Es war ein langweiliger Dienst. Karim Labidi und Stephan Stengele sind im Winter 2022 mit dem Rettungswagen in Königsfeld unterwegs. Weil es an diesem Tag kaum Einsätze für sie gibt, unterhalten sie sich über eine Fernsehsendung: „Lebensretter hautnah“. Bei dem Format werden die Besatzungen von Rettungswagen mit der Kamera begleitet.
Sie stellen sich vor, sie wären die Protagonisten der Vorabend-Dokuserie. „Wir wären genau die richtigen Männer dafür“, sagt Rettungssanitäter Stengele. Der Fahrer trifft bei Notfallsanitäter Labidi damit einen Nerv: „Wir haben uns dann überlegt, wie wir uns präsentieren würden.“

Und bei noch einem kommt die Idee gut an. Stephan Niggemeier leitet als Geschäftsführer den Rot-Kreuz-Kreisverband. Er schreibt der Produktionsfirma. Aber dann der Dämpfer: Die Rettungswagenbesatzungen für die aktuelle Staffel sind komplett. Kein Bedarf.
Plötzlich gibt es eine zweite Chance
Aber der Traum von Labidi und Stengele wird doch noch wahr. Im August 2023 kündigt die Produktion eine weitere Auflage von „Lebensretter hautnah“ an. Die Entscheidung muss schnell fallen. Aber es ist gerade beste Urlaubszeit und die Filmcrew braucht zehn Rettungsdienstler, die mitmachen wollen und obendrein jeweils ein Bewerbungsvideo von sich einreichen müssen.
So cool werden die Bewerbungen
Diese Videos dürften bei den Mitarbeitern der Münchner Janus TV für Aufmerksamkeit gesorgt haben. „Als ich meins aufgenommen habe, war ich gerade auf dem Minigolfplatz in Bad Dürrheim“, erzählt Karim Labidi. Stephan Stengele ist gerade in Portugal und ein anderer Kollege dreht seine Bewerbung an der Nordsee.
„Danach ist alles Rechtliche geklärt worden und die Zweier-Teams haben sich zusammengefunden“, erzählt Rettungsdienstleiter Florian Straub.

Schon im September geht es los. Der Rettungswagen wird innen und außen mit Kameras ausgerüstet, die Sanitäter bekommen ihre umgehängt. Vom Fernsehteam ist nur ein Kameramann dabei.
Der Mann vom Fernsehen ist ein Glücksfall
Stört es nicht, im Einsatz gefilmt zu werden? „Gar nicht“, sagt Stengele, „der Kameramann hält sich zurück“. Und sie haben Glück, der Fernsehprofi hat sich bei seiner Arbeit jede Menge Fachwissen angeeignet, trägt auch mal einen Koffer. „Unserem FSJler hat er sogar eine Lungenembolie erklärt“, erzählt der Rettungssanitäter.

Schon bei der Alarmierung entscheidet der Kameramann dann, ob der Einsatz überhaupt fernsehtauglich ist. „Bei einer eingeklemmten Person, einem verletzten Kind oder einem Suizid beispielsweise fährt er mit, filmt aber nicht“, erklärt Labidi.
So reagieren die Patienten
Was auch nicht geht: Bewusstlose. Denn gleich zu Beginn wird abgeklärt, ob die Patienten überhaupt bereit sind mitzumachen. Etwa 70 Prozent seien einverstanden, sagt Karim Labidi. Abgelehnt werde der Wunsch meist, weil die Situation für sie unangenehm oder peinlich ist.
Die beiden Retter selbst haben kein Problem damit, bei der Arbeit gefilmt zu werden. „Wir haben da ein sicheres Gefühl“, sagt der Notfallsanitäter.
Experten schauen ganz genau hin
Und was sagen Kollegen zu dem, was bei Sat.1 im Vorabendprogramm gezeigt wird? „Ich habe gehört, dass die Sendung in Rottweil auf der Wache geschaut und richtig analysiert wird“, sagt Labidi. „Die bewerten unsere Arbeit gut.“

Von den Folgen ihrer Fernseheinsätze werden die beiden Retter völlig überrumpelt. „Nach der ersten Ausstrahlung hatte ich 79 WhatsApp auf dem Handy“, sagt Labidi. „Von manchen Leuten hatte ich seit zwei Jahren nichts mehr gehört.“ Und dann waren da noch die älteren Damen, die ihn beim Einkaufen in Unterkirnach erkannt und auf die Sendung angesprochen haben.
Aber es gibt auch weniger schöne Erlebnisse. „Unsere erste Fahrt war ein Patient mit Downsyndrom, ein lieber Kerl“, erzählt Karim Labidi. Der junge Mann hat sich ein Bein gebrochen und erzählt ihnen, dass er bald in den Urlaub fliegen werde. „Das war unser erster Einsatz mit Kamera“, sagt Stephan Stengele. „Und dann ist er verstorben. Das war krass.“