VS wird 50 Jahre alt. Die 1972 zusammengeführte Stadt feiert am 1. Januar 2022, so gut es geht in der Corona-Pandemie: Auf dem Hubenloch mit vielen Schüssen der Grenadiere, mit viel Schwung in der Festrede des Oberbürgermeisters und das Wetter gab auch eine Prise VS dazu: Viel Sonnenschein über Villingen-Schwenningen – ein gutes Omen für die nächsten 50 Jahre.
So performt OB Roth vor der Kamera
Die Festrede des Oberbürgermeisters ist am Neujahrstag auf Video ausgestrahlt worden. Zehn Aussagen von Rathaus-Chef Jürgen Roth auf dem Prüfstand der Redaktion – Und: Wie zündet der oberste Stadtverwalter die Jubiläumsstimmung, was tragen dazu die Komparsen Henry Greif und Jürgen Wangler bei?

1. Haben wir es geschafft?
Roth schwärmt eingangs des knapp über 18-minütigen Streifens: „Was haben wir alles in den fünf Jahrzehnten geschafft – ein lebens- und liebenswertes Oberzentrum.“ Das ist so, für alle, die sich dieser Stadt verbunden sind. Viele hadern aber mit den Ist-Zuständen. Die Demos gegen die teuren Kita-Gebühren? Kein Thema. Der Zustand der Schulen? Er verbessert sich in kleinen Schritten, die Umstände werden nicht erwähnt.
Weshalb geht es gerade in dieser Rede nicht darum, dass in Villingen-Schwenningen viele Nationalitäten zusammengefunden haben – durchaus in der Folge der Stadtgeschichte. Ein wichtiges Signal für eine ganz besondere gemeinsame Stadt wird nicht gesendet.
2. Doppelstadt statt eine Stadt
Der OB unterstreicht in seinem Film-Auftritt: „Eine Doppelstadt mit doppelten Vorzügen.“ Henry Greif kalauert: „Nur gemeinsam können wir glänzen, weil wir uns hervorragend ergänzen.“ Hintergrund: Der Begriff der Doppelstadt gilt vielen Bürgern heute als trennend. Die Erwähnung zum Festakt ist ein Missgriff.
3. Die eilige Absage
Roth formuliert: „Wir mussten den Festakt wegen Corona absagen. Es hat keine andere Möglichkeit gegeben.“ Wirklich? Tatsache ist: Die Absage kam vorschnell, war aus der Situation heraus getroffen, als im Klinikum über 120 Menschen an Corona behandelt wurden.
Seither sinken die Zahlen. Ein Festakt am Hölzlekönig wäre also möglich gewesen, genauso wie das Neujahrsschießen der Grenadiere. Schade. Aber: Die Verantwortungsträger müssen als Vorbilder in der nach wie vor angespannten Infektionslage vorsichtig sein.

4. Feierlaune in Warteschleife
Der VS-OB meint weiter mit schwingender Stimme: „Wir lassen uns keineswegs die Feierlaune nehmen.“ Tatsache ist: Bis in den Sommer wird es keine großen Feste geben. Ab dem Juni geht es im Programm richtig los. Und vielleicht auch Ende April, wenn Roth – parallel zum 70. Geburtstag des Landes Baden-Württemberg – einen Bürgerempfang geplant hat.
5. Die angesiedelte Wirtschaft
Der OB weiter mit Stolz: „Wir haben eine vor Kraft strotzende Industrie und Gewerbe ansiedeln können.“ Das ist weniger ein Verdienst der Stadt als viel mehr der Unternehmer.
Für VS wäre hier deutlich mehr möglich gewesen. Zwei Beispiele: Mercedes hat sich in Immendingen angesiedelt, Amazon wollte nach Trossingen, beide Entwicklungen erfolgten aus vielerlei Gründen. Ergo: VS kann Wirtschaftspolitik noch besser.

6. Kein Bild von der Wirtschaft
Der Rathaus-Chef schwärmt in der Folge wörtlich vom „besonderen Flair der Innenstadt und als Wirtschaftsstandort“. Eingeblendet im Festakt-Video werden dazu: eine Abendszene aus der Oberen Straße mit dem Tor im Hintergrund und das Villinger Münster.
Von Wirtschaft keine Spur, sieht man einmal vom kurz zu sehenden Café Raben ab. Roth meint natürlich die vielen Firmen und Unternehmen. Wieso werden diese nicht gezeigt? Das wäre so sehr verdient.
7. Der kleine Standort-Trick
Roth betont: „Die Tatsache, dass wir Standort von drei Hochschulen sind…“ Das ist ein Satz, der zum Schmunzeln anregt. Polizeihochschule, Duale Hochschule und die HFU. Wofür steht gleich noch einmal das F bei HFU? Für Furtwangen. Ein HFU-Standort ist Schwenningen natürlich durchaus, nur Roths Satz lässt Furtwangen unerwähnt. Ein Schelm – wer Böses denkt.

8. Die merkwürdigen Doppelungen
War das ein Wort-Stolperer? „Lassen Sie und feiernfeiern“, sagt der OB im Video. Das ist damit gemeint: Diese Dopplung ist tatsächlich der wiederkehrende Gag im VS-Jubiläum. Bis heute haben das längst nicht alle verstanden. Auch das Festakt-Video erklärt die eigentlich nette Idee nicht näher, weshalb immer wieder von der Heimatheimatstadt und anderem die Rede ist.
Symbolisiert werden soll so – mit einem Schuss VS-Selbstironie – die Identität der beiden großen Stadtbezirke. Pardon, aber: Stadtbezirke gibt es – mit allen neun Ortschaften – insgesamt genau genommen elf. Das Vokabular lässt sich das maximal an der Fastnacht aussprechen, nach der elften Schorle.
9. Was gemeinsame Stadt wirklich ist
Der VS-OB schmeichelt im Video den Bürgern: „Meine Damen und Herren, liebe VS-ler: Sie machen aus der damaligen Gemeindereform das VS von heute.“ Ja, das ist so. Endlich sagt es mal einer. VS ist die Summe von 86.000 Bürgern.
Nur, fast noch wichtiger: Was ist mit dem VS von morgen, von übermorgen? Kein Wort dazu. Roth hat aber noch einen Pfeil im Köcher. Am 9. Januar folgt seine Neujahrsansprache. Dann ebenfalls per Video. Wir dürfen gespannt sein, wie Ziele des gemeinsamen Handelns dann ausgesteckt werden.
10. Die Drei aus dem Video – und sonst?
Roth versucht, die Bürger mitzunehmen: „Damit Sie sich so richtig an das Jubiläumsjahr gewöhnen, stimme ich Sie ein bisschen auf unsere Kampagne ein.“ Das würde gelingen, wenn der Film mehr Menschen aus VS zeigen würde. Ein OB und zwei Unterhalter – das ist karg. VS ist Vielfalt. Das wird mit den Wappen der Ortsteile ungenügend ausgedrückt.
Heiße Linse und trüber Hintergrund
Wie wirkt der Streifen insgesamt: Das Video ist nett anzuschauen. Wer Hintergründe kennt, der weiß: Es ist mit heißer Linse gefilmt worden. Die Aufnahmen entstanden in der Neuen Tonhalle. Leider: Roth spricht im Video notorisch vor einem trüben Hintergrund. Da fehlt ganz viel oberzentrale Strahlkraft.
Was Heimatliebhaber außerdem vermissen: Die Stadt der Musik, wie sie in dem Beitrag auch benannt wird, sie erklingt nicht. Schade, dass VS hier nicht swingt, oder rockt oder schunkelt. Ein wenig mehr Heimatstolz dank Stadtmusik hätte den Streifen maximal mehr krachen lassen.
Der Hölzekönig – und was ihm droht
Roth spricht im Video vor dem Hölzlekönig. Das ist eine gute Anleihe an die Vergangenheit. Nur: Weshalb wird die historische Stätte abgerissen? Ist das der Umgang mit der immer wieder betonten Historie?
Zwei mit Hut und einer oben ohne
Das Rätsel des Films: Weshalb treten Villingens Stadtharmonie-Vorsitzender Henry Greif und Schwenningens Ehrenzunftmeister Jürgen Wangler mit Zylinder auf und zaubern dann doch keine VS-Kaninchen daraus hervor? Und wieso hat der OB den Hut nicht auf?
VS wird 50: Und viel Spaß gibt es hier eigentlich immer. Zum Beispiel von Henry Greif. Er liefert den alles überstrahlenden Satz: „50 Jahre haben wir uns gegenseitig geneckt, doch mittlerweile hat es jeder gecheckt.“