Wie gefährlich sind die Schweizer Berge für Wanderer? Diese Frage stellte sich wohl so mancher angesichts der Schreckensmeldungen aus dem Alpsteingebirge, wo innerhalb weniger Wochen fünf Menschen tödlich verunglückt sind.

Der Schweizer Alpen-Club (SAC) veröffentlicht jedes Jahr eine Statistik zu den Bergnotfällen in der Schweiz. Valide Zahlen für das laufende Jahr hätten sie noch keine, sagt Bruno Hasler dem SÜDKURIER auf Nachfrage. Er verantwortet beim SAC die Bergnotfallstatistik, mit der sowohl Unfälle beim Wandern, als auch Klettern oder auf Skitouren erfasst werden.

Wie viele Wanderer sind 2021 verunglückt?

Für 2021 musste der SAC dabei einen neuen Rekord verkünden: In den Schweizer Alpen und im Jura gerieten in dem Jahr 3680 Personen in eine Notlage oder sind verunglückt, sodass sie von der Bergrettung geborgen werden mussten. Wanderer machten dabei rund 40 Prozent der Fälle aus. Bei allen Bergsportarten zusammengenommen verunglückten 131 Menschen tödlich.

Mit Blick auf tödliche Unfälle, die explizit beim Bergwandern geschahen, sagt Hasler: „Es steigt stetig.“ Vergangenes Jahr starben 68 Wanderer. So viele wie im gesamten Beobachtungszeitrum seit 1984 noch nie in einem Jahr. In den vier Jahren vor 2021 waren es jeweils rund 55.

Warum gab es 2021 so viele Unfälle in den Alpen?

Über die Gründe für diesen Trend, kann Hasler nur Vermutungen anstellen. „Vergangenes Jahr waren wir noch mitten in der Corona-Pandemie. Da haben viele nicht im Ausland Urlaub gemacht. Wir haben dazu keine Bewegungszahlen, aber ich gehe stark davon aus, dass deshalb viele wandern gegangen sind.“ Darunter womöglich viele ungeübte Wanderer, die sonst im Sommer eher am Strand liegen, als dass sie Gipfel erklimmen.

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Wo stürzen in der Schweiz die meisten Wanderer in den Tod?

Hierzu hat der SAC eine statistische Auswertung für Alpin- und Bergwanderungen zusammengestellt. Dabei zeigt sich, dass im Zeitraum von 2012 bis 2021 die meisten Todesopfer in den Zentralschweizer Alpen zu beklagen waren, nämlich 101.

Auf Platz zwei folgten die Walliser Alpen mit 75 tödlich Verunglückten. Danach bereits die Ostschweizer Alpen mit Alpsteingebirge und Churfirsten, wo zwischen 2012 und 2021 68 Alpin- oder Bergwanderer gestorben sind, gleich viele wie im selben Zeitraum in den Bündner Alpen.

Was aus der Statistik nicht herauszulesen ist: Während sich die tödlichen Wanderunglücke etwa im Wallis und in Graubünden auf das ganze Kantonsgebiet mehr oder weniger gleichmäßig verteilen, konzentrierten sie sich in der Zentralschweiz auf den Berg Großer Mythen und in der Ostschweiz meist auf das Gebiet zwischen Ebenalp, Äscher, Schäfler und Seealpsee, so SAC-Experte Hasler.

Warum gibt es diese Häufung an tödlichen Unfällen im Alpstein?

Hasler erklärt sich diese Häufung damit, dass sowohl der Große Mythen als auch das Gebiet um das Berggasthaus Aescher im Alpstein Touristenmagnete sind. „Es gibt sehr viele Leute, die dort unterwegs sind.“ Allerdings handele es sich bei beiden Wanderdestinationen um keine ungefährlichen Orte.

„Beim Mythen ist klar: Ein Fehltritt und man ist tot.“ Aber auch im Gebiet Äscher könne ein Strauchler schnell tödlich enden. „Ich gehe davon aus, dass einige Leute gar nicht in Erwägung ziehen, dass man dort abstürzen kann. Gerade im Sommer, so meine Vermutung, unterschätzen die Leute die Wanderwege, weil es dort viele Wiesen hat. Aber nach der Wiese kommt der Felsen und dann ist fertig.“

Das Berggasthaus Aescher im Alpstein.
Das Berggasthaus Aescher im Alpstein. | Bild: Marcel Jud | SK-Archiv

Das Problem sei, dass die Statistik nur die Anzahl Abstürze wiedergibt, nicht die Gründe dafür. Auch medizinische Gründe könnten für einen Sturz ursächlich sein, gerade bei älteren Wanderern. „Aber es macht keinen Sinn, jeden abgestürzten Wanderer zu obduzieren, um herauszufinden, ob er vielleicht einen Schlaganfall hatte.“

Ist die Infrastruktur schuld an den Unfällen?

Nach den tödlichen Unfällen der vergangenen Wochen im Alpstein kam die Frage auf, ob die Wege dort besser gesichert werden müssten. Ein Wanderwegexperte kritisierte die Strecke zwischen Aescher und Seealpsee sogar scharf.

„An der Infrastruktur liegt es sicher nicht. Eher an den Leuten“, sagt hingegen Hasler. Die Wanderwege seien in der Schweiz in der Regel sehr gut ausbaut und markiert. Er verweist vielmehr auf eine Studie der Schweizerischen Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU).

Bruno Hasler, Bergführer und Verantwortlicher Bergnotfallstatistik beim Schweizer Alpen-Club (SAC)
Bruno Hasler, Bergführer und Verantwortlicher Bergnotfallstatistik beim Schweizer Alpen-Club (SAC) | Bild: Schweizer Alpen-Club SAC | Club Alpin Suisse CAS

„Die BFU schreibt ganz klar, und das kann ich nur bestätigen, dass die meisten Leute nicht wissen, was die Markierungen von Wanderwegen bedeuten.“ Hinzu komme, dass sich viele selbst überschätzten und die Berge unterschätzten.

„Bergwandern ist kein Spaziergang“, betont Hasler, indem er den Namen einer aktuellen BFU-Kampagne leicht abändert, die unter anderem für die Risiken beim Bergwandern sensibilisieren will.

Die verschiedenen Wege in den Schweizer Bergen

Wer verunglückt in der Schweiz am häufigsten tödlich?

Die SAC-Zahlen zu Bergunfällen zeigen klar: Am häufigsten verunglücken Menschen ab 50 Jahren in den Schweizer Bergen tödlich. Betrachtet man alle Bergsportarten zusammen, machten sie mehr als die Hälfte der 131 Fälle im Jahr 2021 aus.

Das scheint auch auf Alpin- und Bergwanderer zuzutreffen. Hier liegen genaue Zahlen nur für den Zeitraum von 2011 bis 2020 vor. In dieser Zeit starben bei Alpin- oder Bergwanderungen 503 Menschen in der Schweiz. 308 waren 50 oder älter.

Was sich aus der Statistik für die Jahre 2011 bis 2020 ebenfalls herauslesen lässt: „Üblicherweise sind es Männer, sie machen 71 Prozent der tödlichen Unfälle aus“, so Hasler.

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Warum sind vor allem Ältere davon betroffen?

Doch warum verunglücken Ältere so viel häufiger als Jüngere? „Ich habe die Vermutung, dass 30- und 40-Jährige nicht so oft in den Bergen sind wie ältere“, sagt der SAC-Experte.

Allerdings hätten gerade Menschen, die älter als 60 oder 70 sind, auch „ein größeres Koordinationsproblem als Jüngere.“ Wenn sie stolpern, so Hasler, „stürzen sie eher als 20- oder 30-Jährige, die entweder gar nicht ins Fallen kommen oder sich auffangen können.“

Das zweite Problem aus seiner Sicht: „Viele gehen mit Stöcken wandern, weil sie Probleme mit der Hüfte haben. Das ist zum einen gut, auch für das Gleichgewicht. Aber eben auch schwierig, da man nicht nur zwei Beine, sondern zusätzlich die beiden Stöcke koordinieren muss.“ Und so können Stöcke auch zur tödlichen Stolperfalle werden. Worauf Ältere vor und während des Wanderns achten sollten, hat der SÜDKURIER in diesem Artikel zusammengefasst.

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