Wenn Lars Gröning zur Arbeit muss, dann bedeutet das derzeit eine Autofahrt von dreieinhalb Stunden. Er ist Fachkrankenpfleger für den Operationsdienst – und Zeitarbeiter. Das heißt, dass er nicht dauerhaft an einem bestimmten Krankenhaus angestellt ist, sondern für Wochen oder Monate per Arbeitnehmerüberlassung (ANÜ) immer wieder an unterschiedlichen Kliniken arbeitet. Dafür fährt er einmal pro Woche an den Einsatzort und jedes Wochenende wieder nach Hause, nach Singen.
„Reisebereit muss man schon sein“, sagt Gröning. Er lebt in einer festen Partnerschaft, seine Partnerin lebt mit ihm und ihren Kindern aus einer früheren Beziehung in Singen. Ein Sohn Grönings aus einer früheren Beziehung lebt in Norddeutschland, erzählt der 40-Jährige. Lästig werde ihm das Reisen trotzdem nicht: „Man ist viel flexibler, kommt mehr rum und lernt mehrere Sichtweisen kennen.“ Außerdem ist er überzeugt, dass ohne Leiharbeiter in der Pflege vieles nicht mehr stattfinden würde.
Blickt man auf die blanken Zahlen am Krankenhaus Singen, relativiert sich die Bedeutung der ANÜ ein wenig. Acht Pflegefachkräfte beschäftige das Singener Krankenhaus derzeit per ANÜ, was siebeneinhalb Vollzeitstellen entspreche, schreibt Anja Lambert, Pressesprecherin des Gesundheitsverbunds Landkreis Konstanz (GLKN). Zum Vergleich: Insgesamt arbeiten 661 Pflegekräfte am Singener Krankenhaus, die zusammen auf etwa 400 Vollzeitstellen kommen. Der Anteil an Vollzeitstellen in der Pflege, die mit Leiharbeitern besetzt sind, beträgt also etwa 1,8 Prozent.
Lamberts Zahlen deuten darauf hin, dass Zeitarbeit im Singener Krankenhaus relativ sparsam eingesetzt wird. Denn im Gegensatz zu anderen Branchen sind Zeitarbeiter im Gesundheitswesen in der Regel teurer als die fest angestellten Kräfte.
Wie groß der Unterschied beim Gehalt ist, dazu will sich Lars Gröning nicht äußern. Anja Lambert beantwortet die Frage aus Sicht des aufnehmenden Krankenhauses. Für Kräfte aus der ANÜ wird demnach etwa das Zweieinhalbfache einer angestellten Fachkraft fällig. Allerdings zahle das Krankenhaus auch nur die tatsächlich geleisteten Stunden, so Lambert weiter. Mit anderen Worten: Urlaubsansprüche oder Krankheitsausfälle muss das Krankenhaus nicht finanzieren.
Mehr Verdienst, aber man muss auch manches aufgeben
Aus dieser Angabe kann man nicht ableiten, wie groß der Gehaltsunterschied tatsächlich ist. Gröning erzählt, dass er bei seinem Arbeitgeber, der Agentur Doctari, nur auf Projektbasis angestellt sei – also nur für die Zeiten, in denen er in einer Klinik eingesetzt ist. Dennoch gilt: „ANÜ-Kräfte haben im Vergleich einen höheren Stundenlohn“, wie Wolfgang Müller schreibt, der seit 1. Februar Betriebsratsvorsitzender am Krankenhaus Singen ist.
Stefanie Dimpker aus der Abteilung Unternehmenskommunikation von Doctari wird etwas konkreter. Aufgrund höherer Abschlüsse im Öffentlichen Dienst betrage der Vorteil gegenüber dem Tarifvertrag in der Regel etwa 20 Prozent. Und Lars Behrens, stellvertretender Leiter der Abteilung Vermittlung bei Doctari, gibt zu bedenken: „Die Kräfte geben bestimmte Dinge auch auf, machen zum Beispiel auch Dienste zu unbeliebten Zeiten.“
OP-Pfleger Lars Gröning macht noch eine andere Rechnung. Einerseits werde das Personal aus der ANÜ zwar benötigt, um Personallücken zu schließen. Doch andererseits sei es für ein Krankenhaus auch nicht ganz billig, einen Operationssaal mangels Personal zu schließen. Denn dann fallen Operationen aus, die ein Krankenhaus abrechnen könnte. Ähnlich klingt das bei Kliniksprecherin Anja Lambert. Es gehe bei ANÜ darum, kurzzeitige Lücken auszugleichen. Teilweise könnten Stationen ohne ANÜ-Kräfte aber auch weniger Betten betreiben.
Hintergrund ist der Fachkräftemangel in der Pflege
Dass es durch ANÜ unterschiedliche Vergütung bei vergleichbarer Tätigkeit gibt, bedauere er sehr, erklärt Betriebsratschef Wolfgang Müller. Doch er schreibt auch: „Von selbst wird Leiharbeit in der Pflege bei unveränderten Rahmenbedingungen nicht verschwinden.“ Der Grund: Auf dem Markt gebe es schlicht zu wenige Krankenpfleger, wie Gröning sagt. Und Vermittler Behrens von Doctari ergänzt: „In einer idealen Welt hätte jede Klinik genügend eigenes Personal. Aber in einer idealen Welt leben wir nicht.“
ANÜ-Kräften sei die Abwerbung von fest angestellten Mitarbeitern untersagt, sagt er auch. Betriebsrat Müller klingt trotzdem ein wenig unzufrieden, wenn er schreibt: „Firmen, die Leiharbeit anbieten, bilden nicht aus.“ Sie bräuchten aber Kräfte, die anderswo ausgebildet worden seien.
Im GLKN werde viel getan, um Pflegepersonal zu gewinnen, so Müller weiter. Das betont auch seine Vorgängerin Christa Bartuschek: „Es wird viel fürs Personal getan.“ Es gebe großen Einsatz für Azubis, und auch für ausländische Arbeitskräfte werde viel getan, etwa mit einer eigenen Deutschlehrerin oder Paten. Und: „Bei der Personalarbeit hat sich seit der Gründung des Verbundes viel getan.“ Dennoch braucht es manchmal jemanden, der als Zeitarbeiter anpackt.