Eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen in öffentlichen Verkehrsmitteln bis 2030: Dieser Plan der Landesregierung ist ehrgeizig. Und er kann nur gelingen, wenn die öffentlichen Verkehrsmittel dafür auch fit sind. Speziell auf der Schiene verlaufen Ertüchtigungsprojekte meistens äußerst zäh. Entsprechend war die Stimmung beim Bahn-Gipfele, zu dem die drei Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises Konstanz, Andreas Jung (CDU), Lina Seitzl (SPD) und Ann-Veruschka Jurisch (FDP) ins Singener Rathaus geladen hatten. Worauf sich Fahrgäste auf den Strecken im Landkreis einstellen können und welche Wünsche Abgeordnete und Zivilgesellschaft haben:

Die Gäubahn: Es geht voran, gibt aber noch Luft nach oben

Die meistdiskutierte Bahnstrecke in der Region war zuletzt die Gäubahn zwischen Stuttgart und Zürich. Sie verläuft durch Singen und verbindet die Region am westlichen Bodensee mit der Landeshauptstadt. Im Bodenseeraum hat vor allem die Idee für Aufregung gesorgt, dass Gäubahnzüge in Singen nicht mehr am Innenstadtbahnhof, sondern am Haltepunkt Landesgartenschau halten, ehe sie über die noch zu bauende Singener Kurve in Richtung Schaffhausen und Zürich weiterfahren. Dazu gab es schon bei einem Treffen am Dienstag nach der jüngsten Sitzung des Stuttgart-21-Lenkungskreises ein hoffnungsvolles Signal vom Bahn-Konzernbevollmächtigten für Baden-Württemberg, Thorsten Krenz, dass die Bahn Singen und Böblingen auf jeden Fall weiterhin anfahren möchte. Das wiederholte Krenz nun und erntete positive Reaktionen. Auch die Anbindung an den neuen Stuttgarter Hauptbahnhof über den Flughafen durch einen neuen Tunnel und der Erhalt der Panoramabahn in Stuttgart sind nun vorgesehen.

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All diese Signale wurden im Hegau positiv gewertet. Es gebe nun die „historische Chance“, den Ausbau hinzubekommen, sagte etwa Verkehrsstaatssekretär Michael Theurer (FDP), der das Treffen vom Dienstag initiiert hatte und nun auch beim Bahn-Gipfele digital zugeschaltet war. Auch der Konzernbevollmächtigte Krenz sprach von einem „fast schon historischen Moment“ bei der Gäubahn: „So weit wie jetzt waren wir noch nie.“ Die Haben-Seite beim Ausbau erntete denn auch Anerkennung bei den Teilnehmern.

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Doch es gab auch zahlreiche Kritikpunkte, allen voran die vorgesehene Unterbrechung der Gäubahn in Stuttgart in dem Zeitraum, wenn der neue Hauptbahnhof im Betrieb, aber die neue Anbindung durch den Flughafen noch nicht fertig ist. Von mindestens sechs Jahren, vielleicht aber auch zehn Jahren, ist die Rede, in denen Fahrgäste nach Stuttgart ab Ende 2025 einmal zusätzlich umsteigen müssen. Singens OB Häusler nutzte die Gelegenheit, Krenz direkt nach seiner Haltung dazu zu fragen. Der vereinbarte Faktencheck diene genau dazu, Alternativen für die Anbindung an Stuttgart zu finden, sagte Krenz. Und Markus Tittelbach vom ökologisch ausgerichteten Verkehrsclub Deutschland (VCD) formulierte klar: „Wir wollen zum Stuttgarter Hauptbahnhof.“ Die Panoramabahn in Stuttgart für die Fahrt zum Hauptbahnhof weiter zu nutzen, sei aber mit einigen technischen Schwierigkeiten verbunden, wie aus den Ausführungen von Florian Bitzer hervorging, der bei der Bahn Leiter des Gesamtprogramms Inbetriebnahme Stuttgart-Ulm ist. Und der jetzige Kopfbahnhof werde mit der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 eben abgeschafft, gab Theurer zu bedenken.

Veronika Netzhammer riss im Lauf der Diskussion der Geduldsfaden. Mit Blick auf die Landeshauptstadt sagte sie: „Wenn jemand der Gewinner von Stuttgart 21 ist, dann ist es die Stadt Stuttgart.“ Die Fläche, auf der jetzt noch Gleise sind und auf der das Rosensteinviertel entstehen soll, hätte die Stadt sonst nie bekommen, so ihre Einschätzung. Da sei es schon vertretbar, dass die Stadt für ein paar Jahre zurücksteckt, bis die durchgehende Anbindung von Süden da sei. Und auch mit dem Kostenargument brauche man nicht zu kommen, wenn der Bund für das Neun-Euro-Ticket 2,5 Milliarden Euro übrig habe, sagte sie nach der Veranstaltung.

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Sascha Altenau vom Güterverkehrsunternehmen Hupac mahnte den Ausbau auch aus Sicht des Güterverkehrs an. Die Gäubahn sei die einzige Alternative zur Rheintalstrecke. Und Ulrich Müller vom Landesvorstand der Fahrgastinitiative Pro Bahn wünschte Streckenoptimierungen wie bei der Straße, damit Züge dort schneller unterwegs sein können. Auch darüber spreche man im Zusammenhang mit dem Deutschlandtakt, sagte Thorsten Krenz dazu.

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Ein großes Thema war die Digitalisierung auf der Bahnstrecke. Die FDP-Bundestagsabgeordnete Jurisch drängte auf eine Festlegung der Bahn-Vertreter zur Digitalisierung: „Wir sind an der Grenze zur Schweiz und brauchen das für einen reibungslosen Verkehr.“ Denn in der Schweiz ist der Bahnverkehr schon mit dem digitalen Zugsicherungssystem ETCS ausgestattet. Und auch in den neuen Stuttgarter Tiefbahnhof können Züge nur mit ETCS einfahren. FDP-Kreisrat Georg Geiger schilderte das Dilemma: In Rottweil solle es ein neues digitalisiertes Stellwerk geben, das die Strecke bis kurz vor der Grenze zum Kreis Konstanz regle. Nur im Kreis Konstanz gebe es das System noch nicht. 2023 würden allerdings die Strecken durch den Kreis für den Betrieb ab 2028 neu ausgeschrieben. Die Bahnunternehmen müssten wissen, mit welcher Infrastruktur sie zu rechnen haben, so Geiger. Und: „Die Schweizer Partner warten dringend darauf.“ Ein konkretes Bekenntnis ließen sich die Verantwortlichen der Bahn allerdings nicht entlocken.

Ein Zug auf der Gürtelbahn am Bodenseeufer bei Sipplingen. Auch hier wird um den Ausbau gerungen.
Ein Zug auf der Gürtelbahn am Bodenseeufer bei Sipplingen. Auch hier wird um den Ausbau gerungen. | Bild: Felix Loeffelholz

Die Bodenseegürtelbahn: Vorzugskonzept soll bis Ende des Jahres stehen

Bis Ende dieses Jahres solle es in Richtung Variantenentscheid bei der Bodenseegürtelbahn gehen, sagte Ronald Heil von der Deutschen Bahn. Das Vorhaben liege nach wie vor im Zeitplan. Vorgesehen sei der Ausbau der Strecke und der Bau einer Oberleitung von Radolfzell nach Friedrichshafen. Bei der Elektrifizierung gebe es auch eine Option für die Seehäsle-Strecke bis Stockach.

Frieder Staerke vom VCD Bodenseekreis kritisierte, dass nur 30 Prozent der Strecke zweigleisig vorgesehen sind. Der größte Teil der Verspätungen ergäben sich, weil Züge auf andere bereits verspätete Züge warten müssen. Und Wolfgang Reuther, der als Bürgermeisterstellvertreter Stockachs Verwaltungschef Rainer Stolz vertrat, kritisierte die stark gestiegenen Planungsleistungen, für die die kommunale Ebene in Vorleistung gegangen sei. Deren Anteil an den Planungskosten sei stark gestiegen, nämlich von 3,8 auf 10,5 Millionen Euro.

Ronald Heil begründete diese Kostensteigerung damit, dass neben der ursprünglich vorgesehenen Oberleitung mittlerweile auch viele andere Themen in die Planung aufgenommen worden seien, etwa Arbeiten an Bahnsteigen und Haltepunkten. Außerdem müsse an Tunneln und Brücken geplant werden, ergänzte Thorsten Krenz. Und ein komplett zweigleisiger Ausbau der Strecke gehe nicht, erklärte Heil. Denn ein großer Teil der Gleise liege zwischen Straße und Bodenseeufer.

Eine Lok der Deutschen Bahn auf der Schwarzwaldbahn nahe Triberg. Die Bergstrecke zwischen Sankt Georgen und Hausach wird derzeit nicht ...
Eine Lok der Deutschen Bahn auf der Schwarzwaldbahn nahe Triberg. Die Bergstrecke zwischen Sankt Georgen und Hausach wird derzeit nicht befahren, weil starker Verschleiß die Radreifen abnutzt. | Bild: Philipp von Ditfurth/dpa

Die Schwarzwaldbahn: Bahn will möglichst schnell raus aus dem Ersatzverkehr

Dirk Andres von der Deutschen Bahn schilderte die Bemühungen, den gewohnten Verkehr auf der wichtigen Verbindung vom Bodenseeraum in die Rheinebene wieder aufzunehmen. Derzeit macht nämlich erhöhte Abnutzung an den Radreifen der Schwarzwaldbahn-Züge der Bahn und den Fahrgästen zu schaffen. Da die Züge öfter in die Werkstatt müssen, fahren sie seltener auf der Strecke. Und der Bahnverkehr auf der Bergstrecke zwischen Sankt Georgen und Hausach wird derzeit durch Busse ersetzt. Denn an dieser Strecke, die im vergangenen Jahr saniert wurde, müsse die erhöhte Abnutzung liegen, erklärte Andres.

Die Schienen würden nun erneut abgeschliffen, nachdem ein erster Versuch mit der Schleifmaschine keinen Erfolg gebracht habe. Dann gebe es neue Messfahrten. Andres hofft, nächste Woche auf der Strecke voranzukommen, und sagt: „Ich will so schnell wie möglich raus aus dem Ersatzverkehr.“ Andreas Jung kommentierte, dass jemand, der zweimal mit dem Ersatzverkehr gefahren ist, beim dritten Mal möglicherweise auf ein anderes Verkehrsmittel umsteige.