Wie verzweifelt muss eine Frau sein, dass sie ihre Schwangerschaft geheim hält und ihr Kind nach der Geburt abgibt? Im Schwarzwald-Baar-Kreis gab es seit 2014 insgesamt 19 anonyme Kindsabgaben – vier davon in der Babyklappe in Schwenningen. In dieser Situation haben die Mütter in Not vor und nach der Geburt keine Unterstützung.
„Wir wollen keine Werbung machen für die vertrauliche Geburt“, erklärt Annika Brodowski von der Schwangerenberatungsstelle des Diakonischen Werkes. „Uns ist es wichtig, dass es bekannter wird, dass es das Angebot der legalen anonymen Abgabe und der medizinischen Betreuung von Mutter und Kind gibt.“
So oft nutzen Frauen das Angebot
Seit der Einführung des „Gesetzes zum Ausbau von Hilfen für Schwangere und zur vertraulichen Geburt“ im Jahr 2014 haben bundesweit mehr als 1180 Frauen die Möglichkeit der vertraulichen Geburt genutzt. Eine Beraterin einer Schwangerschaftsberatungsstelle unterstützt Schwangere auf Wunsch vor und nach der Geburt. Mit der vertraulichen Geburt wird sowohl dem Wunsch der Mutter nach Anonymität in einer belastenden Lebenssituation als auch dem späteren Recht des Kindes auf seine Herkunft Rechnung getragen. Anonyme Geburten und Babyklappen bieten diese nicht.
„Eine Frau fühlt sich in der individuellen Sichtweise ihrer Situation so in der Klemme, dass sie keinen anderen Ausweg sieht“, beschreibt Andrea Klausmann die Notsituation der werdenden Mütter. Anonyme Kindsabgaben habe es schon immer gegeben. „Bis 2014 war alles illegal“, erklärt Annika Brodowski. Durch die Einführung des Gesetzes zum Ausbau von Hilfen für Schwangere und zur vertraulichen Geburt sei die anonyme Abgabe des Kindes legalisiert sowie die medizinische Versorgung für Mutter und Kind sichergestellt.
Unterstützung in Notsituationen
„Wir sind die Anlaufstelle für Verzweifelte“, erklärt Christina Knöbel die Bedeutung der Schwangerschaftsberatungsstellen des Diakonischen Werkes, des Caritasverbandes und von Pro Familia im Schwarzwald-Baar-Kreis. Auch die gelernte Hebamme und studierte Sozialpädagogin hat sich zur Beratungsfachkraft zur Umsetzung der vertraulichen Geburt qualifiziert.
Bei Unterstützung von Schwangeren in Notsituationen ginge es nicht nur um die Sicherstellung eines durchgängig anonymisierten Ablaufes der Beratung und der Geburt, sondern auch um die Themen Adoption und Herkunftssicherung. „Das ist ein komplexes Verfahren“, beschreibt die Beraterin die strukturierten Abläufe in Zusammenarbeit mit Klinikum, Jugend- und Standesamt bis hin zur Rettungsdienststelle.
Name der Mutter wird versiegelt
Zu Beginn werde von der Beraterin die Identität der Mutter geprüft und ein Herkunftsnachweis ausgefüllt. Dieser werde versiegelt und mit einem Pseudonym versehen. „Ab diesem Zeitpunkt läuft der gesamte Prozess unter dem Pseudonym der Mutter“, beschreibt Katja Piseddu den anonymisierten Ablauf vom Erstkontakt bis zum Ende der Begleitung.
Manchmal erscheinen werdende Mütter auch direkt im Schwarzwald-Baar-Klinikum mit dem Wunsch nach vertraulicher Geburt. Für diesen Fall gibt es ein strukturiertes Verfahren, bei dem die Beraterinnen nachträglich eingeschaltet werden.
Ein Brief ans abgegebene Kind
Annika Brodowski berichtet von einer Mutter, die sie einige Tage nach der Geburt im Klinikum begleitet habe. Diese habe ihr Kind mehrfach besucht und lange mit ihrer Entscheidung gerungen. „Sie hat ihrem Kind einen Brief geschrieben, in dem sie ihre Situation erklärt hat“, beschreibt die Beraterin das Ende der Begleitung.

Zum Verfahren der vertraulichen Geburt gehört auch die Vermittlung zu geeigneten Adoptiveltern. Diese sollten offen für den Umgang mit der vertraulichen Geburt ihres Kindes sein. Entsprechend dem Grundrecht auf Kenntnis der eigenen Abstammung hat das Kind ab dem Alter von 16 Jahren die Möglichkeit, über das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben den versiegelten Herkunftsnachweis zu erhalten. „Das ist wichtig für die Identität des Kindes“, betont Katja Piseddu.
Beraterinnen arbeiten in einem Netzwerk
Mindestens vier Frauen konnten mit Unterstützung der Schwangerschaftsberatungsstellen ihre Kinder behalten oder zur Regeladoption freigeben. Bei der erfolgreichen Umsetzung der vertraulichen Geburt sind die Beraterinnen auf ein gut miteinander kooperierendes Netzwerk angewiesen.
In regelmäßigem Austausch werde das Verfahren immer weiter entwickelt. Beim Rückblick auf ihre Erfahrungen sind sich die Beraterinnen einig: „Es ist immer wieder spannend und herausfordernd.“