Trotz des bevorstehenden Narrentags, bei dem der Schwerttanz erstmals nach 14 Jahren zu seinen Wurzeln zurückkehrt und an der Fastnacht zu sehen ist, ungeachtet des 1250. Stadtjubiläums und der parallelen Landesgartenschau 2020: Für die Überlinger Schwerttanzkompanie wird erst 2021 ihr großes Jahr sein. Dann feiert sie ihr 375. Jubiläum und lädt aus diesem Anlass zum ersten Internationalen Schwerttanztreffen in Überlingen ein, zu dem Gäste aus ganz Europa kommen sollen. Und die Kompanie schafft sich eine eigene Brunnenfigur. Sie wird während des Jubiläumsfests enthüllt und soll den heutigen Pinienzapfen ersetzen, der bisher die Säule des Olberbrunnens beim Weinhaus Renker krönt.
Zuschlag ging an Bildhauer Friedhelm Zilly
Seit Kurzem steht fest, wie die Figur aussehen soll. Die Jury hat ihr Urteil gefällt. Den Zuschlag erhielt der brunnenerfahrene Bildhauer Friedhelm Zilly aus Moos auf der Höri. Entgegen erster Überlegungen im vergangenen Sommer wird die Figur allerdings nicht über den Sommer auf dem Landesgartenschaugelände ausgestellt. „Die Enthüllung soll unserem Schwerttanztreffen eine Wertigkeit geben und dann möchten wir eben auch die Überraschung erhalten“, sagt Fridolin Zugmantel, Erster Platzmeister der Schwerttanzkompanie und damit Vorsitzender des Vereins.

Die Schwerttanzkompanie hatte drei Künstler eingeladen, Entwürfe für eine Brunnenfigur abzugeben. Im vergangenen November dann fällte das Preisgericht seine Entscheidung. „Der Entwurf von Zilly hat überzeugt, weil der bestehende Brunnen und dessen Entwurf eine totale Einheit gebildet haben“, erklärt Zugmantel das Votum. Dem Preisgericht gehörten neben zwei Mitgliedern der Schwerttanzkompanie der Leiter des städtischen Grünflächenamts Rolf Geiger an, ebenso die Friedrichshafener Künstlerin Waltraud Späth und ein Vertreter des Vereins Bürgersinn, der 10 000 Euro für die Figur gibt.
„Dass der Bürgersinn als Großspender so viel beisteuert, war für uns ein Volltreffer, dadurch hat sich die finanzielle Situation total entspannt“, sagt Zugmantel. Insgesamt soll die Figur 30 000 bis 35 000 Euro kosten. Rund 17 000 Euro Spenden sind laut Zugmantel bereits sicher. Den Rest finanziert die Kompanie mit der Bewirtung ihres Festzeltes beim Promenadenfest. Und weil diesbezüglich aktuell keine Investitionen anstehen, ein neuer Kühlwagen und ein neues Zelt wurden erst kürzlich angeschafft, rückt ein weiteres ambitioniertes Ziel in greifbare Nähe: Den eigenen Brauch fundiert fachlich erforschen zu lassen.
Reise nach York 2008 als Schlüsselerlebnis
„Wenn wir das Treffen 2021 abgearbeitet und Geld übrig haben, dann wollen wir eine wissenschaftliche Arbeit in Auftrag geben, die sich mit dem Schwerttanz und den ganzen Zusammenhängen befasst“, erklärt Zugmantel. In der vergangenen Hauptversammlung sei man sich darüber bereits einig geworden. Dass dieser Wunsch in der Kompanie aufkam, hat sehr viel mit den Ursachen für das Internationale Schwerttanztreffen zum Jubiläum zu tun. Damit, dass den Überlinger Schwertletänzern ab dem Jahr 2008 bewusst wurde, was es außer ihnen selbst alles noch gibt da draußen. Damals besuchten sie ihr erstes Schwerttanztreffen in der nordenglischen Grafschaft Yorkshire.

„Seit York ist uns richtig bewusst geworden, dass es sich um einen gesamteuropäischen Brauch handelt.“ Natürlich habe der eine oder andere schon eine gewisse Ahnung von den Hintergründen gehabt. Man wusste ja auch, dass in Flandern bereits 1389 Kettenschwerttänze – wie der eigene in Überlingen – urkundlich verbürgt sind. Und dann hat die Kompanie doch lange schon enge Verbindungen zu Volkskundeprofessor Werner Mezger, der seit 1985 mehrere Aufsätze über den Überlinger Schwerttanz schrieb und dem Brauch auch in seiner Habilitationsschrift von 1989 – „Narrenidee und Fastnachtsbrauch„ – mehrere Seiten widmete. Den tiefen Einblick in den Ablauf des Tanzes hatte Mezger, wie er immer wieder gerne erzählt, von Fritz Zugmantel, Jahrzehntelang und bis 1992 Erster Platzmeister, Vater des heutigen Ersten Platzmeisters Fridolin Zugmantel.
In Italien ist die Narrenfigur ein Arlecchino
Doch selbst Werner Mezger sei ziemlich beeindruckt gewesen, als er 2009 bei einem Besuch in Überlingen die italienische Folkloregruppe „Bal da Sabre“ aus dem kleinen piemontesischen Bergdorf Fenestrelle kennenlernte, welche die Überlinger ein Jahr zuvor in York als neue Freunde gewonnenen hatten. Wie Fridolin Zugmantel sich erinnert, sei Mezger sehr überrascht gewesen, wie parallel beide Schwerttänze ablaufen. Freilich haben die Italiener keinen Hänsele als Narren, bei ihnen ist es der Arlecchino, den man aus der Commedia dell‘arte kennt. Auch dieser Harlekin erlebt in der Tanzfigur des Maschen Tod und Wiedergeburt. „Als wir das das erste Mal gesehen haben, wurde uns schlagartig bewusst, wie viele identische Elemente es da gibt.“ Inzwischen besuchte die Überlinger Schwerttanzkompanie mit den Trachtenfrauen Fenestrelle bereits zweimal, 2010 und 2017.

Und im Jahr 2017 ging die Reise zum Internationale Schwerttanztreffen ins belgische Sint Niklaas, also nach Flandern, von wo man aus dem 14. Jahrhundert mit die ältesten Belege für Schwerttänze hat. Sobald der Kassenstand es nach dem Treffen erlaube, will die Kompanie nun über Werner Mezger, den Professor für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie (früher Volkskunde) an der Uni Freiburg, nach einem geeigneten Wissenschaftler, eventuell einem Doktoranden suchen, der Kompetenz für das Thema und Interesse hat.
Gäste aus Italien, Belgien, Kroatien und England
Mit Sint Niklaas, wo es sogar zwei Schwerttanzgruppen gibt, und Fenestrelle sind bereits zwei Gäste genannt, die mündlich zugesagt haben, zum Schwerttanztreffen vom 11. bis zum 13. Juni 2021 nach Überlingen kommen. Die Freundschaft mit den Italienern hatte sich schon 2008 in York, beim Warten auf den Auftritt, spontan ergeben, als beide Gruppen spontan gemeinsam gesungen haben. Schon bald nach der Englandreise besuchte Schwertletänzer und Stadtarchivar Walter Liehner das Bergdorf und schaute sich am 25. August, dem Fest des San Luigi, den dortigen Tanz an und knüpfte engere Kontakte.

Eine weitere Gruppe soll von der kroatischen Insel Korcula kommen, wo sich laut Zugmantel vier verschiedene Schwerttänze erhalten haben. Der Kontakt kam über den Schwäbische Albverein Balingen zustande, der schon länger Verbindungen pflegt. Korcula, die Adriainsel mit der historischen Altstadt, sei der einzige Ort, wo sich im ehemaligen Jugoslawien Schwerttänze erhalten hätten, erklärt Zugmantel. Dann wollen die Balinger auch selbst an den Bodensee kommen, ihr Tanz ist historisch fundiert rekonstruiert. Der Reigen der Gäste komplettiert wird durch die Gruppe aus York, „die mit ihren kurzen, variablen Schwertern sogar in Pubs Aufführungen“ machen. Fahrt oder Flug zahlen die Gruppen selbst, für Unterkunft, Essen und Ausflüge kommt die Überlinger Kompanie auf. Dennoch ist Zugmantel zuversichtlich, dass sich die Finanzierung gut stemmen lässt. „Wir haben schon einige Sponsoren in Aussicht und auch die Stadt hat sich eingeklinkt.“

Der Schwerttanz, ein Fastnachtsbrauch
Die ältesten Nachrichten über Schwerttänze stammen aus Venedig vom Ende des 13. Jahrhunderts. Eine Quelle aus Flandern spricht 1389 von einem „Tanz mit den Sworden der leidigen Gesellen auf den Vastelovend“, so zitiert die Schwerttanzkompanie in Texten zu ihrer Historie die volkskundliche Fachliteratur. Im 16. Jahrhundert waren Schwerttänze in Mitteleuropa allgemein üblicher Brauch. Sie dienten der öffentliche Selbstdarstellung der Handwerkszünfte, ähnlich wie der Zämertanz der Metzger in Nürnberg und der Schäfflertanz der Böttcher in München, die ebenfalls Fastnachtsbräuche waren.
In Überlingen, wo der Weinbau lange Zeit eine wichtige Rolle spielte, war dies die Zunft der Rebleute, nach ihrem Zunftlokal „beym Wolfen„ auch „Wolferzunft“ genannt. Vielerorts begann sich das mittelalterliche Zunftritual des Schwerttanzes bereits im 16. Jahrhundert wieder aus der Fastnacht zu lösen und im 17. Jahrhundert, im Zusammenhang mit dem 30-jährigen Krieg, gingen die Schwerttänze vielerorts schon wieder unter. Dass der Brauch jedoch nicht nur in Überlingen überlebte, wird das Schwerttanztreffen im kommenden Jahr 2021 zeigen.
Geschichte durch Verbote dokumentiert
Wie die Fastnacht insgesamt, die im Mittelalter und durch die Jahrhunderte immer wieder verboten wurde, beobachtete die Obrigkeit auch den Schwerttanz als Fastnachtsbrauch argwöhnisch. Der Tatsache, dass der Magistrat den Schwerttanz jeweils genehmigen musste, verdanken wir seine erste urkundliche Erwähnung in Überlingen. In einem Ratsprotokoll vom 8. Februar 1646 – die Basis für das 375. Jubiläum im kommenden Jahr –heißt es, „den ledigen burschen ist auf mehrmaliges anhalten der Schwerttanz in der Zunft von 12 bis 5 Uhr, jedoch ohne Spielleut und den medlintanz vergont“. Die Selbstverständlichkeit, mit der hier von den einzelnen Bestandteilen des Brauches gesprochen wird, lasse darauf schließen, dass der Schwerttanz in Überlingen bereits lange vor 1646 bekannt war und aufgeführt wurde, erläutert Werner Mezger in verschiedenen Veröffentlichungen.
„Früher ein Fastnachtsspaß wie Schnurren“
Wenn die Junggesellen sich einst an der Fastnacht beim Schwerttanz vergnügten, dann muss man sich das völlig anders als heute vorstellen, erläutert Zugmantel. Das militärisch wirkende Zeremoniell, wie es die Überlinger heute kennen, wurde auf Veranlassung des Magistrats erst im Jahr 1794 eingeführt. „Früher ging das locker zu, man tanzte zehn bis 15 mal am Tag und zog dabei von Ort zu Ort, ging ins Spital oder Altenheim“. Ein Fastnachtsspaß wie Schnurren sei der Tanz gewesen. Auch auf Kleidung habe man keinen solchen Wert gelegt wie heute, wo die Farbe der Fräcke ebenso exakt festgelegt ist wie der Knoten des Binders.

Mit dem Ende des Status als Reichsstadt im Jahr 1803, als Überlingen zu Baden kam, gab es auch eine Unterbrechung der fastnachtlichen Tanztradition, „bis sich der Schwerttanz im Geiste der Romantik allmählich verselbständigte und außerhalb der Fastnacht ein Eigenleben zu entwickeln begann“, schreibt Werner Mezger. Am 26. Mai 1821 wurde der Schwerttanz anlässlich eines Besuches des Großherzogs Ludwig von Baden erstmals außerhalb der Fastnacht aufgeführt. In den folgenden Jahren entfernte sich der Brauch immer mehr von den närrischen Tagen und nach 1870 trat die Kompanie nur noch außerhalb der Fastnacht und in unregelmäßigen, größer werdenden Abständen auf. Bis die Mitglieder der Kompanie 1966 den Beschluss fassten, fortan alljährlich im Anschluss an die zweite Schwedenprozession aufzutreten.
Ein ganz besonderes, weil seltenes Erlebnis erwartet die Besucher des Narrentags am Morgen des Sonntags. Wenn die Schwerttanzkompanie um 10.30 Uhr auf der Hofstatt ihren Schwerttanz aufführt, kehrt dieser alte Brauch zu seinen Ursprüngen zurück. „Wir wollen die alte Verbundenheit des Schwerttanzes zur Fasnet zeigen“, erklärt Fridolin Zugmantel, weshalb seine Kompanie ihren Brauch auch dieses Mal wieder aufführt, wie bei den vergangenen Treffen des Viererbunds in Überlingen. Der Ablauf entspricht in etwa jenem, den man sonst alljährlich bei der zweiten Schwedenprozession im Juli erleben kann.
Exorzistisches Ritual am Hänsele
Die Schwerttänzer treffen sich in ihre Zunftstube im Aufkircher Tor und bevor sie alle kurz nach 8.30 Uhr zum Gottesdienst aufbrechen, verstößt der Erste Platzmeister den Hänsele. Er bekreuzigt den närrischen Außenseiter mit Weihwasser, gibt ihm einen Fußtritt und schickt ihn in einem quasi exorzistischen Ritual fort mit den Worten „Hänsele, gang in Gott's Name“. Juckend (für Nicht-Alemannen: das heißt „springend“) begleitet er die in Reih' und Glied hinab zum Münster ziehende Kompanie. Kurz vor dem Münster, in dem um 9 Uhr der Gottesdienst beginnt, macht er kehrt und zieht schweigend durch Lokale, mit seiner Büchse Geld sammelnd. „An der Schwedenprozession, am Sonntagmorgen im Juli, ist das manchmal gar nicht so einfach für ihn, eine offene Wirtschaft zu finden, am Narrentag hat er dieses Problem sicher nicht“, erläutert Fridolin Zugmantel schmunzelnd.
Der Hänsele als Gottesleugner
Wenn sich der Gottesdienst drinnen im Münster seinem Höhepunkt nähert, wird der Hänsele rechtzeitig wieder vor der Kirche sein. Genau in dem Moment, in dem Münsterpfarrer Bernd Walter drin am Altar die Hostie und den Kelch emporhebt, bei der Wandlung, beginnt der Hänsele draußen gegen den Klang der großen Osannaglocke anzuschnellen. Der rhythmische Knall seiner Karbatsche liefert sich einen Kampf mit der Glocke, die tief tönend davon kündet, dass sich Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandeln. Genau in diesem Moment lässt der Überlinger Hänsele in seinem Teufelshäs die mittelalterliche Narrenidee lebendig werden: er leugnet Gott. „Ohne dass uns die Hintergründe noch bewusst wären, haben sich hier gut und gern 700 Jahre abendländischer Ideengeschichte eins zu eins erhalten.“ Mit diesen Worten erklärte Volkskundeprofessor Werner Mezger 2001, in seiner Dankesrede nach der Verleihung des Bodenseeliteraturpreises der Stadt an ihn, wie bedeutungsaufgeladen genau dieser Moment ist.

Zurück zum Sonntag des Narrentags. Nach dem Gottesdienst im Münster geht es für die Schwerttänzer hinunter zur Hofstatt und dort ist um 10.30 Uhr die Aufführung. Allerdings nur eine einzige, wie Fridolin Zugmantel erklärt, weil bereits um 11 Uhr das Konzert der Stadtkapelle im Kursaal stattfindet – „und es eben viele Überschneidungen gibt“, Schwerttänzer sind auch in der Stadtmusik und in der Narrenzunft, die angesichts ihrer Mammutveranstaltung jeden Mann braucht.