Die Energiekrise spitzt sich zu. Ab Montag, 11. Juli, steht die große Gas-Pipeline aus Russland (Nord Stream 1) nach Europa still: Reparatur, heißt es offiziell aus Moskau. Was kommt jetzt auf die Bürger in VS zu? Was kann jeder jetzt tun? Der SÜDKURIER befragt Stadtwerke-Chef Gregor Gülpen. Er macht klar: Es werde alles Erdenkliche getan, um die Strukturen in der Region zu schützen – „und zuvorderst die Bürger“, versichert er.

„Es besteht keinerlei Grund zur Panik“, sagt Gülpen. Dass mit Herbst, Winter und Frühjahr klamme Zeiten auf alle zukommen, ist in jedem Haushalt der Region angekommen. Die verknappten Lieferungen von Gas aus Russland sorgen für steigende Preise. Wo das endet? Niemand weiß es.

Wie die Gaspreise schon zuletzt gestiegen sind

Die Preise klettern schon länger. Gregor Gülpen: „Die Gaspreisentwicklung am Spotmarkt macht klar: Im August 2021 konnte die Megawattstunde für 40 Euro eingekauft werden, die bisherige Spitze wurde am 8. März 2022 mit 216 Euro erreicht. Momentan bewegen wir uns um die 170 Euro pro Megawattstunde.“

Die Stadtwerke steuern mit Struktur in die schwierigere Zeit: „Wir haben Szenarien im Haus entwickelt, was genau wo geschehen muss, wenn weniger Gas bei uns ankommt“, sagt Gülpen im SÜDKURIER-Gespräch. Er sagt es mehrfach: „Bürger vor allem sind sogenannte geschützte Kunden. Das heißt: Bei ihnen wird das Gas nicht abgedreht.“

Die Zentrale der Stadtwerke: In diesem Büro wird alles überwacht und gesteuert. In der Netzleitstelle informiert Patric Bammert ...
Die Zentrale der Stadtwerke: In diesem Büro wird alles überwacht und gesteuert. In der Netzleitstelle informiert Patric Bammert (sitzend) den Stadtwerke-Chef Gregor Gülpen über die aktuelle Lage in den Netzen. | Bild: Trippl, Norbert

Bei den ungeschützten Kunden sei das anders, erklärt er. Dazu gehörten vor allem im ersten Schritt die ganz großen Gasverbraucher und damit die Industrie. Er erklärt auch den Vorgang, dass aktuell ein großer deutscher Vermieter nachts die Heizungen in seinen Wohnungen drosseln will. „Das ist eine rein unternehmerische Entscheidung“, sagt er.

Es gibt für VS klare Notfall-Szenarien

Details zu den VS-Szenarien hält Gülpen geheim. „Nur ganz wenige Menschen kennen dieses Papier.“ Eine kalte Stube müsse zuhause aber kein privater Gaskunde befürchten, streicht er heraus. Er hält es für „spannend“, wenn manche Regionen in Deutschland nun Wärmehallen planten. „Niemand wird frieren müssen“, sagt er.

Am selben Tag hatte sich auch der Bundeswirtschaftsminister zu Wort gemeldet: „Die Energieversorgung in Deutschland wird nicht zusammenbrechen“, hat Grünen-Minister Robert Habeck verlautbart.

Gregor Gülpen stimmt zu: „So wird es sein. Bis Mitte Januar sind wir durchorganisiert und für Anfang 2024 hat der Bundeswirtschaftsminister ja versprochen, dass Deutschland dann unabhängig sei von russischem Gas“, fasst Gülpen zusammen.

Die VS-Stadtwerke an der Pforzheimer Straße in Villingen.
Die VS-Stadtwerke an der Pforzheimer Straße in Villingen. | Bild: Trippl, Norbert

Der Stadtwerke-Chef erklärt, dass vor allem die Bundesnetzagentur hier die entscheidenden Maßnahmen treffe. Die Organisation ist dem Bundeswirtschaftsministerium angebunden, Gülpen lobt die bisherigen Vorgehensweisen der Agentur explizit.

Auch Gregor Gülpen weiß, dass die Versorgungssicherheit nur die eine Seite der Medaille ist. Geschützte Kunden seien, so erklärt er weiter, auch das Klinikum, die Polizei, Bäcker, Metzger, die Supermärkte. Alles, was direkt lebensnotwendig ist.

Zuerst werden die großen Unternehmen in Deutschland gedrosselt

Was aber geschieht, wenn in den Firmen der Gasverbrauch um zehn Prozent gedrosselt wird, ist offen. Wie sicher sind dann die Arbeitsplätze und die Einkommen der Familien? Und wie bezahlbar bleiben die Gaspreise?

Wer lang laufende Gas-Verträge hat, wäre auf der sicheren Seite. Verträge mit festgelegten Preisen laufen bei den Stadtwerken aber bis zum Oktober 2022 aus. „Längere Preisversprechen haben wir nicht“, so Gülpen. Jeder Bürger werde von den Stadtwerken als Neukunde aufgenommen und geht in die Grundversorgung. Es gibt keine Preisbindung.

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„Wir werden weiterhin faire Preise machen und verlässlich die Gesellschaft begleiten“, sagt Gregor Gülpen weiter. Er weiß: „Wir sind das entscheidende Bindeglied in der Lieferkette zum Bürger.“

Im Oktober will sich das Haus bewusst öffnen. Beim Tag der offenen Tür sollen alle Fragen beantwortet, das Miteinander mit der Kundschaft gefestigt werden. „100 Techniker sind von uns jeden Tag auf der Straße“, sagt er. Gemeint ist: Es kann eigentlich nichts anbrennen.

Wie sich die Stadtwerke als Unternehmen rüsten

Er bestätigt, dass sich auch das 220 Mitarbeiter große Haus betriebswirtschaftlich ausgerichtet hat. „Ja, wir haben mehr Liquidität aufgebaut“, sagt er. Auslöser ist dafür die Phase zwischen Energieankauf und Verkaufserlös. Hier müssen die Stadtwerke teils lange Monate überbrücken.

Erwartet wird von Gregor Gülpen, dass es auch vermehrt zu Zahlungsausfällen bei Kunden kommen könnte. Die Winterpreise können sich gerade beim Gas vervielfachen, warnte zuletzt das baden-württembergische Finanzministerium.

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Gülpen bestätigt außerdem, dass die Kunden bereits reagierten. „Wir sehen, dass der Verbrauch zurückgeht“, sagt er. Genaue Zahlen dazu gebe es noch nicht. Die Einschränkung bei den Kunden sei das richtige Signal: Werde weniger verbraucht, reichten die Vorräte in den riesigen Gaskesseln Deutschlands länger.

Gregor Gülpen plant weit voraus. Im Frühjahr 2023 werde Bilanz gezogen und die Vorbereitungen auf den Winter 2023 würden neu beginnen. Alle hoffen, dass dann schon umfangreich Gas von anderen Ländern für Deutschland eingelagert werden kann. „Mit anderen Worten: Der Winter 2022/23 wird die Nagelprobe.“

Stadtwerke werden jetzt Erzeuger

Die Stadtwerke reagieren auch anderweitig. Nach Klein-Aktionen mit Heimatstrom von Bauernhof – und Firmendächern will man klotzen. „Wir gründen einen vierten Bereich bei uns im Unternehmen. Dieser heißt Erzeugung“, sagt Gülpen.

Das heißt: Die Stadtwerke werden selbst vor allem Strom herstellen. Bislang stürzen sich nur Investoren auf die Freiflächen der Stadt und beplanken diese mit Kollektoren wie etwa an den Spitalhöfen.

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Die Stadtwerke wollen dieses Geschäft nun auch selbst betreiben. Und setzen dabei auf Ökologie. „Wir denken auch über Eisspeicher für Wohngenbiete nach und beginnen dabei die Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Anbieter, der in Deutschland über 100 solcher Anlagen betreibt.“ Auf Eigeninitiative hat sich hier beispielsweise Weilersbach vorgewagt und will ein kleines Neubaugebiet mit einer solchen Wärmeversorgung ausstatten.

Gülpen fährt erkennbar eine Strategie ohne Experimente. „Wir sind ein verlässlicher Partner“, sagt er dazu. Ein Wärmenetz der Stadt will VS bis 2045 in Teilbereichen stehen haben – vielleicht betrieben mit grünem Wasserstoff, der mit Solarenergie hergestellt werden könnte.

Entsprechende Überlegungen gibt es für den Bereich der Villinger Kläranlage. Hier sollen umliegende Wiesen mit Kollektorenfelder bestückt werden. OB Roth sagte vor einem halben Jahr, man wolle hier nicht kleckern, sondern klotzen. Inwieweit die benachbarten Orte Marbach und Rietheim von solchen Projekten profitieren können, ist ungeklärt.

Das können die Verbraucher tun

Was können Bürger noch vor dem Winter tun: Gülpen appelliert an alle Gasverbraucher, ihre Thermen im Haus warten zu lassen. Laufen die Geräte mechanisch gut und sind sie genau eingestellt, wird es mit weniger Energieaufwand genauso warm.

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Je höher der Gaspreis steige, umso schneller rechne sich dies. Die Herausforderung ist aktuell für Verbraucher jedoch, einen qualifizierten Handwerksbetrieb mit freien Kapazitäten zu finden. Wer jährlich seine Therme warten lässt, ist gut gerüstet.