Nach knapp fünf Filmminuten ist ihr bisheriges Leben vorbei. Die junge Frau Sezim wird in der Stadt in ein Auto verfrachtet und muss auf dem Land einen Mann heiraten, den sie zuvor noch nie gesehen hat. Ehre und Tradition ziehen sich wie eine Schlinge um ihren Hals.

Die Handlung des Kurzfilms „Ala Kachuu – Take and run“ könnte man abtun und sagen: Die grausame Tradition des Brautraubs in Kirgisien ist sehr weit weg vom deutschen Alltag. Das stimmt. Und doch ist der Film sehr nah. Nicht nur, weil die Filmemacherin Maria Brendle aus Mühlhausen-Ehingen stammt und aktuell auf einen Oscar hoffen darf. Sondern auch, weil das Thema auch in Singen bewegt, wie bei der Premiere auf der großen Leinwand des Cineplex deutlich wurde. „Auch bei uns gab es solche Zustände“, erinnerte Bürgermeisterin Ute Seifried, und während der Corona-Pandemie habe man sich schon manchmal gefragt, was eigentlich aus der Gleichberechtigung geworden ist.
Film soll zum Nachdenken anregen
Der Kurzfilm lässt den Zuschauer mit offenen Fragen unbeantwortet zurück. Das sei Absicht, wie Regisseurin Maria Brendle erklärte – sie wurde aus Los Angeles zugeschaltet, wo sie Sonntagnacht an der Oscar-Verleihung teilnehmen wird.

Sie habe die Geschichte nicht zu Ende erzählen wollen, weil die Figur Sezim stellvertretend für so viele junge Frauen stehe. „Ich wollte genau das erreichen, dass man nach Hause geht und sich überlegt, was macht das Mädchen jetzt.“ Im Gespräch schilderte auch, wie sie auf das Thema Brautraub in Kirgisien kam (über einen Freund, der dort wanderte) und dann vor Ort drehte – in einem fremden Land in einer fremden Sprache. Da hätte sie mit mehr Schwierigkeiten gerechnet, sagte Brendle auf die Frage von Mühlhausen-Ehingens Bürgermeister Patrick Stärk.
Ohne Sprache konnte sie sich auf Handlung konzentrieren – und Emotionen
Dass sie kein Wort verstanden habe, sei auch ein Vorteil gewesen: „Ich konnte mich zu 100 Prozent auf die Emotionen verlassen“, sagt die Regisseurin. Außerdem half eine Dolmetscherin. Dass der Film in Originalsprache gedreht wurde, gefiel einer Besucherin besonders gut: So könne man die Handlung besser nachempfinden. Deutsche Untertitel helfen beim Verstehen.
Film zeichnet nicht schwarz und weiß
Alle Filmbeteiligten hätten übrigens gewusst, dass es um ein kritisches Thema gehe – und gehofft, mit ihrem Einsatz etwas ändern zu können, sagte Brendle. Wie das gelingen könnte, zeigt sie auch in ihrem Film: Es sind nicht nur die bösen Männer und die leidenden Frauen. Um Traditionen aufzubrechen, seien auch Frauen gefragt.
Die Entscheidung, wer den Oscar gewinnt, sei übrigens gefallen, berichtete die Filmemacherin aus Los Angeles. Die Abstimmung der Academy-Mitglieder sei zu Ende. Das Ergebnis soll in der Nacht von Sonntag auf Montag ab 2 Uhr deutscher Zeit verkündet werden. Theaterleiterin Diane Hegyi hatte keinen Zweifel, dass dann der Name „Maria Brendle“ fallen wird.