
Wie bei vielen Heilverfahren, die nicht der Schulmedizin zugerechnet werden, gehen die Meinungen weit auseinander. Die einen sind offen für Alternativen und schwören auf deren Wirksamkeit, andere streiten und lehnen alles strikt ab. Das ist bei Globulis so und bei Hypnose oder Akupunktur nicht anders. Bei der Therapie mit Blutegeln kommt ein weiterer Faktor ins Spiel: Ekel. Die Heilungschancen könnten noch so groß sein, einige Menschen würden sich trotzdem niemals von den Tierchen beißen lassen.
Die, die diesen Ekel nicht verspüren, landen nicht selten in der Praxis von Heilpraktikerin Bianca Seitler aus Villingen. Die 31-Jährige betreibt ihre Praxis hier seit fünf Jahren. Einer ihrer Therapie-Schwerpunkte sind die Blutegel. Die faszinieren sie seit ihrer Heilpraktiker-Ausbildung, wo sie erstmals von den Tieren erfahren hatte. Später bildetet sich Seitler in diesem Fachgebiet fort und lehrt heute selbst angehende Heilpraktiker in dieser Disziplin.

Einsatzgebiet
Blutegel werden seit Jahrtausenden von Menschen zur Behandlung verschiedenster Beschwerden genutzt. Heute kommen die bissigen Blutsauger gerne bei Gelenk-Arthrosen, zum Beispiel am Knie, zum Einsatz. „Sie heilen zwar nicht die Arthrose selbst, können aber Entzündungen und Schmerzen lindern“, erklärt Bianca Seitler, die ihren Patienten mit rheumatischen und entzündlichen Erkrankungen häufig die tierischen Helfer empfiehlt. Tennisarm, Fersensporn und Schleimbeutelentzündung sind weitere Einsatzgebiete. „Auch bei Tinnitus habe ich sie schon angewandt“, so Seitler.
Dann werden die Egel im Bereich hinter dem Ohr angesetzt. Krampfadern sind ein klassisches Einsatzgebiet. „Allerdings nur zur Erleichterung der Beschwerden, nicht für ästhetische Zwecke.“ Aber auch in der klassischen Medizin finden Blutegel mittlerweile Verwendung. Ärzte setzen die Blutsauger zum Beispiel nach Organtransplantationen ein, um die Durchblutung zu fördern.

Wirkungsweise
„Der Speichel enthält rund 50 Inhaltsstoffe, die teilweise noch gar nicht richtig erforscht sind“, erzählt die Heilpraktikerin. Diese gelangen durch den Biss in die Wunde und in den Körper, wo sie ihre Wirkung entfalten. Die Substanz Hirudin hemmt zum Beispiel die Blutgerinnung. Andere bereits bekannte Stoffe wirken eher schmerzlindernd, durchblutungsfördernd, entzündungshemmend oder antibiotisch. „Die Wirkung der Behandlung kann bis zu einem halben Jahr andauern, manchmal auch länger“, so die 31-Jährige.

So läuft eine Behandlung ab
In einem Vorgespräch werden Krankheitsbild und Beschwerden erörtert. Je nach Körperstelle und Anwendungsfall setzt Seitler dann bis zu zwölf Egel an den betroffenen Körperregionen an. Die schlanken und nur wenige Zentimeter langen Jung-Egel werden einzeln in einem kleinen Glas auf der gewünschten Hautstelle abgesetzt, bis der Egel zubeißt. Zuvor wird die Haut mit warmem Wasser abgerieben. In den Stunden zuvor sollten Patienten keine Cremes, Seifenverwenden oder Desinfektionsmittel verwenden. „Das mögen die Blutegel nicht und beißen dann womöglich nicht zu“, so Seitler. Sind alle Egel an Ort und Stelle, ist Geduld gefragt. Bis zu zwei Stunden dauert die Mahlzeit.
„Die Tiere nehmen in dieser Zeit etwa zehn Milliliter Blut auf“, erklärt die Expertin. Das ist selbst für Zuschauer kaum zu übersehen. Die kleinen Körper schwellen nach und nach bis auf das Fünffache ihrer Ausgangsgröße an, ehe sie freiwillig loslassen.

Sofort setzt die Nachblutung ein. „Die kann zwölf bis maximal 24 Stunden andauern. In dieser Zeit verlieren die Patienten noch einmal 20-30 Milliliter Blut“, berichtet Seitler, während sie ihrem Kunden den ersten Verband anlegt. In unserem Video können Sie sich die Behandlung im Detail anschauen.
Nicht schmerzhaft
Und was sagt der Kunde, der vier Blutegel in seinem Nacken angesetzt bekommen hat? „Tut nicht weh. Nur ein leichtes Piksen ist spürbar, nicht vergleichbar mit einem Insektenstich“, berichtet der Mann. Selbst der Piks verschwindet mit der Zeit. Spürbar bleiben hingegen die Bewegungen der Tiere und das Gefühl, dass etwas an der Haut saugt. Im weiteren Verlauf der Mahlzeit strecken sich die Tiere in die Länge, damit noch mehr Blut in die kleinen Körper passt.
Was danach passiert
Nachdem die Egel vom Patienten ablassen, kommen sie wieder in den Becher, danach in den Gefrierschrank, wo sie sterben. Das ist so vorgeschrieben. Damit soll ausgeschlossen werden, dass die gezüchteten Tiere erneut verwendet werden und so mögliche Erreger in den Naturkreislauf einbringen, etwa in sogenannten Gnadenteichen, die mittlerweile aber verboten sind. Blutegel können bis zu neun Jahre alt werden.
Der Patient muss in den kommenden zwölf bis 24 Stunden wegen der Nachblutung mehrfach den Verband wechseln. Verbandsmaterial gibt es von Seitler ausreichend mit nach Hause. Nach zwei Tagen kontrolliert sie selbst noch einmal die Wunden. „Die jucken sehr stark. Kratzen sollt man aber vermeiden.“

Kosten
Gesetzlich Versicherte, die die Blutegeltherapie einmal ausprobieren möchten, müssen die Kosten selbst bezahlen, oder eine Zusatzversicherung abschließen. Viele private Versicherungen übernehmen die Kosten. Wer selbst bezahlt, muss mit rund 100 Euro aufwärts pro Behandlung rechnen, je nach Anzahl der verwendeten Tiere.
„Das ist es mir wert“, sagt der Mann, der das zum ersten Mal ausprobiert und gerade vier Egel im Nacken sitzen hat. Lieber verzichte er auf andere Dinge. Sein Wohlbefinden mit weniger Schmerzen sei ihm wichtiger.
