„Ich hatte entsetzliche Angst vor dem Krieg“, antwortet Maik Schluroff auf die Frage, was ihn als Jugendlichen politisiert hat. Er wurde 1943 geboren. „Die Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs habe ich als Kleinkind noch mitbekommen“, erinnert sich der gebürtige Berliner an zerstörte Häuser und Besatzungssoldaten.

Bild 1: Warum gehen junge Menschen auf die Straße? Das haben wir eine 19-jährige Aktivistin und einen Alt-68er aus Konstanz gefragt
Bild: Kerstan

Kalter Krieg, atomare Bedrohung, Vietnamkrieg – in seiner Jugend waren Krieg und Frieden die großen Fragen, die ihn beschäftigten. „Den Vietnamkrieg fand ich so schrecklich, dass ich etwas ändern wollte. So ging es damals vielen – vor allem den Studenten.“ Deshalb sei er in den 1960er-Jahren auf die Straße gegangen. „Das war damals ungewöhnlich, denn das machten zunächst ganz wenige – eigentlich nur Kommunisten.“

Alt-68er: „Wir mussten mit Prügel durch die Polizei rechnen“

Zu jener Zeit studierte er Linguistik in Marburg – eine Hochburg linker Studenten. „Ich war dort nur ein kleines Rädchen. Wenn ich mal an der Abzugsmaschine für Flugblätter kurbeln durfte, dann waren das schon höhere Weihen“, sagt Schluroff lachend.

„Wer auf die Straße ging, musste mit Verhaftung und Prügel durch die Polizei rechnen“, sagt Friedensaktivist Maik Schlurof
„Wer auf die Straße ging, musste mit Verhaftung und Prügel durch die Polizei rechnen“, sagt Friedensaktivist Maik Schlurof | Bild: Maik Schluroff

„Doch wer auf die Straße ging, musste mit Verhaftung und Prügel durch die Polizei rechnen. Das war eine ganz andere Geschichte als heutzutage.“ Denn damals sei die Polizei noch deutlich aggressiver aufgetreten und Teil einer Obrigkeit gewesen. Da habe es die heutige Generation besser.

Ist das wirklich so? Die Konstanzerin Lena Gundelfinger ist 19 und macht ein FSJ bei der Caritas. Seit anderthalb Jahren engagiert sie sich bei Fridays for Future – und geht auch zu Demonstrationen. Probleme mit der Polizei habe sie tatsächlich noch nicht gehabt.

Lena Gundelfinger kooperiert bei Demonstrationen von „Fridays for Future“ mit der Polizei.
Lena Gundelfinger kooperiert bei Demonstrationen von „Fridays for Future“ mit der Polizei. | Bild: Felix Müller / Fridays for Future Konstanz

„Die Bewegungen heute sind weniger umstritten, da unser Protest immer friedlich ist und wir mit der Polizei kooperieren“, vermutet die 19-jährige Aktivistin. Doch sie sieht auch eine Gemeinsamkeit zu damals: „In beiden Fällen sehen junge Menschen eine Entwicklung, die ihnen nicht gefällt, weil sie toxisch für ihre Zukunft ist.“

Klima-Aktivistin: „Politiker sind gar nicht so weit weg“

Doch was treibt Lena Gundelfinger überhaupt auf die Straße? „Klimapolitik war mir auch davor schon wichtig, aber eher im privaten Bereich.“ Durch Bekannte sei sie dann mit der Bewegung in Kontakt gekommen. Dort habe sie gesehen, dass man als Gruppe gesellschaftlich relevant werden könne.

„Ich habe gemerkt, dass man etwas erreichen kann und dass Politiker gar nicht so weit weg sind „, sagt Klimaaktivistin Lena ...
„Ich habe gemerkt, dass man etwas erreichen kann und dass Politiker gar nicht so weit weg sind „, sagt Klimaaktivistin Lena Gundelfinger | Bild: Lena Gundelfinger

„Politiker hören plötzlich zu. Ich habe gemerkt, dass man etwas erreichen kann und dass Politiker gar nicht so weit weg sind.“ Zudem führe sie regelmäßig Gespräche mit Oberbürgermeister Uli Burchardt und dem Bundestagsabgeordneten Andreas Jung über klimapolitische Themen. „Das hat mir gezeigt, dass auch junge Menschen etwas verändern können.“

Die 19-jährige Aktivistin führt regelmäßig Gespräche mit Oberbürgermeister Uli Burchardt und dem Bundestagsabgeordneten Andreas Jung ...
Die 19-jährige Aktivistin führt regelmäßig Gespräche mit Oberbürgermeister Uli Burchardt und dem Bundestagsabgeordneten Andreas Jung über klimapolitische Themen. | Bild: Felix Müller / Fridays for Future Konstanz

Konstanz um 1970: „Es war ein Schock, als ich hier herkam“

Ähnliche Erfahrungen machte Maik Schluroff, als er 1970 nach Konstanz kam. Er blieb hier politisch aktiv – und trat sozusagen den Marsch durch die Institutionen an. „Ich wollte mich in Konstanz aufs Studium konzentrieren, aber der Asta suchte händeringend nach Leuten, die sich engagieren wollten.“

In Marburg habe es noch richtige Wahlkämpfe mit Flugblättern gegeben. Daher habe es ihn geschockt, wie unpolitisch Konstanz war. „Da dachte ich mir, ich muss wohl doch ein bisschen ran, für Frieden und Gerechtigkeit.“ Und so ließ Schluroff sich in den kleinen und großen Senat der Uni als Vertreter der Studenten wählen.

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Als in den 1980er-Jahren die Nachrüstungsdebatte losging, engagierte er sich in der Konstanzer Friedeninitiative. „Wir haben für Demos zum Beispiel einen Sonderzug gemietet und Busse organisiert – bis zu 1000 Leute waren dabei.“

So hätten sie es geschafft, dass der Gemeinderat Konstanz zur atomwaffenfreien Zone erklärte. Dabei seien viele Gruppen vertreten gewesen – die DKP, Grüne, Christen, aber immer überparteilich organisiert. „Die Verhinderung der Mittelstreckenraketen war das Verbindende.“

Maik Schluroff kandidierte unter seinem amtlichen Namen „Michael Schluroff“ für die Friedensliste.
Maik Schluroff kandidierte unter seinem amtlichen Namen „Michael Schluroff“ für die Friedensliste. | Bild: Maik Schluroff

Demonstrationen, Uniparlament oder zugleich Gespräche mit dem Gemeinderat? Welchen dieser Wege empfindet Aktivistin Lena Gundelfinger für ihre Generation als den richtigen?

Friedensaktivist ist von „Fridays for Future" begeistert

Bei Fridays for Future kombiniere sie öffentlichkeitswirksame Aktionen wie Demonstrationen, Mahnwachen und mediale Kampagnen, die Druck auf die Politik aufbauen, mit inhaltlicher Arbeit wie der Organisation von Podiumsdiskussionen und Gesprächen mit Politikern und dem Gemeinderat, wodurch man Ziele auch tatsächlich erreichen könne.

„Ausgesprochen positiv“ beurteilt das Maik Schluroff. Zwar fehle ihm heute die Auseinandersetzung mit dem Thema Abrüstung. „Unterschätzt werden von den Klimaschützern auch die gewaltigen Umweltschäden durch das Militär und durch Kriege.“ Doch ansonsten findet er es sehr erfreulich, dass diese Jugend keine Ich-Generation sei, sondern sich um die Zukunft kümmere.

Und was halten die beiden Aktivisten von Wahlen?

Maik Schluroff kann sich an seine erste Wahl gar nicht mehr genau erinnern, sie liege immerhin schon fast 60 Jahre zurück. „Ich war zwar immer wählen, doch den Wahlakt fand ich damals nicht so spannend. Meine Wehrdienstverweigerung empfand ich als wichtigeres politisches Signal.“

Die habe er noch genau im Kopf. „Aber wählen zu gehen ist das Minimale, was man als Bürger machen kann und muss. Jede Stimme kann den Unterschied ausmachen.“ Das habe sich beim Brexit und der Wahl von Trump gezeigt. „Hätten alle gewählt, wäre beides vielleicht anders ausgegangen“, sagt der 78-Jährige.

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„Nicht zu wählen ist ein Protest, der nichts ändert“

Auch für Erstwählerin Lena Gundelfinger ist das der richtige Weg. Nicht zu wählen, bedeute vielleicht im ersten Moment Protest. „Aber es ist ein Protest, der nichts ändert. Die eigene Stimme kann Machtverhältnisse mitentscheiden.“

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Dabei gebe es viele wichtige Themen, die jeden etwas angehen. Neben dem Klimaschutz seien das aktuell vor allem Fragen der Gerechtigkeit: Rassismus, Altersarmut und die Anerkennung sozialer Berufe, findet die 19-Jährige. „Protest ist der Weg, um die Gesellschaft in diesen Bereichen aufzurütteln. Aber um nachhaltig etwas zu ändern, braucht es Wahlen und Gespräche.“