Durch die Industrialisierung erlebten Wehr und Öflingen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine rasante Entwicklung. Bei einer Tour durch Oberbaden notierte der Historiker Carl Gustav Fecht 1859 für Öflingen 915 und Wehr 1907 Einwohner.
Der Anteil der „Evangelischen“ lag bei etwa drei Prozent. Durch den Aufstieg der Firmen MBB, Weck, Neflin & Rupp, Herosé, Hummel und Lenz ging die Bevölkerungszahl steil nach oben. 1909 hatte Wehr 3663 Einwohner. In Öflingen zählte man ein Jahr später 1624. Der Anteil der Protestanten lag inzwischen bei 13 Prozent – mit steigender Tendenz.
Die Löhne und Gehälter waren mitgestiegen, wenn auch nicht so rasant. Um nur einige Beispiele zu nennen: Eine tüchtige Weberin verdiente 1908 in der MBB an zwei Webstühlen etwa 700 Mark jährlich. Obermeister Caspar Weiss (Opa des Holzschneiders Lothar Weiss) kam 1910 auf ein Jahresgehalt von 1800 Mark. Die MBB-Saalmeister Hutt und Söllner brachten 1440 Mark nach Hause. Ein Stoffdesigner und Spezialist wie Bernhard Mäurer wurde von Neflin & Rupp mit 4000 Mark jährlich geradezu fürstlich vergütet, während es eine Tuchputzerin bei Rupps auf etwa 500 Mark im Jahr brachte.
Die Mieten waren wegen des Wohnungsmangels zwar hoch. Die Jahresmiete für eine gute Vier-Zimmerwohnung lag bei 350 Mark. Aber viele Arbeiter lebten in Werkswohnungen und hatten daher weniger zu zahlen. Außerdem gab es 1910 in Wehr und Öflingen fast 600 Häuser, deren Besitzer, die teilweise auch in den Fabriken schafften, keine Mietausgaben hatten und als Vermieter sogar Geld einnahmen. Lebensmittel waren, wenn es sich nicht um Luxusartikel wie Bohnenkaffee oder Cognac handelte, durchaus bezahlbar. Kalbfleisch für 1,80 Mark das Kilo wird jedoch im normalen Haushalt nur an hohen Festtagen auf den Tisch gekommen sein. Hingegen konnte man sich Kartoffeln, Mehl, Erbsen und Linsen sowie ab und zu ein Stück Speck gut leisten.
Der gestiegene Wohlstand und sinkende Arbeitszeiten führten zum Aufschwung der Vereine und der Gastronomie. Kann es da verwundern, dass man Ende des 19. Jahrhunderts die „fünfte“ Jahreszeit entdeckte und Prinz Karneval die Tore öffnete? Mit der mittelalterlichen „Fasnacht“ hatte das nichts zu tun. Vielmehr feierten, um nur einige zu nennen, die Musik- und Gesangvereine, die Turner, die Veteranen- und Gesellenvereine in den Gaststätten Wehrs und Öflingens nach rheinischem Vorbild ihren „Karneval“. Fasnacht und Karneval meinten ein- und dasselbe.
Geboten wurde ein inszeniertes Programm wie etwa das des katholischen Gesellenvereins Wehr vom 9. Februar 1904. Es wurde von MBB-Chef Josef Raphael Schenz und seinem Sohn Otto moderiert. Dieser war „als Hotzenwälder erschienen“: „Nachdem Herr Vizepräses Schenz mit köstlichem Humor seinen Sohn in Amt und Würde eingeführt hatte, übernahm dieser unter allgemeinem Jubel das Präsidium und verkündete in fideler Rede das reichhaltige Programm“. Es bestand aus „humoristischen Stücken mit und ohne Gesang“, teils „in recht schönen Kostümen“ vorgetragen. Danach war Tanz. Die Jugend blieb „noch geraume Zeit in fidelster Stimmung beieinander“.

Nach diesem Schema verlief die Saalfasnacht in Wehr und Öflingen. Die Turnvereine boten akrobatische Übungen, der Veteranenverein sogar einen Schubkarrenwettlauf am „Sternen“ – aber nur für die Mitglieder. Die Öffentlichkeit war ausgeschlossen. Derweil trieben die Rekruten und andere in den Gassen ihr Unwesen. Um Auswüchsen zu begegnen, organisierten bürgerliche Kreise um 1910 die öffentliche Fasnacht. Nach Mainzer und Kölner Vorbild wurden Elferräte gegründet.

Das eigentliche Ziel war jedoch der möglichst spektakuläre Umzug. Führende Kräfte waren in Wehr Robert Herosé, Max Schnurr, Fritz Kleißler und Carl Leber, während in Öflingen der Volksschullehrer Ruppert Geiger die Sache in die Hand nahm. 1910 wurde der Wehrer Elferrat gegründet, im Februar 1911 folgte der Öflinger. Man scheute keinen Aufwand. Der fulminante Wehrer Umzug von 1911 mit mehr als 20 Gruppen und über 400 Teilnehmenden soll Schulden von 3000 Mark hinterlassen haben. Auch die Öflinger Narren glänzten ein Jahr später mit prächtigen Gruppen und wurden sogar zum Säckinger Umzug eingeladen.
Dass die organisierte öffentliche „Fasnacht“ für protestantische Jungbürger wie Fritz Kleißler ein Mittel zur Integration in die Wehrer Gesellschaft war, ist eine Erwähnung wert. Als der junge Mann zu Beginn des Ersten Weltkrieges in Frankreich fiel, war die Trauer groß. Mit ihm wurde auch die Fasnacht begraben, indes nur auf Zeit. Im Gegensatz zu Fritz Kleißler feierte Prinz Karneval nach den Schrecken des Krieges seine Wiederauferstehung.