Schlafen Sie noch gut? Die ZF kämpft derzeit mit einigen Problemen.
Ich habe einen sehr guten Schlaf. Aber das liegt eher daran, dass ich Privates und Geschäftliches trennen kann. Sonst würde ich gar nicht mehr schlafen.
Worüber würden Sie nachts grübeln?
Beschäftigte erleben keine guten Zeiten. Wir haben zu viele Krisen: Zunächst die Versorgungskrise mit Halbleitern, dann Corona, der Ukraine-Krieg, jetzt wieder eine Versorgungskrise: Teile aus China und den USA kommen nicht an. Wir wissen zudem nicht, wie lange wir noch Gas bekommen.
Könnte das die Produktion stoppen?
Klar. Wenn Gaslieferungen ausbleiben, würde das die gesamte Branche zum Stehen bringen. Aber auch eine neue Coronawelle birgt Risiken.
Abseits der Krisen gab es den Zusammenschluss mit Lkw-Zulieferer Wabco. Sie hatten gefordert, alle Standorte sollen vom Bodensee aus gesteuert werden. Es ist anders gekommen.
Die Verwaltung wurde auf mehrere Orte verteilt: neben Friedrichshafen etwa auf Hannover, Indien, die USA oder die Schweiz. Mein Wunsch wäre, dass die Leitung der Divisionen in Friedrichshafen gebündelt ist.
Was heißt das derzeit für die Mitarbeiter?
Ein Beispiel: Wir haben Teams mit einem Chef und Kollegen, die an einem anderen Standort sitzen. Das erschwert die Kommunikation. Zudem wird nun in der Regel Englisch gesprochen, das ist nicht für jeden leicht und es können Missverständnisse entstehen.
Sind die Mitarbeiter genervt?
Das kann man schon sagen. Es sind zu viele Veränderungen in kurzer Zeit. Da prasselt zu viel auf die Leute ein. Vieles davon ist nicht hausgemacht. Eine Krise jagt die nächste. Das setzt sich ja bis ins Privatleben fort. Wir hätten uns alle gewünscht, dass nach der Corona-Krise Ruhe einkehrt.
Wozu kann das führen?
Wir merken doch alle, dass die Menschen in unserer Umgebung gestresster sind. Beruflich können diese negativen Einflüsse zu Demotivation, verlangsamten Entscheidungsprozessen und im schlimmsten Fall zur inneren Kündigung führen.
Gefährdet das den Unternehmenserfolg?
Genau. Die Leute wollen in Ruhe ihren Job machen. Das ist derzeit kaum möglich.
Was muss sich also ändern?
Wir bräuchten nach all den Krisen und den Veränderungen eine Phase der Konsolidierung. Eine Zeit, in der man Dinge auch mal nicht macht, nur weil es einen Chefwechsel gibt.

Aber kommendes Jahr wird es sogar einen neuen Vorstandsvorsitzenden geben. Wolf-Henning Scheider hat seinen Rücktritt angekündigt. Was erwarten Sie vom Nachfolger?
Wir würden wir uns jemanden wünschen, der ein technologischer Visionär ist. Er sollte die Beschäftigten an den Standorten nicht nur als Kostenfaktor sehen, sondern als Rückgrat des Unternehmens. Gerne darf es jemand sein, der die ZF von innen kennt und die Zukunft des Unternehmens gemeinsam mit uns auch im Sinne der Beschäftigten gestalten will.
Fuhr Vorstand Wolf-Henning Scheider eine falsche Strategie?
Nein, das nicht. Das Unternehmen ZF ist strategisch gut aufgestellt und ein attraktiver Arbeitgeber. Die Markterfolge geben uns recht.
Wissen Sie schon, wer nach ihm kommt?
Nein. Und selbst wenn ich es wüsste, dürfte ich es nicht sagen.
Angesichts der aktuellen Krisen und der angespannten Lage: Wie positionieren Sie sich?
Falls uns die Krisen im Laufe des Jahres die Beschäftigungslage verhageln, soll auf jeden Fall die gesetzliche Kurzarbeit angewendet werden. Sprich: Höhere Aufzahlungen auf das Kurzarbeitergeld. Ein Beispiel: Bei 100 Prozent Kurzarbeit bleiben den Mitarbeitern bisher ungefähr 80 Prozent ihres Gehalts. Dieses Instrument hat uns in der Corona-Krise im vergangenen Jahr geholfen, Beschäftigung zu sichern und die Einbußen für die Beschäftigten erträglich zu halten.
Das verhandeln Sie gerade?
Ja, aber wir prüfen derzeit noch, welche Flexibilisierungsinstrumente angewendet werden sollen.

Welche Mittel haben Sie, um zudem die Mitarbeiter-Zufriedenheit zu erhöhen?
Wir testen gerade eine neue Regel für den Themenkomplex Homeoffice in Teilen des Betriebs. Die Mitarbeiter können sich in Absprache mit ihren Vorgesetzten für unterschiedliche Modelle entscheiden: Vom Arbeiten komplett Zuhause bis zum täglichen Arbeiten im Betrieb.
Und das finden Sie gut?
Einerseits ja. Aber wir befürchten auch, dass bei zu viel Homeoffice die Identifikation mit der ZF verloren gehen könnte. Vor Ort gibt es ein Miteinander und ein Gemeinschaftsgefühl, das sonst fehlt. Das sehen übrigens auch die meisten Beschäftigten so.
Wie sieht es eigentlich mit der Standortsicherung in Friedrichshafen aus? Die gilt nur bis Ende 2022.
Hier in Friedrichshafen werden hauptsächlich Antriebskomponenten für Lkw produziert. Wir gehen davon aus, dass die ersten Lkw mit E-Antrieb erst 2024/25 kommen. Und selbst das kann sich noch verschieben.
Das bedeutet, dass das Datum Ende 2022 keine Rolle spielt?
Für uns ist entscheidend, wann Produktentscheidungen in der ZF anstehen und dass wir für den Zeitpunkt des technologischen Übergangs gerüstet sind. Der wichtigste Baustein hierfür ist, dass künftig die Antriebe auch für E-Lkw in Friedrichshafen gebaut werden.
Deren Produktion ist aber weniger komplex als aktuelle Produkte. Was könnte zusätzlich am Bodensee hergestellt werden?
Unser Hauptstandbein bleibt sicherlich die Entwicklung und die Produktion von Nutzfahrzeugantrieben, die Industrietechnik und der Kundendienst. Wir müssen uns aber auch mit anderen Bereichen und Ideen auseinandersetzen, um die heutige Zahl der Beschäftigten zu sichern. Wir haben etwa auch den Freizeitbereich im Blick. Besonders stolz sind wir auf eine Mitarbeiteridee, die zur Entwicklung eines Wohnwagens mit E-Antrieb geführt hat.
Arbeiten Sie nicht auch an Antrieben für E-Bikes?
Ja, aber mehr darf ich dazu nicht sagen. Klar ist: Unsere Beschäftigten haben viele gute Ideen für die Zukunft der ZF.
Im Herbst laufen die Tarifverhandlungen. Hilft mehr Geld, um die Stimmung zu heben?
Angesichts der Inflation reden wir hier von einer Notwendigkeit. Die Erwartungen der Beschäftigten sind hoch. Wir wollen, dass der Monatslohn deutlich steigt.
Sie haben zudem eine Vereinbarung zur Gewinnbeteiligung erzielt. Wie sieht die aus?
Künftig werden die Beschäftigten an den gleichen Kennzahlen gemessen wie die Führungskräfte. Mit dieser Vereinbarung ist es uns gelungen, ein nachhaltiges und vor allem nachvollziehbares System einzuführen.
Und wie hoch werden die Auszahlungen sein?
Derzeit gibt es sehr große Unwägbarkeiten im Geschäftsbetrieb – eine Prognose wäre genauso zuverlässig wie der Blick in die Glaskugel.
Suchen Sie derzeit eigentlich Personal?
Trotz aller Herausforderungen: Das Geschäft mit den Produkten, die wir hier in Friedrichshafen produzieren, brummt. Deshalb suchen wir derzeit Ferienjobber und Fachkräfte.