Die Überschwemmungs-Katastrophe bei Ahrweiler sorgt die Menschen auch in der Region Villingen-Schwenningen. Wird wenigstens hier bei uns genug gegen Hochwassergefahren getan, lautet die bange Frage. Der SÜDKURIER hat die Stadtverwaltung damit konfrontiert: Was wird im Oberzentrum getan, um Hochwasser und Überschwemmungen nach Möglichkeit zu vermeiden?
Auch in Villingen-Schwenningen wird aktuell zusätzlich geprüft, was ergänzend zu tun ist. OB Roth lässt aktuell auch Notfallpläne ordnen für den Extremfall: „Wo gibt es größere Beherbergungsmöglichkeiten für den Fall von Evakuierungen und wo ist eine Stromversorgung noch möglich, wenn das Netz zusammengebrochen ist?“ Roth erklärte bei einem Rundgang mit dem SÜDKURIER Maßnahmen und Pläne.
Der Sinn der drei Seen
Gleich drei Wasserbecken schützen die Stadt vor Hochwasser im Bereich Goldenbühl. 100.000 Kubikmeter Wasser können hier angestaut werden. Im Gewann Steinrüttler sind die miteinander verbundenen Becken mit einer Schleuse versehen, die über Sensoren gesteuert wird.

Das Wasser, das hier abgefangen werden soll, hat ganz viel mit der Problematik bei Ahrweiler zu tun. Von der Westseite kommt Oberflächenwasser aus dem Waldgebiet zwischen Villingens Kurgebiet und Mönchweiler. Von der Seite jenseits der Bundesstraße 33 wird hier das Oberflächenwasser aus dem Bereich Mönchsee und dem Gewerbegebiet Vockenhausen abgefangen.
Geht die Schleuse im Ernstfall wirklich zu?
Sinn dieses Wasser-Managements ist es, den Krebsgraben, der später in die Brigach übergeht, nicht zu überlasten. Die Funktionalität werde regelmäßig überprüft, zum Beispiel, dass der Schieber am untersten Wasserbecken vor dem Goldenbühl auch wirklich schließt, wenn es erforderlich ist. „Diesen Test machen wir alle vier Wochen“, schildert Thomas Fricke. Er leitet die VS-Klärwerke. Alle 15 bis 20 Jahre würde ein Fachbüro zudem die Hydraulik und Steuerung genau durchprüfen, sagt er.
Regenreichster Tag der letzten Wochen in VS war nach Aussage von Diplom-Meteorologe Jürgen Schmidt von der Wetterkontor GmbH der 20. Juli in Villingen-Schwenningen. „Hier gab es 33,3 Liter auf den Quadratmeter binnen 24 Stunden“, sagt er. In Köln und in der Eifel war der regenreichste Tag der 14. Juli. In Köln kam es zu 160 Litern je Quadratmeter in 24 Stunden, in Wuppertal zu 151“, fasst er zusammen. In Bad Neuenahr und Ahrweiler lägen diese Werte bei 200 Litern je Quadratmeter an einem Tag. Fricke sagt auf Nachfrage: „Villingen-Schwenningen hatte die letzten Wochen nirgendwo ein Problem mit Wasser.“
Die doppelt geflutete Firma
Der Behördenvertreter grenzt damit die Ereignisse vom Juni aus. Hier wurde beispielsweise im Dickenhardt in Schwenningen binnen einer Woche zwei Mal die selbe Firma geflutet. Der Firmen-Chef sagte Tage nach den Ereignissen, die Stadt müsse „mehr tun“, er vertritt die Auffassung, die Abläufe seien durch vom Sturm verwehtes Geäst verstopft gewesen.

Für Thomas Fricke ist das „ein ganz anderes Thema“: die Gullys. Rund 10.000 solcher Abläufe sind nach seinen Angaben hier auf dem Stadtgebiet VS verbaut. „Wir haben da auch ein Mengenproblem“, räumt Jürgen Roth ein. Und Alexander Meister erklärt die Sache mit den Wasserläufern. Dabei handele es sich um Mitarbeiter der Stadtverwaltung, die die „einmal die Woche eine Begehung“ machten. Meister räumt ein, dass es bei den Abläufen auch ein Müllproblem gebe. Immer wieder würden die Siebe entnommen und gespült.
Was jeder Privateigentümer tun kann
Kann der Privateigentümer etwas tun? Ja, sagt der Oberbürgermeister. „Oft werden vor Garagen die Abläufe vergessen. Eine Doppelrinne hier kann sich stark auswirken“, sagt Roth. Verzicht auf versiegelte Privatflächen sei „natürlich noch viel besser“, ergänzt er.

Die Hochwasser-Abwehr von Villingen-Schwenningen beginnt bereits im Wald: Die Fürsorge um die Bewältigung des Niederschlags beginnt im Oberzentrum auch bereits im Wald. „Wir setzen hier bewusst speziell ausgewählte Vollernter ein. Diese müssen auf breiten Reifen fahren, Holzabfuhr und Rücke-Gassen sind auf Minimierung der Belastung der Natur ausgelegt“, sagt Oberbürgermeister Jürgen Roth.
In der Eifel wird nach der Hochwasser-Katastrophe auch darüber diskutiert, ob Oberflächenwasser zu schnell aus den Wäldern abgeflossen sein könnte, weil der Waldboden zu sehr durch Großmaschineneinsatz verdichtet sein könnte. „Das passiert bei uns nicht“, ist sich auch Alexander Meister sicher. Er ist für die städtische Gewässerunterhaltung zuständig.
Welche Vorgaben gibt es ab Januar?
Jürgen Roth sagt auf dem Rundgang durch die Stadt, er sei sich „sicher, dass im Januar neue Werte vorliegen werden“, an denen sich die Gemeinden orientieren müssen. Auf die SÜDKURIER-Frage, ob etwa bei der jüngst abgeschlossenen Sanierung der Brunnenstraße in der Innenstadt bereits Konsequenzen beim Abwassermanagement gezogen worden sein. Die Frage wird so beantwortet: „Wir hatten vorher ein 100er-Kanalrohr drin und jetzt ist auch wieder ein 100-er-Rohr drin“, sagt der OB. Reicht das aus, wenn es künftig vermehrt zu Starkregen kommen könnte? Thomas Fricke ist sicher, dass es ausreicht. Er begründet das so: Das City-Abflusswasser werde Richtung Brigach geleitet, dieser Weg funktioniere sehr gut. Allerdings gab es vor Jahren bereits eine überflutete Niedere Straße im Bereich der Kapuzinergasse.

Fricke deutet aber unmissverständlich an, dass es auch eine gewisse Chancenlosigkeit gebe, wenn sich der Regen so ballt, wie zuletzt bei Ahrweiler. „Wir sind hier auf ein 100-jähriges Hochwasser ausgerichtet, alles was darüber hinausgeht, ist nicht mehr steuerbar. 100-jähriges Hochwasser heißt, dass in betroffenen Gebieten nur einmal alle 100 Jahre ein solches Ereignis vorkommen wird. Soweit die Annahme.
Wirklich nur alle 100 Jahre?
Nach Ahrweiler wird allerdings bundesweit darüber debattiert, ob solche Kategorisierungen überhaupt noch zeitgemäß sind. Dass in der Region gehandelt wird, wurde nach dem Hochwasser an der Breg 1990 deutlich. Vor Bräunlingen wurde der Bach mit einem Damm zur Stadtseite flankiert, in Wolterdingen wurde die Bregsperre errichtet, die das Donauhochwasser bis Sigmaringen und Ulm im Extremfall verhindern können soll.

In der Eifel, aber durchaus auch aktuell im Tessin, zeigt sich, dass vor allem talwärts fließende, kleine Bäche plötzlich zum enormen Problem werden können. Martin Straßacker ist Ortsvorsteher in Pfaffenweiler. Er ist dort aufgewachsen. Der Wolfsbach, der am Ortende teils nahe an Gebäuden vorbeifließt, sei seiner Erinnerung nach noch nie ein Problem gewesen.
Die Überlauffläche des Warenbachs
Rückwärtig an der Südstadt entlang murmelt der Warenbach parallel zur Weiherstraße in Richtung Schwedendamm. „Hier ist das umliegende Naturschutzgebiet die Auffangfläche“, erläutert Alexander Meister. Weiterer Schutz sei hier kaum machbar, die Mündung des Warenbachs in eine mit viel Wasser dahinfließende Brigach sei ohnehin problematisch, erläutert der Gewässerfachmann und erklärt. Bei Brigach-Hochwasser könne das Warenbachwasser eigentlich überhaupt nicht in die Brigach einfließen, das liege einerseits am Niveauunterschied der beiden Wasserpegel bei Hochwasser und andererseits bei der dann erhöhten Fließgeschwindigket der Brigach.
Dass es zuletzt am Warenbach immer wieder zu Überflutungen der Rententionsflächen kam, sei gut. „Wasser muss im Idealfall dort versickern, wo es ist“, sagt Alexander Meister.
Das Wiesen-System am Steppach
Eine andere Problemstelle in Villingen sei mit dem Steppach gelöst. Das einst begradigt Richtung Schwalbenhaag dahinfließende Kleinstgewässer habe trotzdem immer wieder für Hochwasser im Wohngebiet Steppach gesorgt. Die Wieselsbergstraße fungiere vor dem Schwalbenhaag mit seinen Hochhäusern heute als Damm. Der Steppach sei mittlerweile so zurückgebaut, dass er mit leichten Biegungen eine deutlich verminderte Fließgeschwindigkeit habe, erklärt Alexander Meister.
Beim Rückbau an die Kinder gedacht
Das flache Ufer diene nicht nur dem Hochwasserschutz, erklärt der Gewässerexperte. „Wir machen das auch so, dass hier Kinder gefahrlos spielen können“, sagt er. Der Bach fließt vorgelagert zum Wohngebiet parallel zur Straße nach Nordstetten leicht talwärts. Auf der Strecke vor dem Wohngebiet Steppach sei das Wiesenland in zwei Hälften aufgeteilt. „Wir bewirtschaften die Hälften wechselweise, ein Jahr mähen wir den oberen Teil, dann den unteren“, schildert Meister. So wolle man der Natur mit vielen Klein- und Kleinstlebewesen Rückzugsgebiete belassen. Jürgen Roth fügt begeistert hinzu: „Die Sträucher am Bachufer haben ebenfalls eine wichtige Funktion, sie beschatten das Gewässer und sorgen so für die gewünschten Lebensraum-Bedingungen.“

Die Details des Hochwasserschutzes sind mannigfaltig. Trotzdem bedrohen Unwetterlagen die sorgsam ausgetüftelten Konzepte. Meister macht aber klar, dass auch der Faktor Mensch für viele Probleme sorge. Immer wieder würden Anwohner Grünschnitt am Bachufer ablagern. Er formuliert das appellierend aber doch wie einen Aufschrei: „Das geht gar nicht. Diese Gartenabfälle schwemmt es bis zur Wieselsbergstraße an den Durchlass. Dort verstopft es dann die Gitter und die Bürger beschuldigen die Stadt, nicht zu reagieren.“ Er bittet dringend darum, solche Gedankenlosigkeiten zu unterlassen und fordert Spaziergänger und Radler auch dazu auf, Beobachtungen zu solchen illegalen Entsorgungen rasch zu melden. „Das muss schnell weg, bevor es ein Problem wird.“
Ein Damm ist mehr als ein Erdwall
Die Dämme und Durchlässe unter Straßen hindurch sind technisch hochgradig ausgeklügelte Systeme. Was der Bürger als Böschung oder Wasserrohr wahrnimmt, ist Detailarbeit par excellence. Oder wer hätte gewusst, dass in Dämmen wie hier oder vor dem Goldenbühl auch Biberschutz eingebaut ist. Das heißt dann genau, dass unter der Grasnarbe Gittersysteme am Hang einbaut sind, auf dass der geschützte Nager nicht den Damm unterhöhlen kann.
Was heißt Ahrweiler für die Planung der neuen VS-Baugebiete? Rathaus-Chef Roth erklärt es am Beispiel vom Oberen Brühl auf dem Kasernengelände und von Lämmlisgrund gegenüber vom Neuen Markt: Ziel sei es, Regenwasser an Ort und Stelle versickern zu lassen. Hierfür würden spezielle Muldengebiete zwischen den Privatgrundstücken angelegt, die je nach Saison unter Wasser stünden oder ausgetrocknet aber in jedem Fall am schilfähnlichen Bewuchs erkennbar seien.
So wird Wasser aus den Gewerbegebieten gereinigt
Klar wird beim Rundgang auch: Mit vergleichsweise geringen Investitionen können enorme Schadensdimensionen verhindert oder zumindest reduziert werden. Für viele Maßnahmen gibt es schon bislang enorme Zuschussquoten von Bund und Land. In der Region Ahrweiler stehen bereits jetzt, noch Monate vor einer genauen Rechnung, zweistellige Milliardensummen fest, die zur Schadensbehebung aufgewendet werden müssen.
Und was ist mit den VS-Gewerbegebieten? Jürgen Roth, Thomas Fricke und Alexander Meister steuern das Regenauffangbecken an der Straße zum Neuen Markt unterhalb vom neuen Freizeitpark in Villingen bei der Skaterbahn an. Hier werde das Oberflächenwasser der Salzgrube gereinigt. Fricke macht unumwunden klar, dass dies eine Spezialanwendung ist. „Dieses Regenwasser ist behandlungsbedürftig“, führt er aus und verweist auf die Hinterlassenschaften des Schwerverkehrs. Investiert habe die Stadt hier für das so genannte Regenkehrbecken 1,1 Millionen Euro inklusive Planungskosten, stellt er auf Nachfrage klar.
Die Schwarzbau-Brücken im Strangen
Alle Bemühungen der Verwaltungen sind nichts, wenn sie gestört werden. Sie wie im Schwenninger Wohngebiet Strangen. Auch hier führt ein Trockenbach zur Ableitung von Oberflächenwasser entlang der Privatgrundstücke. Zigfach haben Anwohner illegal die Rinne mit Brücken überbaut. Die Stadt lässt diese nun zurückbauen. Auch hier droht Verstopfungsgefahr bei Starkregen.

Zusätzlich wurden hier Bachbereiche von Anwohnern mit Folien ausgelegt, wohl im Bestreben, ein Ausschwemmen der Böschungen zu verhindern. Das Wasser versickert auch deshalb nicht mehr an Ort und Stelle und schießt stattdessen auf der Folienoberfläche umso mehr dahin. Muren am Ende der Bebauungsgrenze zeugen von gestörter Funktion des Bachlaufs. Direkt neben dem abgeschwemmten Material steht eine Garagenlandschaft für die Bewohner, die hier offenkundig ihre eigenen Immobilien den Gefahren von Schlamm und Geröll aussetzen.