Der neue Name auf dem Klingelschild sagte Renate Kunz nichts. Was es aber ganz sicher nicht war: der Name ihres früheren Vermieters. Dabei hatte er ihr den Mietvertrag doch wegen Eigenbedarfs gekündigt. Doch selbst eingezogen ist er in die Wohnung im ersten Stock des Mehrfamilienhauses im Paradies nie.
Stattdessen lebt dort eine Familie, von der Renate Kunz weiß, dass sie aus dem Norden Baden-Württembergs kommt. Und von der Kunz annimmt, dass sie sehr viel mehr Miete bezahlt, als sie selbst dem Vermieter monatlich überwiesen hatte.
Die Geschichte von Renate Kunz ist kein Einzelfall, und sie macht eine Entwicklung deutlich, die den Deutschen Mieterbund Bodensee und Kommunalpolitiker gleichermaßen beunruhigt. Außergewöhnlich an dieser Eigenbedarfskündigung ist aber die Dreistigkeit, mit der der Vermieter vorging – und die dazu führte, dass Kunz auf ihrem Schaden zumindest nicht ganz allein sitzen blieb.

Denn den angeblichen Eigenbedarf hatte der Vermieter mit einer Gelenkerkrankung begründet, wegen derer er in seinem Haus nicht wohnen bleiben könne. Doch kurz danach entdeckten Bekannte von Renate Kunz eben die Wohnung im ersten Stock auf einem Immobilienportal.
Für 1500 Euro kalt, Kunz hatte 840 bezahlt. „Er wollte nie selbst einziehen“, war Kunz sich früh sicher. Die Kündigung nahm sie dennoch hin, fand eine andere – deutlich teurere – Wohnung. Dass die Sache mit dem Eigenbedarf faul war, konnte sie erst im Nachgang beweisen.
Und genau da liegt das Problem, sagt Winfried Kropp, örtlicher Vorsitzender des Deutschen Mieterbundes Bodensee (DMB). Von rund 500 Kündigungen, die jährlich auf den Tischen der regionalen Berater des DMB landen, sind nach seinen Worten zwei Drittel mit Eigenbedarf begründet.
Das ist in etwa ein Fall pro Tag, Tendenz steigend. „Und das wird sich noch verschärfen“, sagt Kropp. Denn der Bedarf nach Wohnungen steigt, gebaut wird aber kaum mehr – und Gesetze und Gerichte ließen immer wieder Schlupflöcher für Kündigungen, bei denen der vorgebrachte Eigenbedarf zumindest fragwürdig sei.

Oft, so Kropp, seien Mieter betroffen, „die sich nicht alles gefallen lassen“ und zum Beispiel bei Mieterhöhungen oder nach Modernisierungen kritisch seien. Da werde, so die Beobachtung des DMB, zunehmend zum Mittel der Eigenbedarfskündigung gegriffen. Auch Kropp bezweifelt aber nicht, dass diese durchaus berechtigt und begründet sein können.
Berechtigter, vorgeschobener oder weggefallener Eigenbedarf?
Es gebe aber auch die anderen Fälle. Das ist zum einen das, was Experten den vorgeschobenen Eigenbedarf nennen. Also wenn nachweisbar ist, dass der Vermieter gar nicht die Absicht hatte, in die Wohnung überhaupt einzuziehen, sondern sie einfach teurer und/oder an jemand anderen vermieten möchte.
Zum anderen gibt es, auch das kommt laut DMB nicht so selten vor, den weggefallenen Eigenbedarf. Zum Beispiel, wenn das Kind sein Studium doch nicht in Konstanz beginnt. Oder ein zerstrittenes Paar sich doch nochmals zusammenrauft und nicht einer in die zuvor vermietete Eigentumswohnung einzieht.
Rechtlichen Rat sollten Mieter auf jeden Fall suchen, sagt Winfried Kropp. Das führt zwar nur selten dazu, dass Betroffene in der Wohnung bleiben können, kann aber die Folgen mildern. So hat es auch Renate Kunz gemacht. Sie schaltete ihren Anwalt an, der Vermieter seinen.
24.000 Euro Kosten habe der erzwungene Umzug verursacht, hat Kunz ermittelt. Am Ende einigte man sich auf einen Schadenersatz von 12.000 Euro – nach Einschätzung des Miet-Experten Kropp eine durchaus beachtliche Summe. Und, was Renate Kunz auch noch wichtig ist, es ist belegt, dass diese Kündigung nicht rechtmäßig war.
So einen Nachweis über eine unrechtmäßige Eigenbedarfskündigung zu führen, ist oft schwierig, sagt Winfried Kropp. Deshalb ist auch die Rechtsschutzversicherung der Mieterbund-Mitglieder oft zögerlich, Eigenbedarfs-Verfahren zu unterstützen. Zumal in Konstanz „die Gerichte oft auf der Vermieterseite“ stünden, so die Einschätzung des DMB.
Und: Auch Rechtsmittel gegen eine Eigenbedarfskündigung hätten in der Regel keine aufschiebende Wirkung. In manchen Fällen sei es also besser, bei den Konditionen das Beste herauszuhandeln, zum Beispiel eine Abstandszahlung für vorzeitigen Auszug.
Und plötzlich haben ganz viele Bekannte Ähnliches erlebt
Als Renate Kunz begann, im Freundeskreis über ihren Fall zu erzählen, hörte sie auf einmal viele vergleichbare Geschichten. Oft geht es dabei darum, wie der Eigenbedarf eigentlich begründet wird, was Winfried Kropp bestätigt. Da soll ein 19-jähriger Sohn eine 90-Quadratmeter-Wohnung für sich allein bekommen.
Oder für fünf Besuche im Jahr braucht es angeblich eine Zweitwohnung. Oder, wie sich Renate Kunz erzählen ließ, ein Ehepaar aus dem Hegau kündigt einer Mutter mit behinderter Tochter die Wohnung, weil sie diese für die gelegentliche „Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben“ im Oberzentrum brauche.
Winfried Kropp kennt diesen Fall nicht, aber er wundert sich auch nicht: „Da gibt es nichts, was es nicht gibt.“ Dass immer mieterfreundlichere Gesetze die Eigenbedarfskündigung für viele Vermieter zum letzten Ausweg machen, über ihr Eigentum frei zu verfügen, will er so pauschal nicht gelten lassen. Aus seiner Sicht häufe sich „der Missbrauch eines rechtlichen Instruments“.
Grünen-Stadträtin nennt Vorgang nicht hinnehmbar
So sieht es auch die Konstanzer Stadträtin Anne Mühlhäußer (FGL&Grüne), die Renate Kunz in der schweren Zeit, in der sie ihre Wohnung verlassen musste, unterstützt hat. Bezahlbare Mietwohnungen seien entscheidend wichtig für eine lebendige Stadtgesellschaft, sagt sie.
Eigenbedarfskündigungen mit dem Ziel, bei einer Neuvermietung einfach eine höhere Miete zu kassieren, seien nicht hinnehmbar. Renate Kunz drückt es so aus: „Das darf keine Schule machen, sonst wird die Stadt unbezahlbar für die Menschen, die hier arbeiten.“