Ein Mann, der von Angesicht zu Angesicht wirkt wie ein Kraftriegel: Peter Altmaier (CDU) gastierte am Mittwochvormittag für drei Stunden in St. Georgen. Eigentlich führte ihn eine Wahlkampf-Reise ins Hotel „Federwerk“. Nach 18 Monaten Corona-Pandemie und drei Virus-Wellen war das Treffen mit dem Bundeswirtschaftsminister aber viel mehr. Mut machend, aufrüttelnd, wegweisend – und durchaus auch unterhaltsam.
Vor 50 Firmenchefs aus der Region machte Altmaier zunächst alle im Saal stolz. „Die Familienunternehmen, der Mittelstand habe Deutschland durch die Pandemie getragen“, sagte er ohne auch nur minimal zur charmieren. Altmaier kennt die Gegend: Als er noch Bundesumweltminister war (ab 2012), sei er schon beim Unternehme ebm-papst gewesen. Das Unternehmen habe damals schon Umweltscouts eingesetzt, die die Aufgabe gehabt hätten, im Unternehmen nach ökologischen Veränderungs- und Verbesserungspotenzialen zu suchen.
Weshalb Altmaier über Thorsten Frei ein wenig staunt
Stolz machte er auch seinen Parteifreund. Kaum je habe er in Berlin jemanden erlebt, der so schnell Karriere gemacht habe „wie der Thorsten“, führte er aus. Dabei sei Thorsten Frei, der CDU-Bundestagsabgeordnete aus dem hiesigen Wahlkreis, als Donaueschinger Oberbürgermeister „ja schon zuvor jemand gewesen, der dann in der Hauptstadt noch einmal neu gestartet“ sei. Trotz des tiefgründigen Fachbereichs von Frei, der Rechts- und Innenpolitik, habe dieser „in Berlin bis heute keine natürlichen Feinde“, ulkte Altmaier und freute sich königlich, als alle im Saal grinsten. Sicherheitshalber, oder um seine Worte zu unterstreichen, übersetzte der Minister seinen Spruch noch in Chefetagen-Sprache: „Thorsten Frei genießt große Wertschätzung.“

Altmaier motivierte seine Zuhörer in St. Georgen und versuchte, den Weg in eine prosperierende Zukunft auszustecken: Beim Umweltschutz gelte es „mehr zu tun“, forderte er. Mit grünem Wasserstoff, produziert von Wüstenstaaten wie Saudi Arabien, sei schon zur Jahreswende zu rechnen. Die großen deutschen Unternehmen wie etwa BASF wollten außerdem am liebsten nur noch grünen Strom verbrauchen, die Automobilhersteller grünen Stahl verbauen. „Mehr kosten darf das beim Auto dann aber nicht“, formulierte er als unüberhörbares Aber. Dennoch: Bleibe Deutschland innovativ und aufgeschlossen für Neues, dann müsse es niemandem bange sein.
Das misslungene Beispiel aus Deutschland-Ost
Altmaier stellte sich auch den Fragen aus den regionalen Chef-Büros. Thomas Albiez, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK), packte gleich eine der Gretchenfragen aus. Wie sorge er dafür, wollte er von Altmaier wissen, dass es bei den Regionen eine Chancengleichheit gebe? Der Wirtschaftsminister schluckte ein Stück Kuchen und beantwortete die Frage mit dem entfernt möglichsten Ansatz, nämlich mit dem Grenzgebiet zu Osteuropa. Im Bayrischen Wald sei das mit Infrastruktur und Clusterbildung vor 15 Jahren gelungen, die Arbeitslosigkeit dort sei heute so wie in den großen Zentren der Republik. Albiez‘ Frage zielte aber eher auf die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg, die sich im Spannungsfeld zwischen Stuttgart und Freiburg behaupten muss. Und der IHK-Chef hätte gerne mehr zur Ansiedlung von Schulen und Forschungseinrichtungen gehört, bilanzierte Albiez später gegenüber dem SÜDKURIER.
Georg Wiengarn führt in Triberg das Best-Western-Hotel und tischte Altmaier das Hin- und Her während der Corona-Wellen mit den Förderrichtlinien auf. Listig blitzten die Augen des Ministers, als er diese Kröte elegant dem Koalitionspartner unter den Tisch schob. Das Bundesfinanzministerium habe hier Probleme bei einigen Programmen gehabt auf Grund des Verdachts von Doppelförderungen, sagte er. Jeder im Saal wusste, das war formuliert mit freundlichen Grüßen an Minister Olaf Scholz von der bei der Wahl konkurrierenden SPD.
Wie Altmaier die nächste Regerung plant
Überhaupt, die nächste Regierung: Altmaier nahm schon in St. Georgen das Zepter des Wahlsiegers in die Hand, der, so ist es Usus, die Regierungsbildung voranzutreiben hat. „Wir werden uns ganz genau anschauen, mit wem wir am meisten erreichen könnten.“ Den Freien Demokraten gab er sozusagen im Vorbeigehen einen auf die Kappe: Was wäre nur alles möglich gewesen, hätte FDP-Chef Christian Lindner nicht die Koalitionsverhandlungen vor fünf Jahren abgebrochen, malte Altmaier ein Szenario in den Raum, und schmetterte gleich die Antwort hinterher: „X-mal mehr erreichen hätten wir können mit den Grünen und den Liberalen als mit der Sozialdemokratie“, klappte er ein Türchen auf, hinter dem der Rhetoriker ganz einfach noch weitere Debattenprobleme in St. Georgen hätte verstauen können.
Im Autoland drehte sich natürlich viel um die Zukunft des Individualverkehrs. Dreimal erwähnte Peter Altmaier „meine Gesprächen mit Tesla-Chef Elon Musk“. Es war ganz still im Saal, als der Minister ausführte, „Elon“ habe ihm schon vor Jahren erklärt, „was Wasserstoffantrieb in einem VW-Golf bedeute, nämlich dreimal so hohe Kilometerkosten“. Aber: Ein großer deutscher Hersteller brächte jetzt einen PKW auf den Markt, der 600 Kilometer weit elektrisch fahre. „Quer durch Deutschland, ich finde das ist wunderbar“, sagte Altmaier seinen Zuhörern. Einige im Saal wussten: Tesla hat dieses Auto schon längst und die deutsche Industrie kämpft, um diesen Vorsprung aufzuholen, nachdem sie, wie Altmaier später sagen sollte, „lange, lange den Kopf in den Sand gesteckt habe beim Thema Elektromobilität“.
Viele Fragen zur E-Mobilität
Thomas Ciampa leitet mit seiner Frau ein Handwerksunternehmen in Unterkirnach. Auch er fragte zum Elektroauto: Halten die hiesigen Netze das aus, wenn abends in jeder Garage zwei E-Autos geladen werden? Minister Altmaier anerkannte das Problem in der Frage in Form der Netzauslastung. Früher habe seine Oma abends gesagt, das Licht werde blaß, wenn in jeder Wohnung gebacken, gekocht und Sportschau geschaut wurde. Heute habe Deutschland eine hohe Versorgungsstabiltät. Die Verstärkung der Netze müsse allerdings angepackt werden, „das muss man jetzt schon tun“, sagte er an die Adressen der Kommunen, Stadtwerke und der großen Energieversorger.
Horst Hall stellt mit seinem Unternehmen in Aasen Maschinen her, die in der Halbleiterbranche gebraucht werden. „Diskutieren wir in Deutschland eigentlich die richtigen Themen?“, stichelte er in Richtung des Chef des Bundeswirtschaftsministeriums angesichts der Mikrochip-Knappheit im Jahr 2021, was aktuell ganze Firmenbelegschaften in die Kurzarbeit schickt.
Altmaier fixierte den Fragesteller über ein Stück Kuchen hinweg, das er zwischendurch bei diesem Unternehmerfrühstück als Hauptredner kaum genießen konnte. Ja, sagte er zustimmend, „wir müssen aufpassen“. Es gehe darum, dass Deutschland auch von der digitalen Wertschöpfung profitiere. Deshalb, so sagte er, als ginge es nur darum, eine Knetknugel zu formen, „müssen wir viel mehr Mikrochips in Deutschland herstellen, um uns unabhängig vom Weltmarkt zu machen“. Nach einem hastigen Schluck Milchkaffee verblüffte er alle im Saal: „Mit zehn Milliarden Euro Förderung schaffen wir es, Deutschland bei den Halbleitern an die Weltspitze zu bringen“, sagte er noch und finissierte: „Und daran wollen wir nach der Wahl am 26. September arbeiten.“
„Er ist viel besser als im Fernsehen“
Altmaier sprach fast eine Stunde lang. Seine poppig pinkfarbene Krawatte hätte es im „Federwerk“-Saal nicht gebraucht, der Minister leuchtete auch so genug. Er sprach in St. Georgen wie mit hochgekrempelten Ärmeln, ein Manuskript war weit und breit nicht zu sehen.
Seine vokabulare Frischzellenkur wurde unter den erfahrenen Wirtschafts-Kapitänen im Hotel „Federwerk“ anschließend natürlich abgewogen, aber auch gelobt. Zum Beispiel von Jürgen Müller. Der Geschäftsführer von Helios in Schwenningen sagte nach Altmaiers Rede, der Minister wirke „im Original viel besser als im Fernsehen“. Man spüre, dass er nach seinen Jahren im Finanz- und Umweltministerium und jetzt im Wirtschaftsministerium ganz viel Erfahrung habe und „wohl die richtigen Entscheidungen zu treffen imstande ist“ (Müller).
Dass Altmaier im Galopp durch die Themen in St. Georgen geritten war, wurde klar, als er eine Frage von Geschäftsführer Thomas Müller von der Tannheimer Nachsorgeklinik unbeantwortet liegen ließ im puren Rederausch. Müller wollte eigentlich wissen, wie Altmaier zur Entsorgung von Batterien bei der E-Mobilität stehe. Vielleicht hätte Altmaier ihm gesagt, dass Tesla nun neuerdings viel mehr Recyclingmaterial in die Stromspeicher neuer Autos einarbeite. Vielleicht hat er dazu aber auch noch nicht mit Elon Musk gesprochen. Oder er hat die Frage listig umschifft. Teslas Batterie-Recycling eröffnet aktuell in Belgien.