. Die betroffenen Flächen liegen im Schwarzwald-Baar-Kreis. Die Landtagsabgeordnete Martina Braun bezeichnet jetzt im Frühsommer 2021 die Querspange als „einen Kompromiss“. Dieser werde vor allem „zugunsten der Firmen und Arbeitsplätze im Schwarzwald“ vorangetrieben, erklärt sie im Gespräch mit dieser Zeitung. Die Alternative sei gewesen, „diese Firmen und Arbeitsplätze näher an die Autobahn zu verlagern“, erklärt sie. Was sie nicht sagt: Einen Schwenk kann sich die Politik eigentlich nicht leisten. Wer die Firmenneubauten etwa in St. Georgen entlang der B 33 kennt – die Umsiedlung von Unterkirnach nach Peterzell von Wahl, die Investitionen in der Bergstadt von ebm-papst, IG Weisser-Söhne oder aktuell PE, bewegen sich in der Summe deutlich im dreistelligen Millionenbereich. Alle genannten Unternehmen setzen darauf, dass nun endliche ihre Anlieferung und Expedition schneller von und zur Autobahn gelangen kann.
Die Querspange der B 523 vor Villingen beginnt genau hier Video: Trippl, Norbert
  • Politik muss liefern: Das Projekt B 523 bedeutet vor allem für die Grünen politisches Krötenschlucken. Ein Straßenneubau durch ein Schutzgebiet ist sonst vorneweg undenkbar. Für die CDU hängt in Land und Bund ein gewaltiges Stück politischer Glaubwürdigkeit an dem Vorhaben. 20 Jahre lang debattiert und hin- und her geplant – es muss jetzt eigentlich geliefert werden. Aus dieser Konstellation ergibt sich ein grün-schwarzer Schulterschluss. Die Bewährungsprobe wird vor allem die Bundestagswahl im September bringen. Was würde ein grüner Bundesverkehrsminister bedeuten?
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„Kostensteigerungen sind Fakt“

  • Neue Straße erst zuletzt gescheitert: Hürden gibt es bei solchen Bauvorhaben oft auch lokal, wie zuletzt in Villingen-Schwenningen im Dezember 2020 als ein Straßenneubau-Projekt scheiterte. Die Verwaltung hatte mit dem Schlagen einer Schneise durch ein Waldstück zunächst versucht, Tatsachen zu schaffen. Genau 531 Meter lang sollte die neue Straße aus dem Industriegebiet Ost bei Waldmann werden. Knackpunkt waren auch hier vor allem die Kosten. Fünf Millionen Euro waren zu Planungsbeginn für das Vorhaben veranschlagt, zuletzt wurden daraus 10,5 Millionen Euro. Viele Politiker denken seither an diese Kostensteigerungen, wenn es um die B 523-Spange geht. Über die tatsächlichen Kosten der Trassenführung will derzeit noch niemand laut sprechen. Thorsten Frei sagt, dass Kostensteigerungen „erwartbar sind, das ist Fakt“. Er betont aber den „hohen Nutzen“ des Projekts.
Bei Schnee besonders gut erkennbar: Die Linkskurve nach Villingen und das Ende der Bundesstraße vor dem Neuen Markt bei Villingen. Hier ...
Bei Schnee besonders gut erkennbar: Die Linkskurve nach Villingen und das Ende der Bundesstraße vor dem Neuen Markt bei Villingen. Hier soll die neue Route weiter geradeaus an den Mönchsee geführt werden. Bild: Hans Jürgen Götz
  • Eine zeitliche Perspektive: Für Frei ist vorstellbar, dass 2025 alle Planungen abgeschlossen sein können, inklusive des ein- bis zweijährigen Planfeststellungsverfahrens. Der Bund sei dann „eigentlich sofort baubereit“. Frei betont, die Maßnahme sei “ausfinanziert“. Damit kann dann nichts mehr schiefgehen, eigentlich.