Singen ist das industrielle Herz des Landkreises Konstanz. Mehr als 9100 Menschen arbeiten in der Stadt unterm Hohentwiel im produzierenden Gewerbe. Das weisen die Zahlen der Stadtverwaltung zum Stand 30. Juni 2022 aus. Zum Vergleich: Im deutlich größeren Konstanz arbeiten nach Zahlen der dortigen Stadtverwaltung gerade einmal knapp 3800 Menschen im produzierenden Gewerbe (Stand 30. Juni 2023). Gleichzeitig ist die Arbeitswelt im Wandel – Digitalisierung, Dekarbonisierung und demografischer Wandel sind Schlagworte, die drei Megatrends für Wirtschaftsbetriebe beschreiben.

Immer mehr Maschinen funktionieren zum Beispiel mit Software, sie müssen praktisch wie ein Computer bedient werden. Arbeitsplätze für Menschen mit geringer Qualifikation werden hingegen weniger, wie Unternehmenslenker in der Region immer wieder sagen. Ausbildung werde immer wichtiger, weil es kaum noch gering qualifizierte Arbeitsplätze gebe, sagte beispielsweise Wilfried Trah bei seinem Amtsantritt als Vorsitzender des Standortmarketingvereins Singen aktiv. Auch Arbeitnehmervertreter wie der damalige Betriebsratschef der Maggi, Alfred Gruber, hatten das Thema schon 2021 auf dem Schirm.

Arbeitsmarkt in der Region ist zweigeteilt

Spürt man das auch am Arbeitsmarkt? Ja, sagt Mathias Auch. Er muss es wissen, denn Auch ist, nach fast fünf Jahren an der Spitze der Arbeitsagentur in Ulm, seit 2022 Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Konstanz-Ravensburg. Dort registriere man einen zweigeteilten Arbeitsmarkt in der Region. In bestimmten Bereichen würden Arbeitskräfte entlassen, sagt Auch: „Das sind oft Ungelernte oder gering Qualifizierte.“ Man sehe, dass die Arbeitslosigkeit wachse: „Nicht dramatisch, aber immer wieder ein bisschen.“

So liege die Arbeitslosenquote für Singen im August dieses Jahres bei 6,1 Prozent – ein wenig höher als zuletzt. Für Juli gibt Eva Schmidt, Pressesprecherin der Arbeitsagentur Konstanz-Ravensburg, die Arbeitslosenquote mit 6,0 Prozent an, für Juni mit 5,8 Prozent. Es habe aber auch schon deutlich höhere Werte gegeben, sagt Mathias Auch. In totalen Zahlen bedeutet das: Im August dieses Jahres bezogen in der Stadt Singen 1629 Menschen Arbeitslosen- oder Bürgergeld, ein Jahr zuvor waren es 1401, wie die Daten von Eva Schmidt zeigen. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre gab es aber auch schon 1801 Empfänger von Arbeitslosen- oder Bürgergeld, nämlich im August 2020.

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Es gebe auch Bereiche, die händeringend suchen, doch die brauchen meist gut qualifizierte Arbeitskräfte. Mindestens drei Viertel der gemeldeten offenen Stellen würden sich auf Fachkräfte oder Akademiker beziehen, sagt Mathias Auch. Sein Tipp: „Qualifizierung, Qualifizierung, Qualifizierung – das ist wichtig in der Transformation.“ Viele Menschen und viele Arbeitgeber hätten das schon auf dem Schirm, jedoch nicht alle.

Auch Arbeitnehmer können sich übrigens bei der Arbeitsagentur melden. Der Arbeitsagentur-Chef betont allerdings: „Wir sind kein Anbieter von Weiterbildungen, sondern organisieren und finanzieren.“

„Der Fachkräftemangel hat dazu geführt, dass die Gruppe der Arbeitnehmenden über 55 für die Wirtschaft sehr wichtig geworden ist.“ ...
„Der Fachkräftemangel hat dazu geführt, dass die Gruppe der Arbeitnehmenden über 55 für die Wirtschaft sehr wichtig geworden ist.“ Alexandra Thoß, Geschäftsführerin Bildung der IHK Hochrhein-Bodensee | Bild: Herbert Weniger/IHK Hochrhein-Bodensee

Alexandra Thoß, Geschäftsführerin für den Bereich Bildung bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Hochrhein-Bodensee, bestätigt Auchs Diagnose aus Sicht der Unternehmensvertretung: „Die Zahl der Stellen für un- oder angelernte Kräfte nimmt tendenziell ab, insbesondere aufgrund von Automatisierung, Digitalisierung und dem strukturellen Wandel in der Wirtschaft“, schreibt sie auf Anfrage. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, würden viele Unternehmen vermehrt auf hoch qualifizierte Arbeitskräfte setzen.

Mehr Arbeitsplätze in der Region

Zur Frage, wo die Fachkräfte hin sind, die an manchen Stellen so dringend gesucht werden, geben die Zahlen der Arbeitsagentur auch Aufschluss. So gebe es mittlerweile mehr als 27.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsstellen in Singen – ein starker Aufbau. Von 2013 bis 2023 sei die Beschäftigung in der Region um etwa 13 Prozent gewachsen, so Mathias Auch. Treiber sei allerdings nicht das verarbeitende Gewerbe gewesen: „Andere Bereiche sind stärker gewachsen.“

Zum Beispiel Logistik, Gesundheit, Sozialwesen oder der Bau – bei dem sich allerdings derzeit wieder Schwierigkeiten abzeichnen. Auch kann dieser Veränderung auch etwas abgewinnen: „Es gab ein Wachstum“.

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Auch das kann Alexandra Thoß von der IHK Hochrhein-Bodensee unterstreichen. „In unserer Region sind die Logistikbranche und der Gesundheitssektor sehr stark“, schreibt sie in ihrer Stellungnahme. Ein wachsendes Arbeitsangebot gehe aber auch auf Firmen in den Branchen Chemie, Maschinenbau, Feinmechanik, Elektrotechnik, Tourismus und Handel zurück.

Bessere Chancen für ältere Arbeitnehmer

Für seine eigene Organisation wirbt Mathias Auch auch als Helferin im Wandel am Arbeitsmarkt. Die Arbeitsagentur organisiere und finanziere beispielsweise Weiterbildungen für Arbeitslose. Aber auch bei Menschen, die schon in Arbeit sind, könne die Agentur beraten oder mit Arbeitgebern zusammenarbeiten, um Qualifizierungen zu organisieren. Unternehmen könnten dabei auch von Förderungen profitieren.

Bei Weiterbildung seien ältere Arbeitnehmer sehr motiviert, lautet die Beobachtung von Pressesprecherin Eva Schmidt. Arbeitgeber seien inzwischen auch eher bereit, ältere Arbeitnehmer einzustellen, beobachtet Mathias Auch. Für IHK-Frau Thoß läuft die Entwicklung sogar noch mehr zugunsten von älteren Arbeitnehmern: „Der Fachkräftemangel hat dazu geführt, dass die Gruppe der Arbeitnehmenden über 55 für die Wirtschaft sehr wichtig geworden ist. Viele Unternehmen möchten ältere Beschäftigte so lange wie möglich halten und passen ihre Unternehmenskultur an.“ Nur geringe Qualifizierung im Alter, das sei ein echtes Problem, so Mathias Auch.

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Noch eine Gruppe könne vom Mangel an Arbeitskräften profitieren: geflüchtete Menschen. Die Arbeitsagentur beschäftige sich mit den Geflüchteten, die arbeiten dürfen, zum Beispiel Menschen aus der Ukraine.

Ausbildungsplätze sind noch frei

Und beim Berufseinstieg? Da wirbt Mathias Auch darum, es weiterhin auf dem Ausbildungsmarkt zu versuchen. Im August seien in Singen und Umgebung noch 490 Ausbildungsplätze frei gewesen. Im Oktober beginne die Nachvermittlung und bis Dezember gebe es noch Chancen.