Die Band Samurai Pizza Cats verantwortet ein Musikvideo („Pizza Homicide“), in dem ein Lieferbote grausame Rache am Kunden übt. Das Ehepaar hatte sich erdreistet, eine Pizza Hawaii zu bestellen. Ananas, so die Aussage, hat nichts auf einer Pizza verloren. Aus zivilisatorischen Gründen sollte man froh darüber sein, dass die Musiker aus Castrop-Rauxel das aktuelle Sortiment von Domino‘s Pizza nicht kennen.

Da fänden sie deren Prime Burger Pizza mit Ketchup, Hack-Bröseln (Beef Crumble) und Mayonnaise. Oder die mit veganen Stücken Hähnchen-Style und Cocktailsoße. Oder die Bombay-Version, bei der Hähnchen, Ananas und Currysoße auf den Teigfladen kommen. Und dann wäre da noch die Crazy Dog: Die bewirbt das US-Unternehmen, das nach eigenen Angaben 420 Franchise-Betriebe in Deutschland unterhält, geradezu hymnisch: „Mit zarten Würstchenscheiben, eingelegten Gurken, Röstzwiebeln und dänischer Remoulade.“

Kombinieren, was man gerne isst

Ein Einzelfall? Mitnichten. Gerichte, die wirken, als hätte man einem Vierjährigen erlaubt, in der Küche einfach mal alles zusammenzuwerfen, was er gerne isst, boomen gerade landauf, landab. Beim SV Weidenhahn (Kreisliga Westerwald) serviert man in der Halbzeit Pommes mit Nutella.

In der Ferienanlage am Weißenhäuser Strand (Schleswig-Holstein) gibt es Pizza mit Baked Beans, in Berlin schon seit Jahren die Pizza Kreuzberg: mit Dönerfleisch. Kein Wunder, dass sich das Drehspieß-Imperium rächt: Nicht nur in Dresden kann man Döner Hawaii bestellen. Und in vielen Regionen packen Kebap-Imbisse eine pappsüße, aus Ketchup und Mayonnaise zusammengerührte Soße aufs Fladenbrot.

Das könnte Sie auch interessieren

In Berlin heißt die zuweilen Kräutersoße, wahrscheinlich, weil keine Kräuter drin sind. Derweil wurde im Ruhrgebiet der Taxi-Teller erfunden, der Currywurst und Pommes-Schranke (Ketchup und Mayonnaise) mit Gyros und Zaziki kombiniert.

Gyros? Döner? Hauptsache Italien, dachte sich womöglich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die gewiss in einer anderen Partei wäre, wenn sie den Ethno-Mix auf dem Teller nicht so schön symbolträchtig fände. „Ich liebe Deutschland, weil Pommes-Schranke auf dem Dönerteller unschlagbar ist“, schreibt die Außenministerin: „Weil uns unsere Vielfalt nicht nur am Imbissstand stärkt. Wir sind ‚mit alles und scharf‘.“

Pommes Schranke ist eine Erfindung aus dem Ruhrgebiet.
Pommes Schranke ist eine Erfindung aus dem Ruhrgebiet. | Bild: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Natürlich kann man als Ministerin ein gedeihliches Zusammenleben aller Kulturen nur begrüßen, und auch kulinarisch möchte kaum jemand in die Zeiten zurück, als Tikka Masala oder Gyros Pita noch als exotisch galten. Aber müssen es wirklich alle Geschmacksrichtungen der Welt gleichzeitig sein – und zwar in einem einzigen Gericht vereint? Folgt auf die Fusion-Küche, die den Anspruch hat, das Beste aus allen Welten sinnvoll zu kombinieren, gerade die Confusion-Küche?

Nachdem sie sich bewundernswert geduldig Beispiele kulinarischer Merkwürdigkeiten angehört hat, zeigt Hanni Rützler eine erstaunlich gelassene Reaktion. Sie sehe den Weltuntergang nicht gekommen, nur weil bei Jugendlichen „alles mit allem“ derart im Trend ist, sagt die Food-Trend-Forscherin aus Wien. „Für Kulturpessimismus besteht kein Anlass, zumal auch Ältere in ihren Blasen leben.“

Trendforscherin Hanni Rützler bei einer Verkostung.
Trendforscherin Hanni Rützler bei einer Verkostung. | Bild: EPA/David Parry/PA Wire/dpa

Überhaupt sei nichts dagegen einzuwenden, wenn vor dem Kochen mal nach rechts und links geschaut werde. London habe davon im vergangenen Jahrhundert beispielsweise sehr profitiert. Und unter Gourmets sei Hybrid Food, also das Zusammenspiel verschiedener Esskulturen, ein abendfüllendes Thema: „Auch da wird gemixt und gekreuzt. Und was dabei herauskommt, kann oft sehr gut sein.“

Das beste Beispiel sei die Ceviche, ein ursprünglich aus dem Anden-Raum stammendes Gericht aus rohem Fisch, das „heute japanisch-asiatische und lateinamerikanische Elemente vereint“.

Aber wie erklärt sie sich das Bedürfnis, Hot Dog, Gyros und Pizza zu essen? Oder Gouda in Instant-Asia-Nudeln aufzulösen, die man kurz zuvor mit heißem Wasser aufgegossen hat? Rützler, die von „schreienden Gerichten“ spricht, hätte da einen Verdacht. „Heute machen sich viel mehr Menschen als früher Gedanken über hochwertig produzierte Lebensmittel und eine Küche, in der Fleisch allenfalls noch eine Nebenrolle spielt.“

Das könnte Sie auch interessieren

Doch jeder Trend führe zu einer Gegenentwicklung. „Und im Fastfood-Bereich sieht man das zuweilen“, sagt Rützler. Ein Beispiel seien fünfstöckige Burger. Zudem gehe mit dem Internet-Zeitalter eine Amerikanisierung des Alltags einher. In den USA heiße die Devise oft: „Wenn man vieles miteinander kombiniert, was gut ist, kommt als Ergebnis etwas dabei heraus, das dann noch besser ist.“

Zum Beispiel ein italienisch anmutendes Schichtdessert. Plus Karamell, plus Streusel, plus Sahne. Schmeckt beliebig, lässt sich aber gut fotografieren. „Früher schrieb man halt eine Postkarte aus dem Urlaub. Heute versendet man Bilder vom Abendessen im Urlaubsort“, stellt Rützler fest.

Keine schreienden Gerichte in Überlingen

Im Landgasthof „Adler“ in Überlingen gibt es weder Burger noch Pizza. Aber Hechtklößchen, Krautwickel, Kalbszunge oder Rehragout. Und da für Restaurantchef Benjamin Danzeglocke „ehrliche Soßen und Brühen einfach die Basis von gutem Essen“ sind, werden die viele Stunden lang mit Knochen und Röstgemüse angesetzt.

„Das Leben ist zu kurz, um schlecht zu essen“, sagt Danzeglocke, der auch Vorsitzender der Fachgruppe Berufsbildung beim Hotel- und Gaststättenverband im Bodenseekreis ist und für die IHK Prüfungen abnimmt. „Bei vielen Jugendlichen habe ich aber den Eindruck, dass Essen nur noch etwas rein Pragmatisches ist. Was man isst, ist eher egal.“

Ist Instagram Schuld?

Auch Danzeglocke hält Instagram und Co. für einen Treiber der Confusion-Küche. „Man macht ein Foto und hat wenige Sekunden später die ersten Reaktionen. Aber man hat ein Gesprächsthema.“ Doch den Trend zu schnellen, wirren Essenskombinationen hält er auch für die Folge einer gesellschaftlichen Entwicklung, an der seine eigene Branche ihren Anteil hat. 80 bis 85 Prozent seiner Kollegen, schätzt er, machen ihre Soßen aus Tüten und Halbfertigprodukten. Teils, weil sie es nicht anders können oder wollen. Teils aus schierer Personalnot.

Es geht auch ohne: Ajshe Sokoli und Thomas Lempert vom Landgasthaus „Scherrhof“ verzichten auf Burger und Handy-Empfang.
Es geht auch ohne: Ajshe Sokoli und Thomas Lempert vom Landgasthaus „Scherrhof“ verzichten auf Burger und Handy-Empfang. | Bild: Christoph Ruf

So oder so, der Anteil der Menschen, die auch privat so kochen wie das Gros der Gastronomen, dürfte nicht gering sein. Und das hat Folgen: „Bei den Menschen, die über lange Zeit Dinge mit Geschmacksverstärkern essen, geht der subtile Geschmackssinn verloren. Es ist leider ein generelles Problem, dass die Menschen sich zunehmend an Fastfood und Fertigprodukte gewöhnen.“

Ein Restaurant ohne Netz und Burger

Der „Scherrhof“ liegt mitten im Wald, irgendwo bei Baden-Baden. Es gibt hier oben keinen Handy-Empfang. Und keine Burger. Ajshe Sokoli und Thomas Lempert, die den Landgasthof betreiben, fänden das zu langweilig. „Wir machen alles selber: Fleischküchle, Maultaschen, Spätzle, die Salatsoße“, sagt Lempert, der am Vortag 25 Kilo Boeuf bourguignon zubereitet hat, viereinhalb Stunden lässt er es schmoren, bis es butterzart ist.

Sollte es tatsächlich 2024 noch möglich sein, ein Familienrestaurant zu führen, das ohne Burger auskommt? Und vor allem: ohne Netz? Die beiden nicken. Über ihr Essen habe sich noch kein Kind beschwert. Und ohne Handy passiere Erstaunliches: „99 Prozent unterhalten sich plötzlich mit ihren Eltern und merken gar nicht mehr, dass ihnen etwas fehlt.“