Wie verabschiedet man eigentlich jemanden, der gefühlt schon immer da war? Kein leichter Akt, denn es gibt Kombinationen, die gehören einfach zusammen. Was wäre Singen ohne den Hohentwiel, ohne den Poppele oder ohne die Maggi? Einfache Antwort: Undenkbar. Ähnlich verhält es sich mit Marion Czajor und dem Singener Gemeinderat. Über Jahrzehnte hinweg hat sie die Geschichte und Entwicklung der Stadt mitgestaltet, ja, mitgeprägt. Fast vier Jahrzehnte – nämlich 39 Jahre – saß sie im Gremium und das für zwei Fraktionen.
Wie lange die Zeitspanne wirklich war, wird am Beispiel von Oberbürgermeister Bernd Häusler deutlich: Wie er bei der Verabschiedung der ausscheidenden Gemeinderäte in der Stadthalle verriet, war er, als Czajor im Jahr 1985 das erste Mal in den Rat gewählt wurde, mitten im Abitur. Zur Verabschiedung gab es nun ein ganz besonderes Geschenk.

Marion Czajor wirkt an diesem Abend entspannt. Der Rummel um ihre Person ist ihr fast unangenehm. Dabei hat die scheidende Stadträtin der Neuen Linie viel in ihrer politischen Laufbahn erlebt. Wie Oberbürgermeister Bernd Häusler in seiner Rede ausführte, war Marion Czajor erst die zweite Frau im Singener Gremium, die eine Fraktion als Sprecherin anführte. Davor war es Veronika Netzhammer für die CDU.
Und mit der CDU fing auch bei Marion Czajor alles an. 1985 rückte sie für die Christdemokraten in den Gemeinderat nach. Fünf Jahre später, 1990, gelang ihr die Wiederwahl. Bis zur Oberbürgermeister-Wahl im Jahr 1993 saß Czajor für die CDU am Ratstisch, doch dann kam es zu Unstimmigkeiten. Oder wie es OB Häusler formulierte: „Es hat nicht mehr funktioniert zwischen Marion Czajor und der CDU.“ Details nannte er keine, aber er sprach von Reibereien.
Eine Neue Linie musste her
Politisch wollte sich Czajor weiter engagieren, deshalb gründete sie mit der Neuen Linie (NL) eine eigene Gruppierung. Ab 2019 hatte sie die Funktion der Fraktionssprecherin der NL inne. „Marion Czajor war stets informiert, was in Singen ging. Ihre Rückfragen mit dem Beginn ‚Herr Oberbürgermeister‘ waren legendär“, schildert OB Häusler.
Viele Projekte seien in dieser Zeit in Singen realisiert worden. Etwa 1987 die Sanierung der Teestube oder die erste Sanierung des Gasthauses Kreuz, 1991 das erste Rennen der Deutschen Tourenwagenmeisterschaft in Singen, 2007 die Eröffnung der Stadthalle, 2020 die Cano-Eröffnung, die Einweihung des Busbahnhofes im selben Jahr und der Baubeschluss zum Wiederaufbau der Scheffelhalle.
Insgesamt habe Czajor in den 39 Jahren wohl an mehr als 1000 Sitzungen beigewohnt. Bei der Kommunalwahl im Juni 2024 war Czajor nicht mehr angetreten. Für ihr politisches Wirken und ihr ehrenamtliches Engagement verlieh ihr der OB nun den Ehrenring der Stadt.
Und die Geehrte selbst? Die blieb gewohnt bescheiden. Sie dankte in ihrer Rede ihren vielen Wegbegleitern, etwa Dieter Rühland, Markus Weber oder Dirk Oehle. Sie alle hätten Singen mit ordentlich Power vorangebracht. Und das solle so bleiben: „Diese Kraft brauchen wir auch heute. Es ist Wahnsinn, was wir im Gemeinderat alles zusammen erreicht haben“, so Czajor.

Auch andere Räte verabschieden sich
Die Verabschiedung von Marion Czajor war aber nicht die einzige an diesem Abend in der Singener Stadthalle. Eine ganze Reihe an Ortschafts- und Gemeinderäte wurden von OB Häusler verabschiedet. Zudem gab es noch eine ganze Reihe an Ehrungen. „Die vergangenen fünf Jahre waren spannend. Vor allem in politischen Bereichen wurde viel diskutiert“, betonte der Singener Rathauschef. Seit der bisherige Gemeinderat im Juli 2019 vereidigt wurde, seien laut Häusler über 100 Beschlüsse gefasst worden.
Der Singener Oberbürgermeister nannte auch Meilensteine. Die Einführung des Kommunalen Ordnungsdienstes 2019, der Brand der Scheffelhalle in 2020 und den quasi sofortigen Beschluss zum Wiederaufbau, des Jugendkomitees in 2021 und die Digitalisierung an den Singener Schulen in 2022. Außerdem die Einrichtung eines Medizinischen Versorgungszentrum in 2023, der Zuschlag für den Bau der neuen Kreisklinik in Singen in 2023, der Beschluss zur Einrichtung einer Videoüberwachung in der Innenstadt ebenfalls 2023. „Wir können stolz darauf sein, was wir die vergangenen fünf Jahre alles bewegt haben“, betonte Häusler.

Viele Stunden hätten die Gemeinderäte diskutiert, verhandelt und ab und an auch gestritten – zum Wohle der Stadt. „Ich erinnere mich an eine Sitzung am 5. Mai 2020. Sie ging von 16 bis 23 Uhr, ohne Verpflegung“, so Häusler. Irgendwann habe die FDP-Fraktion Pizza bestellt. „Die Verwaltung hat gedarbt.“ Jetzt freue er sich auf die kommenden fünf Jahre mit dem neuen Gremium. „Gute Demokraten machen den alten und den neuen Gemeinderat aus“, sagte Häusler. Denn gute Demokraten akzeptieren verschiedene Meinungen und vor allem Mehrheitsentscheidungen.