Ihm bleibt nicht viel Zeit. Am 18. November muss Valentin Popescu seine Wohnung am Burgbergring in Überlingen verlassen. „Ich kämpfe einen Kampf für alle anderen in meiner Situation. Sie haben nicht den Mut, sich zu wehren. Jemand muss aber die Wahrheit sagen“, sagt er.
Ein Zeitungsbericht über einen Obdachlosen in Überlingen rüttelte Popescu auf. Er sieht sich schon selbst damit konfrontiert, auf der Straße schlafen zu müssen. „Ich überlebe das nicht.“ Der Bericht über den Obdachlosen handelte davon, dass sich der Mann nicht helfen lassen wollte. Popescu klagt an, dass dem Mann nicht viel früher geholfen worden sei, bevor er obdachlos geworden ist. So, wie er es jetzt für sich verlangt. Helfen, bevor er auf der Straße steht.
Ein bekanntes Gesicht in Überlingen
In Überlingen kennt man den 56-jährigen Popescu als Barkeeper, der zuletzt im Hotel Ochsen arbeitete. Für den Fototermin setzt er bemüht noch einmal sein Lächeln auf, um sich so zu zeigen, wie ihn seine Gäste kannten.
Tatsächlich klingt er verzweifelt. Wegen seiner Berufsunfähigkeit ist Popescu auf Hartz IV angewiesen. Seine Vermieterin war damals so nett, ihm die Miete von rund 800 auf knapp 500 Euro zu senken, sodass das Geld für Miete, das vom Jobcenter kam, noch reichte. Nun zieht seine Vermieterin ins Ausland, die Wohnung könnte er alleine nicht halten. Bevor er eine eigene Wohngemeinschaft hätte gründen können, war die Wohnung schon an einen Nachmieter vergeben. Am 18. August erhielt er die Kündigung, sie wird zum 18. November wirksam.

Andere in seiner Lage spekulieren darauf, Zeit zu schinden. Warten vielleicht eine Räumungsklage ab, oder letztlich sogar die Zwangsräumung. „Für mich kommt das nicht infrage“, sagt Popescu. „Ich habe nie Scheiße gebaut in meinem Leben. Ich bin ein guter Mensch. Ich mache das nicht.“
Stigmatisierung von Wohngeldbeziehern
Die Anträge, Angebote, Absagen und andere Papiere, die im Zusammenhang mit seiner Wohnungssuche geschrieben wurden, füllen einen dicken Ordner. Er hat alles sorgfältig abgeheftet, was ihm die düstere Lage nur noch mehr verdeutlicht.
„Ich habe keine Zeit, die Uhr tickt.“Valentin Popescu
Als „erstes Problem“ bezeichnet Popescu die Stigmatisierung von Hartz-IV-Empfängern. Die meisten Vermieter winken laut seiner Erfahrung ab, wenn sie hören, dass er einen Wohnberechtigungsschein hat. Zwar hätten die Hausbesitzer ihre Miete sicher auf dem Konto, weil es vom Amt kommt. „Der Staat zahlt pünktlich.“ Sie hätten aber keine Lust auf den Behördenkram und könnten es sich aussuchen. „Da steht eine lange Schlange vor ihrer Tür.“ Zum Beweis zeigt er eine Wohnungsanzeige, in der jemand zwar eine günstige Ein-Zimmer-Wohnung offeriert, aber klarstellt: „Kein WBS“ – keine Wohngeldbezieher.
In Tettnang wurde jüngst ein empörendes Gegenbeispiel bekannt. Dort nutzte ein Vermieter die Wohnungsnot aus und vermietete ein Zimmerchen für umgerechnet 56 Euro pro Quadratmeter.
Angebliche Gleichgültigkeit der Behörden
Als „zweites Problem“ bezeichnet Popescu die angebliche Gleichgültigkeit der Behörden. Er ist beim Jobcenter des Bodenseekreises gemeldet. Die Behörde schrieb ihm am 23. August: „Wir raten Ihnen, sich beim Bürgermeisteramt Überlingen wohnungssuchend, bzw. obdachlos zu melden, falls Sie nicht zeitnah eine andere Wohnung finden.“
So weit will er es aber doch gar nicht kommen lassen. Er wandte sich sofort ans Rathaus, nicht erst, wenn er obdachlos ist. Er bekam am 1. September von der Stadt zur Antwort: „Leider können wir Ihnen momentan und auch in absehbarer Zeit keine Wohnung anbieten.“ Der 56-Jährige hat die Vorstellung, dass man ihm eine Sozialwohnung zuweist. Die gibt es aber nicht.
Die Stadtverwaltung verwies ihn stattdessen an die Überlinger Baugenossenschaft. Aber auch dort habe man ihn sinngemäß mit den Worten abgewiesen, „dass ich das vergessen kann“.
Jobcenter schickt Coach für die Wohnungssuche
Es ist seine Sicht, dass die Behörden ihn im Stich ließen. Tatsächlich aber beauftragte das Jobcenter eine Agentur, ihm bei der Wohnungssuche zu helfen. Für Popescu ist Ina Maria Maier zuständig, sie arbeitet bei GSM (gemeinsam selber machen), einem bundesweit tätigen Unternehmen, das mit den Jobcentern kooperiert und individuell Wege aus persönlichen Krisen aufzeigt. Wie sie bei einem Besuch in der Wohnung von Popescu sagte, seien die Mitarbeiter in den Behörden sehr bemüht, „können aber auch nichts aus dem Hut zaubern“.
Wo die Stadt helfen kann, und wo nicht
Maier ackerte mit Popescu verschiedene Programme durch, darunter ein Programm der Caritas für betreutes Wohnen. Zu ihrer beider Enttäuschung sei das Programm erst für Personen ab 60 Jahren gedacht. Ina Maria Maier kann den Druck, unter dem ihre Klienten stehen, gut verstehen. Sie rät aber zu Geduld und Optimismus. „Das strahlt ja auch etwas aus, wenn die Leute bei einer Wohnungsbesichtigung als Trauerklos erscheinen.“ Eine Aussage, mit der Popescu wenig anfangen kann. Er sagt aufbrausend: „Ich habe keine Zeit, die Uhr tickt.“
Popescu würde sich gerne an OB Zeitler wenden
Der 56-Jährige weiß, dass er sich nicht aufregen darf. Sein Herz arbeite nur noch zu 20 Prozent. „Ich brauche Ruhe“, sagt er. Dennoch packt ihn der Zorn: „Der Einzige, der mir helfen könnte, ist der Bürgermeister. Fragen Sie nach einer Audienz bei ihm. Ich habe ihn gewählt, ich habe an ihn geglaubt.“ Popescu hat die Vorstellung, dass OB Jan Zeitler Kontakt zum Rotaryclub oder zu anderen einflussreichen Leuten aufnimmt. „Überlingen hat so viele Millionäre. Sie bauen soziale Wohnungen. Machen Sie etwas. Aber was macht die Gemeinde? Ich verstehe das nicht.“
Popescu bezeichnet es als das „dritte Problem“, dass statt seiner nun Flüchtlinge aus der Ukraine eine städtische Wohnung erhielten. „Ich verstehe, das sind Menschen in Not.“ Das akzeptiere er aus menschlicher Sicht. Er will sich aber nicht mit dem Gedanken befassen, dass bald er selbst Bewohner einer städtischen Baracke für Obdachlose an der ehemaligen Mülldeponie Füllenwaid, dem heutigen Entsorgungszentrum, sein könnte. „Ich fühle mich verlassen und weggeworfen.“