Es ist noch gar nicht so lange her, da hätte man die Meldung für einen Witz gehalten: ein Biergarten in München, in dem ausschließlich alkoholfreies Bier ausgeschenkt wird? Na klar. Und auf Sylt üben sie Riesen-Slalom. Anno 2024 sorgt die Tatsache, dass der Pop-up-Biergarten „Die Null“ im Sommer gute Geschäfte im Herzen der bayrischen Biermetropole gemacht hat, allenfalls noch für Erheiterung, aber nicht mehr für ungläubiges Staunen.

Zumal auch im Rest der Stadt ein Bier ohne Alkohol („Augustiner alkoholfrei“) das Kultgetränk des Sommers war, wie die Süddeutsche Zeitung unter dem Titel „Geplünderte Laster, geklaute Gläser“ berichtete.

München ist überall: 556 Millionen Liter alkoholfreies Bier wurden in Deutschland 2023 hergestellt – ein Plus von 109 Prozent in den vergangenen zehn Jahren. Die gleiche Entwicklung ist seit einigen Jahren beim Wein zu beobachten: Nachgefragt werden zunehmend alkoholärmere Flaschen, auch das Interesse an alkoholfreiem Wein und Sekt ist deutlich gewachsen. Und das hat Folgen für die Gastronomie, und nicht immer sind die positiv.

Den Preis fürs Mineralwasser, behaupten viele Wirte, hätten sie auch deshalb teils drastisch erhöhen müssen, weil viele Gäste sich den ganzen Abend an einer Flasche Wasser festhielten und auf andere Getränke verzichteten.

Der richtige Wein kitzelt entscheidende Prozente raus

In der Spitzengastronomie wird hingegen zunehmend nach Alternativen zum Wein gefragt, der seit jeher als optimaler Begleiter erlesener Speisen gilt. Die meisten Sterne-Restaurants in Deutschland bieten deshalb traditionell „Weinreisen“ an, bei denen jeder Gang mit einem passenden Glas begleitet wird.

„Auf einem gewissen Niveau“, sagt auch Jan Hartwig vom Münchner Drei-Sterne-Restaurant „Jan“, „ist ein Gericht nur noch dadurch zu toppen, dass der Wein perfekt dazu passt. Das sind die letzten drei Prozent, die du mit einem korrespondierenden Getränk noch herausholen kannst.“

Jan Hartwig
Jan Hartwig | Bild: Uli Deck

Michael Stiel sieht das ähnlich, er findet jedoch, dass nicht unbedingt ein Wein das Getränk sein muss, das ein Gericht optimal begleitet. Der Sommelier des Berliner Zwei-Sterne-Restaurants „Horváth“ gilt mit seinem Küchenchef Sebastian Frank als Pionier in Sachen alkoholfreier Menübegleitung. „Unser Anspruch ist es, dass die alkoholfreie Variante kein Ersatz für den Wein ist, sondern ein absolut gleichwertiger Begleiter.“

So überraschend es zunächst klingen mag – auch der aus Österreich stammende Sommelier ist noch nie auf den Gedanken gekommen, einen alkoholfreien Wein oder Sekt in sein Menü zu integrieren. Mit seinem Votum – „die machen einfach keinen Spaß“ – weiß er sich mit den meisten Experten in der Fachwelt einig.

Auch Guntram Fahrner, Inhaber eines renommierten Weinladens in Karlsruhe, lässt kein gutes Haar an alkoholfreien Weinen: „Im Gegensatz zu alkoholfreiem Bier, bei dem es sehr aromatische Produkte gibt, fehlt beim alkoholfreien Wein alles, was Wein ausmacht. Vor allem das Aroma.“

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Und tatsächlich: Während zumindest die ersten Schlucke eines eiskalten alkoholfreien Weizenbieres (fast) wie das Original schmecken, stellt sich die Illusion, einen „echten“ Wein oder Sekt zu trinken, auch bei den besseren Produkten nicht ein.

Doch natürlich gibt es auch beim alkoholfreien Wein Mittel und Wege, um zumindest das Bestmögliche aus ihm herauszuholen. Zum Beispiel durch die Auswahl der Trauben, oder das Verfahren, mit dem dem fertigen Wein wieder der Alkohol entzogen wird. Im Gegensatz zur Dünnschichtverdampfung, die mit Temperaturen um die 78 Grad arbeitet, ist die Vakuum-Verdampfung schonender.

Tatsächlich finden die ersten alkoholfreien Produkte mittlerweile Gnade in Teilen der Fachpresse. So wird der alkoholfreie Weißwein des Weinguts „Markgraf von Baden“ (Salem) vom Fachmagazin „Falstaff“ ausdrücklich gelobt: „Der Gaumen zeigt sich saftig und schlank, hat aber durchaus eine gewisse Würze, die Säure passt gut zum Körper, der Wein besitzt eine gute mittlere Länge und klingt harmonisch aus.“

Alternativen zum alkoholfreien Wein

Wenn dennoch fast alle Spitzen-Restaurants auf alkoholfreie Weine oder Sekte verzichten, liegt das auch daran, dass es seit einigen Jahren hervorragende alkoholfreie Alternativen zur promillehaltigen Begleitung gibt. Cocktails oder sprudelnde Getränke auf Basis von selbst angesetztem Frucht- und Kräutersirup beispielsweise. Oder Drinks auf Malz- oder Kombucha-Basis.

Im Berliner „Horváth“ stellen sie die alkoholfreien Drinks auf Basis eines „Grünsaftes“ her – aus je einer süßen und einer säuerlichen Apfelsorte, die dann mit wechselnden Aromaträgern gemixt und anschließend filtriert wird. „Feelgood-Getränke“, seien ihm zu langweilig, sagt Stiel. Und zwar mit oder ohne Alkohol. „Es soll bei uns etwas zu Entdecken geben. Im Idealfall beim Zehn-Gänge-Menü zehn Mal eine eigene kulinarische Erfahrung.“

Sebastian Frank (links), Küchenchef des Berliner Restaurants „Horváth“ bei seiner Auszeichnung mit dem Michelin-Stern, neben seinem ...
Sebastian Frank (links), Küchenchef des Berliner Restaurants „Horváth“ bei seiner Auszeichnung mit dem Michelin-Stern, neben seinem Kollegen Micha Schäfer vom gleichfalls in Berlin angesiedelten Restaurant „Nobelhart und Schmutzig“. | Bild: Soeren Stache

Wie die meisten seiner Kollegen findet auch Stiel pure Süße in Desserts oder Drinks gleichermaßen öde. „Deshalb nehmen wir für die Säfte lieber Gemüse und Salate als Obst“, Stangensellerie, Petersilienwurzel oder Karotten stehen hoch im Kurs, Molke, Leindotteröl, Meerrettich oder Honig sorgen für ungewohnte Geschmackserlebnisse. Einen Gang im aktuellen Menü begleitet Stiel auch mit einem Pilz-Sud, einem Zwischenprodukt aus der Küche, in der eine Pilzreduktion als vegetarische Alternative zum Bratenfond dient.

Banale Säfte im Sterne-Restaurant?

Auch Peter van Nahmen und Jörg Geiger verdanken einen großen Teil ihres Renommées der Tatsache, dass ihre Erzeugnisse in den besten deutschen Restaurants angeboten werden. Banale Säfte im Sterne-Restaurant? Mit einer solch rudimentären Beschreibung wird man dem, was Geiger und van Nahmen herstellen, nicht gerecht.

Letzter verarbeitet in Hamminkeln am Niederrhein auch vom Aussterben bedrohte Obstsorten wie piemontesische Wildpflaume oder Konstantinopeler Apfelquitte zusammen mit alten Apfelsorten (Jakob Lebel, Rote Sternrenette und Kaiser Wilhelm) und macht daraus Frucht-Seccos, darunter eine burgunderrote Version aus Apfel, Heidelbeer und Kirsche.

Allein neun Drei-Sterne-Restaurants zählt er zu seinen Kunden. Längst sind auch viele renommierte Weingüter dazu übergegangen, neben alkoholfreien Weinen auch Schaumgetränke auf Obstbasis herzustellen. So wie der Burgunderhof Hagnau, der einen „Apfel-Holunder-Secco“ aus Bio-Früchten führt.

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Die „Manufaktur Jörg Geiger“ liegt im Örtchen Schlat am Nordrand der Schwäbischen Alb. Geiger stellt auch Produkte mit Alkohol her, überregional bekannt ist er aber vor allem wegen seiner alkoholfreien Fruchtgetränke und Seccos, die er aus heimischem Streuobst in Bio-Qualität gewinnt, die er meist auf Basis Birnen herstellt. Erdbeere, Holunder, Johannisbeere, grüner Tee, Aronia, Vogelmiere oder Akazienblüte prägen dann die Stilistik, bei der herbe Aromen und eine dezente Säure dominieren.

Dass Geigers Produkte das Farbspektrum des Weines widerspiegeln, muss dabei kein Zufall sein. Von Weiß über Rosé bis zu tiefem Bordeauxrot ist das gesamte Farbspektrum des Weines vertreten. Und wer will, erfährt auf der Homepage auch für den Privatgebrauch, womit sich Geigers Produkte am besten kombinieren lassen. So passt die „Cuvée 23“ aus Apfel, Sauerklee (Oxalis) und Rhabarber ganz hervorragend zu Fetakäse.