Der Schock muss groß gewesen sein, als der Pächter des Barchetsees im Thurgau am 13. Dezember 2007 direkt neben dem Holzsteg etwas höchst Seltsames im Wasser entdeckte. „Zuerst habe ich an unsachgemäß entsorgten Abfall gedacht“, sagte er später der Polizei. Bei genauerem Hinsehen erkannte er Arme und Beine einer Leiche, die bäuchlings an einen Betonblock gebunden war. Beim Toten handelte es sich um den 27-jährigen Ägypter Karm A.

16 Jahre später müssen sich der 63-jährige Schweizer Amin N. und den 59-jährigen Italiener Mario S. (Namen der Beschuldigten geändert) vor dem Bezirksgericht Frauenfeld verantworten.

Sie sollen Karm A. im Auftrag von dessen um 27 Jahre älteren Ehefrau Veronika M. – einer gebürtigen Deutschen – mit vier Schüssen getötet und anschließend im Barchetsee versenkt haben. Doch warum das alles?

Morddrohungen als Motiv?

Aus dem Plädoyer des Staatsanwalts ergeben sich neue, bisher unbekannte Hintergründe: Demnach sei Karm A. in der Schweiz und in Deutschland wegen häuslicher Gewalt und tätlicher Übergriffe mehrfach inhaftiert gewesen.

Ein Jahr vor der Tat zeigte Veronika M. ihren Mann bei den deutschen Strafbehörden an, am nächsten Tag wurde er festgenommen. Zur selben Zeit schrieb sie dem Ausländeramt einen Brief, den der Staatsanwalt vor Gericht verliest: „Mein Mann hat mich mehrfach körperlich misshandelt und droht mir, mich umzubringen.“

Nach seiner Haftentlassung müsse sie mit weiteren Bedrohungen rechnen. Nicht nur die Sexualdelikte gegen sie hätten sich gehäuft, sondern Karm A. sei auch immer brutaler gegen sie vorgegangen. „Heute weiß ich, dass er Drogen konsumiert, ältere Frauen um Geld betrügt und junge Frauen sexuell missbraucht“, schrieb Veronika M. weiter. Sie ersuchte die Behörde, das Asylgesuch ihres Mannes in Deutschland abzulehnen.

„Sie hat versucht, ihren Mann loszuwerden“

Zwei Tage nach dem Brief verurteilte das Amtsgericht Waldshut-Tiengen Karm A. wegen Misshandlung seiner Ehefrau zu einer 15-monatigen Bewährungsstrafe. Er tauchte in Deutschland unter und kehrte dann laut Staatsanwaltschaft offenbar zu seiner Frau in die Schweiz zurück. Diese beauftragte zu ihrem Schutz einen Privatdetektiv und besorgte sich Pfefferspray, einen Elektroschocker und Handschellen.

„Er wird mir nie verzeihen, dass er wegen mir im Gefängnis war, und wird seine Morddrohung gegen mich und meine Tochter umsetzen. Ich werde erst sicher sein, wenn er weit weg von mir ist“, befürchtete Veronika M. in einer E-Mail an das Ausländeramt. „Damit hat sie – salopp gesagt – versucht, ihren Mann loszuwerden“, sagt der Staatsanwalt.

Er verweist zudem auf drei nur kurz rund um die Tatzeit genutzte Zweitnummern des verdächtigen Trios mit fast identischen Rufnummern außer der letzten Ziffer: 91 für Mario S., 92 für Amin N. und 95 für die fünf Jahre nach der Tat verstorbene Veronika M. Diese Rufnummern sollen sie extra für die Tötungspläne als Paket erworben haben.

Vertrauensverhältnis vorgegaukelt?

Die beiden Verteidiger sehen keinerlei Belege für einen durch ihre Mandanten ausgeführten Mord und fordern vollumfängliche Freisprüche, Genugtuung und Schadenersatz. Die Staatsanwaltschaft habe die Strafuntersuchung völlig einseitig geführt und „nur belastende Elemente zuungunsten der Beschuldigten gesucht“, kritisiert Anwalt Markus Oertle. Entlastende Faktoren habe sie vernachlässigt.

Der Barchetsee liegt in der Gemeinde Neunforn im Schweizer Thurgau, rund 10 Kilometer südlich von Gailingen am Hochrhein. Hier soll die ...
Der Barchetsee liegt in der Gemeinde Neunforn im Schweizer Thurgau, rund 10 Kilometer südlich von Gailingen am Hochrhein. Hier soll die Leiche des gebürtigen Ägypters Karm A. versenkt worden sein. | Bild: Yü Lan – stock.adobe.com, Kantonspolizei Thurgau; Collage: SK

Auch der Einsatz der verdeckten Ermittler ‚Momo und ‚Joe‘, denen Amin N. die Ermordung von Karm A. mit laut Staatsanwalt „exklusivem Täterwissen“ ausführlich gestanden hatte, sei unzulässig gewesen. „Aussagen sollten erschwindelt werden, indem ein Vertrauensverhältnis vorgegaukelt wurde“, sagt Oertle. Er führt an, das Schweizer Bundesgericht habe im ähnlich gelagerten Wahrsager-Fall unmissverständlich klargestellt, dass ein von verdeckten Ermittlern abgepresstes Geständnis nicht verwertbar sei vor Gericht.

Rechte von Beschuldigten umgangen?

Der Staatsanwalt betont in seinem Plädoyer, die Fälle seien nicht vergleichbar. Im Wahrsager-Fall habe eine verdeckte Ermittlerin als Wahrsagerin jahrelang eine psychische Drucksituation und ein verbotenes Abhängigkeitsverhältnis gegen einen Mordverdächtigen aufgebaut, was hier nie der Fall gewesen sei.

Oertle – selbst jahrelang Staatsanwalt – hält erneut dagegen: „Geheime Zwangsmaßnahmen sind nie zulässig, um die Rechte von Beschuldigten, insbesondere das Aussageverweigerungsrecht, zu umgehen.“

Gesundheitliche Probleme als Alibi?

Der zweite Verteidiger, Thomas Häusermann, sieht in dem schweren Rückenleiden und einer Arztbestätigung ein „glasklares Alibi“ für Mario S. Dieser sei „schlicht dazu verdammt“ gewesen, zur Tatzeit mehrere Tage im Bett zu liegen und starke Medikamente einzunehmen.

Hier liegt der Barchetsee
Hier liegt der Barchetsee | Bild: Maptiler/SK

Deshalb könne er keine 80 Kilo schwere Leiche und keinen Betonblock zum Barchetsee getragen haben. Das Gericht habe seinen Mandanten aus diesen Gründen nach drei Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen.

Doch der Staatsanwalt macht geltend, Mario S. habe sich schon öfter bei seinem Arbeitgeber wegen Rückenschmerzen krankgemeldet, um sich dann mit seiner Geliebten zum Sex zu treffen. Das gehe aus Telefonüberwachungen und Observationen eindeutig hervor.

Urteil wird für Montag erwartet

In seinem Schlusswort sagt Mario S.: „Ich bitte um ein faires Urteil.“ Und der Hauptbeschuldigte Amin N. erklärt: „Ich bin total unschuldig bei dieser schrecklichen Sache. Ich bin kein Krimineller.“

Das Urteil soll am Montagnachmittag fallen. Bei einem rechtskräftigen Schuldspruch droht den Beschuldigten eine lebenslange Freiheitsstrafe.