Eine Studenten-WG in der Konstanzer Altstadt. Junge Frauen und junge Männer wohnen Zimmer an Zimmer. Hier wird gelernt, gegessen, geschlafen und gerne gemeinsam gefeiert. Dutzende von solchen Wohngemeinschaften existieren in der Stadt. Das Leben in solchen Einrichtungen ist weitgehend gläsern. Wer hier wohnt, ist nicht gerne alleine, mag Gesellschaft und spart Kosten. Privatsphäre ist auf das eigene Zimmer beschränkt. Wenn überhaupt.

Reichlich Bier, Schnaps und Wein

Am 24. November des vergangenen Jahres feiert ein Bewohner jener WG in der Altstadt mit Freunden und Zimmernachbarn seinen Geburtstag. Zunächst in der Bar im Erdgeschoss, später in der Wohngemeinschaft ein Stockwerk darüber.

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Es fließt reichlich Bier, Schnaps und Wein. Eine WG-Bewohnerin und ein Mann, der in der Schweiz lebt und arbeitet sowie portugiesischer Staatsbürger ist, begeben sich gegen 5 Uhr an die frische Luft, um eine Zigarette zu rauchen – beide sind stark angetrunken.

Geschädigte durchlebt sowieso eine harte Zeit

Sie durchlebt zu dieser Zeit eine schwierige Phase im Leben, wurde gerade erst von der großen Liebe verlassen und verarbeitet eine sexuelle Begegnung mit einem unbekannten Mann in Argentinien – sie macht sich schwere Vorwürfe, dass sie es so weit hat kommen lassen. Beim Rauchen offenbart der Mann der Frau seine Zuneigung, was sie nicht erwidert. Sie geht ins Bett und legt sich schlafen. Ab hier, so sagt sie, hat sie einen Filmriss.

„Ich habe gespürt, dass jemand in mich eingedrungen ist“

Eineinhalb Stunden später kommt sie wieder zu sich. „Ich habe einen Schatten über mir gesehen und gespürt, dass jemand in mich eingedrungen ist“, sagt sie vor dem Konstanzer Amtsgericht. Sie habe den Mann von sich geschubst, laut nach der Polizei geschrien und sei auf den Flur gerannt.

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Freundinnen kümmern sich um sie. Sie fahren ins Krankenhaus. In ihrer Vagina finden sich Spuren von Sperma. Sie zeigt ihren Bekannten wegen Vergewaltigung an. Der Angeklagte bestreitet vehement, die junge Frau vergewaltigt zu haben. Sein Anwalt schildert seine Version, nach der die beiden zunächst nebeneinander im Bett lagen, bevor sie sich gegenseitig sexuell stimuliert hätten und es zum Geschlechtsverkehr gekommen sei.

Verteidiger stellt die Version der Geschädigten in Frage

Ein Gerichtsmediziner erklärt, dass die Aussagen der Geschädigten plausibel und nachvollziehbar seien. Eine Psychologin, bei der die Frau in Behandlung war, ebenfalls. Vor dem Amtsgericht kommt es zu Diskussionen zwischen Verteidiger und Mediziner, ob bei Menschen mit geschätzt zwei Promille Alkohol im Blut überhaupt zu einer solchen Tat fähig oder ob gegenseitige Stimulation und gegenseitiges Einverständnis Voraussetzung sei.

Alkohol als störender Einfluss

Wieso habe die Frau nichts gespürt und sei dann plötzlich aufgeschreckt, als alles schon vorbei gewesen sei?, will der Verteidiger wissen. Der Experte sieht dieses Verhalten als plausibel an: „Die Bemerkbarkeit des vaginalen Eindringens ist gegeben, wenn die Frau bei Bewusstsein ist und wenn keine störende Einflüsse wie Alkohol oder andere Substanzen vorherrschen. Eher verzögert oder nicht gegeben kann sie sein, wenn die Frau intoxikiert ist.“ Sprich: Wenn sie stark betrunken ist.

Richterin folgt der Staatsanwältin

Richterin Heike Willenberg und die zwei Schöffinnen verurteilen den Angeklagten zu drei Jahren und sechs Monaten Haft – sie folgen damit dem Antrag der Staatsanwältin. Der Verteidiger hatte Freispruch gefordert.

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„Wir haben heftigst diskutiert, da sind die Fetzen geflogen“, erklärt die Richterin. „Wir haben uns schließlich entschieden, sie zu verurteilen, da wir keinen vernünftigen Zweifel an ihrer Schuld haben. Außerdem haben wir keinen Zweifel, dass der Geschlechtsverkehr nicht einvernehmlich war.“

Widersprüchliche Aussagen des Angeklagten

Und während seine Schilderungen der besagten Nacht widersprüchlich waren, sei die Geschädigte stets bei ihrer Aussage geblieben. Darüber hinaus leidet die 24-Jährige körperlich und seelisch seither erheblich – wobei weder eine Psychose noch eine Schizophrenie diagnostiziert wurde, sondern eine posttraumatische Belastungsstörung. Erschwerend kam der Samenerguss in der Frau hinzu – damit habe der Mann eine Erkrankung der Geschädigten in Kauf genommen, außerdem musste sie die Pille danach nehmen.

„Die Frau wollte keinen Sex, dann haben sie es einfach gemacht.“

Heike Willenberg richtet sich an den Verurteilten: „Sie wollten Sex, sie hatten Lust drauf. Die Frau aber wollte nicht, dann haben sie es einfach gemacht, als sie schlief“, sagt sie. „Verminderte Schuldfähigkeit durch Alkoholeinfluss ist auch nicht gegeben: Sie konnten alles detailliert erzählen, sie konnten noch alles steuern, sie hatten eine Erektion und einen Samenerguss, sie haben sich noch angezogen. Es lag also keine keine verminderte Steuerung vor.“

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Schließlich fragt sie den Mann: „Als sie schrie, sagten sie lediglich: Keine Polizei rufen. Wieso haben sie nicht gesagt: Was soll das? Wir beide wollten den Sex doch.“

Vor dem Gang in die Haft die Eltern auf den Kapverden angerufen

Nach der Urteilsverkündung bricht der Mann in Tränen aus. Vor dem Gang in den Vollzug ruft er im Gerichtssaal noch seine 80 und 90 Jahre alten Eltern auf den Kapverden an und verabschiedet sich von seiner Lebensgefährtin, bevor er in Handschellen abgeführt wird. Sein Rechtsanwalt kündigt an, sich zusammen mit seinem Mandanten über eine Berufung Gedanken zu machen.