Ihr großer Schicksalsschlag begann mit einer kleinen grauen Katze: Im Juli 2020 nimmt die selbstständige Kosmetikerin Kathrin Behrendt aus VS den Stubentiger einer Kundin für einige Tage in Pflege. Sie will einfach helfen. Doch diese Hilfsbereitschaft macht aus der lebenslustigen Frau, die gerne klettert und radfährt, ihren Job liebt und bei Modenschauen mitmacht, eine schwerkranke und nahezu bettlägrige Patientin.

Kein guter Tag heißt: Aufstehen kaum möglich

Über drei Jahre später sitzt Kathrin Behrendt zwischen vielen Kissen auf der weißen Couch in ihrem hübschen Wohnzimmer und verzieht vor Schmerzen das Gesicht. Sitzen ist schwierig, eigentlich kann sie zumeist nur liegen. Und heute ist ohnehin kein guter Tag, sagt die blonde Frau. Kein guter Tag: Das bedeutet Schwindel, extreme Müdigkeit und Erschöpfung. Starke Schmerzen, Sehstörungen. Atemaussetzer, Tinnitus und Gangunsicherheit. Und noch vieles mehr.

Eine hell-türkise Orthese stützt ihren Kopf und hält ihn aufrecht. Allein kann sie das heute kaum mehr. Die 57-Jährige leidet an einer Instabilität der Kopfgelenke. Heilung oder auch nur Besserung gibt es keine – zumindest in Deutschland nicht.

Der Stubentiger gerät in Panik

Aber eins nach dem anderen. Die Geschichte von Kathrin Behrendts schwerem Schicksalsschlag beginnt an jenem Nachmittag des 20. Juli 2020, als die Pflegekatze unbedingt auf den Balkon will. An diesem heißen Tag hat die Kosmetikerin die Glastür geöffnet. Doch das Tier, eine reine Wohnungkatze, darf nicht raus. Kathrin Behrendt versucht, ihr ein Geschirr überzuziehen. Verhängnisvoll. Das Fellknäuel gerät in Panik, verbeißt sich heftig in Kathrin Behrendts Unterarm, ihren Bauch, in ein Bein.

So sieht Kathrin Behrendts Arm kurz nach dem Katzenbiss aus.
So sieht Kathrin Behrendts Arm kurz nach dem Katzenbiss aus. | Bild: Behrendt, Kathrin

Keine halbe Stunde später sitzt sie beim Hausarzt. Desinfektion, Impfung, Antibiotika für einige Tage. Dass Katzenbisse hoch infektiös sind, weiß sie. Doch die Krankheitserreger aus dem Speichel des Tieres hatten ihr unaufhaltsames Werk offenbar sofort begonnen, so glaubt sie heute. „Drei Stunden nach dem Biss kroch mir ein wirklich ekelhaftes Gefühl übers Rückenmark bis in den Kopf“, erinnert sie sich.

Das Zuhause wird zu einem Gefängnis

Seit diesem Tag fühlt sich Kathrin Behrendt komisch und benommen, ihre Halswirbelsäule beginnt bald laut hörbar zu knacken. Als sie sich eines nachts im Bett umdreht, fühlt sie einen heftigen Hieb „ganz oben drin am Kopf“. „Seitdem ist gar nichts mehr, wie es war“, sagt sie. Bald kann sie die Wohnung nur noch kurz verlassen, irgendwann gar nicht mehr. Das hübsche, helle Zuhause wird schließlich zu ihrem Gefängnis.

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Neben den körperlichen Beschwerden beginnt für Kathrin Behrendt eine Odyssee von Arzt zu Arzt. Kein Mediziner kann ihre Beschwerden einordnen, Hausarzt, Orthopäden, Neurologen, Neurochirurgen – sie sind ratlos. „Alles psychisch“, habe es immer wieder geheißen. Manche Ärzte schrien sie sogar an, erzählt sie. „Die wollten mich einweisen“, sagt die 57-Jährige.

Kathrin Behrendt, hier mit Sohn Tom, war vor ihrer Erkrankung ein fröhlicher und aktiver Mensch.
Kathrin Behrendt, hier mit Sohn Tom, war vor ihrer Erkrankung ein fröhlicher und aktiver Mensch. | Bild: Behrendt, Kathrin

Ein Speziallabor stellt irgendwann im März 2021 eine chronische Infektion mit Borrreliose und Bartonellen – der Katzenkrankheit – fest. Mehrere konventionelle Tests waren zuvor negativ ausgefallen. Die herkömmliche Methode sei als Untersuchungstechnik nicht hinreichend bei einem chronischen Verlauf einer Borrelien-Infektion, bestätigt der Augsburger Labormediziner Armin Schwarzbach. Den Spezial-Test muss Kathrin Behrendt aus eigener Tasche bezahlen – wie so vieles mehr.

Endlich Gewissheit in Barcelona

Erst die Untersuchung in einer Spezialklinik in Barcelona bei dem führenden Kopfgelenkspezialisten in Europa gibt ihrem Leiden ein weiteres Jahr später tatsächlich einen Namen: kraniozervikale Instabilität (CCI) heißt dieses in der Medizinersprache. Oder einfach ausgedrückt: Kopfgelenke und Teile ihrer Halswirbelsäule bewegen sich über das normale Maß hinaus und drücken auf Rückenmark, Nerven und Blutgefäße. Dies sorgt für die heftigen Symptome.

In einer Spezialklinik in Barcelona erhält die 57-Jährige die Diagnose CCI.
In einer Spezialklinik in Barcelona erhält die 57-Jährige die Diagnose CCI. | Bild: Behrendt. Kathrin

Kann also eine Infektion nach dem Katzenbiss wirklich der Grund sein, der hinter der schweren Erkrankung der 57-Jährigen steckt? Häufigste Ursache für CCI ist offenbar ein Schleudertrauma, die Krankheit kommt aber auch nach Bindegewebserkrankungen oder chronischen Infekten vor. Mehrere Betroffene schildern im Internet einen ähnlichen Verlauf wie Kathrin Behrendt. Klar ist: Borreliose kann Sehnen, Bänder, Gelenke angreifen.

Ein schwieriges Thema auch für Ärzte

Mediziner Bernhard Salomon aus Weiden hat sich spezialisiert auf die ganzheitliche Behandlung von Schmerzen in der Wirbelsäule und im Bewegungsapparat. Es handle sich bei der Krankheit um Hauptdrehgelenk in der Halswirbelsäule, dieses sei „extrem stark verschaltet mit dem gesamten Nervensystem.“ Selbst für Mediziner, so Salomon, sei dies eine sehr komplexe und schwierige Thematik.

Die unbekannte Krankheit

Eben deswegen hat Kathrin Behrendt ein weiteres Mal großes Pech. Ihre Krankheit ist in Deutschland kaum bekannt, das Krankheitsbild werde an den Universitäten hierzulande nicht einmal gelehrt, sagt Bernhard Salomon. Dies, obwohl es offiziell etwa 25.000 Erkrankte in Deutschland geben soll.

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Entsprechende Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten finden sich daher oft nur im Ausland. Knackpunkt: Die Kosten dafür werden von den gesetzlichen Kassen nicht übernommen.

Patientin muss Kosten selbst tragen

Über 85.000 Euro hat Kathrin Behrendt daher inzwischen selbst bezahlt. Ein paar Beispiele? 6150 Euro für die Behandlung in Barcelona. 20.850 Euro für den Flug von Stuttgart dorthin mit einem speziellen Rettungsflieger. 25.200 Euro für einen zweiten Flug. Über 5000 Euro für zwei Blutwäschen, um das Immunsystem zu entlasten. Mehrere teure Upright-MRTs, die ihre Wirbelsäule in aufrechter Stellung zeigen, Medikamente, Krankentransporte und und und.

Behrendt verkauft ihr Auto, um die Behandlungen zu finanzieren, auch ihr Sohn, ihre Schwester und die Eltern helfen mit. Sie muss sich Geld von Freunden und Verwandten leihen. „Ich bin einsam, krank und mittlerweile verarmt“, beschreibt sie ihre Lage.

Kathrin Behrendt ist vor ihrer Erkrankung sportlich.
Kathrin Behrendt ist vor ihrer Erkrankung sportlich. | Bild: Behrendt. Kathrin

Warum die Kassen nicht zahlen

Doch warum muss Kathrin Behrendt neben gesundheitlichen zusätzlich mit solch massiven finanziellen Nöten kämpfen? „Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“, erklärt Parissa Hajebi, Sprecherin des Bundesministeriums für Gesundheit. Soweit die allgemeinen Rahmenbedingungen. Zum Fall von Kathrin Behrendt im Speziellen will die Sprecherin keine Stellung nehmen.

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„Ich kann jederzeit gelähmt werden oder einen Schlaganfall bekommen“, weiß Kathrin Behrendt. Eine Versteifung der Gelenke würde wenigstens diesen Notzustand aufheben. Zuerst müsse allerdings die Borreliose behandelt werden. Doch nur Antibiotika hilft im chronischen Stadium nicht mehr. Therapien wie Hyperthermie oder Nahrungsergänzungsmittel fürs Immunsystem wären nötig – werden aber ebenfalls nicht von der Kasse bezahlt.

Einzige Hoffnung: Eine teure Stammzellentherapie

Einzige Hoffnung darauf, wenigstens annähernd wieder gesund zu werden, sei allerdings eine Stammzellentherapie. Die wird derzeit nur in den USA praktiziert – Kosten: etwa 50.000 Dollar. Geld, das die 57-Jährige nicht hat.

Kathrin Behrendt wünscht sich, dass die Forschung auf diesem Gebiet auch in Deutschland vorauskommt – nicht nur für sich selbst, sondern für alle Betroffenen. „Das sind meine Alternativen, ansonsten muss ich bis ans Ende meiner Tage so schwer leiden“, sagt sie.