Am Ende waren es 21 elektrische Kerzen, die auf dem Tischchen im Foyer brannten. Eine für jeden Bewohner, der den Corona-Ausbruch im Vöhrenbacher Pflegeheim Luisenhof nicht überlebt hatte. „Damit man sie nicht vergisst“, sagt Heimleiterin Bernadette Manka. Am 10. Dezember 2020 meldete der Luisenhof die traurige Bilanz von 17 Toten. Vier weitere sollten noch dazukommen.

Ein Jahr später ist der größte Schock zwar abgeklungen. Vergessen sind die düsteren Vorweihnachtswochen des Jahres 2020 bei Bewohnern und Mitarbeitern jedoch noch lange nicht. „Wir sind immer noch in der Phase der Aufarbeitung“, sagt Bernadette Manka. Vier Monate vor der großen Krise hatte sie den Posten der Heimleitung übernommen. Egal, wie professionell Pflegekräfte im Umgang mit dem Sterben sind: „Die vielen Erkrankten und Toten gehen nicht spurlos an einem vorüber.“
Aufarbeitung des Erlebten
Das Team hat sich Hilfe geholt, unter anderem von einem Coach. In vielen Mitarbeitergesprächen sei es darum gegangen, wie mit der Situation besser umgegangen werden kann. Denn die Angst sei immer noch präsent. „Sobald man etwas aus Vöhrenbach oder Furtwangen hört, denkt man gleich: Oh Gott, hoffentlich passiert nicht wieder etwas bei uns.“
„Bis November 2020 hatten wir keinen einzigen Fall“, blickt die 39-Jährige zurück. Dann ging es Schlag auf Schlag. Bewohner infizierten sich, Mitarbeiter wurden reihenweise krank. Wenige Wochen, bevor bundesweit mit Impfungen gegen das Coronavirus begonnen wurde, mussten die Luisenhof-Mitarbeiter hilflos miterleben, wie ihnen die Bewohner davonstarben.
„Wenn vor dem Haus gleich mehrere Leichenwagen stehen: Das ist wie im Horrorfilm.“Bernadette Manka über die Nacht, in der drei Bewohner an Covid-19 starben
„In einer einzigen Nacht sind drei Bewohner gestorben“, sagt Bernadette Manka. Allen sei es bis kurz zuvor nicht außergewöhnlich schlecht gegangen. Husten, Fieber. Und plötzlich lagen sie tot in ihren Betten. Die Heimleiterin erinnert sich mit Schaudern an den Morgen danach. „Wenn vor dem Haus gleich mehrere Leichenwagen stehen: Das ist wie im Horrorfilm. Viele werden das lange nicht verkraften.“

Was Bernadette Manka richtig aufregt: Wenn es im Zusammenhang mit Corona-Todesfällen heißt: Der war ja alt. „Dann ist es in Ordnung, oder was?“, ärgert sie sich. „Wenn einer 90 war – vielleicht wäre er ja gerne 95 geworden und hätte gerne noch Zeit mit seinen Kindern oder Enkelkindern verbracht?“
Wertschätzung ist das Wichtigste
Die 39-Jährige ist selbst Mutter zweier Kinder. Vor dem Beginn der Impfkampagne war sie innerhalb kurzer Zeit selbst zwei Mal infiziert, arbeitete von zu Hause aus, jonglierte zwischen Familie und Beruf. Sie weiß, unter welch schweren Bedingungen ihr Team in der Zeit gearbeitet und für die betagten Bewohner gesorgt hat. „Alle haben an einem Strang gezogen. Ich bin so froh, dass ich die Leute habe, die hier im Haus arbeiten. Mitarbeiterwertschätzung ist das wichtigste, was es gibt.“
Tiefe Dankbarkeit
Mehr als 30 infizierte Mitarbeiter: Dass die Versorgung der 93 Bewohner nicht zusammengebrochen ist, daran hätten viele mitgeholfen: Der Heimträger Korian, der aus anderen Einrichtungen Mitarbeiter entsandte und umgehend Leiharbeiter suchte, Landrats- und Gesundheitsamt sowie viele Freiwillige aus Vöhrenbach und Umgebung, die halfen, wo sie nur konnten: Sie halfen beim Essen verteilen oder stellten dem Team auch einfach mal einen selbst gebackenen Kuchen vor die Tür. Die Gemeinde stellte dem Luisenhof einen beleuchteten Christbaum vor die Tür – im Heim hatte zu diesem Zeitpunkt niemand den Kopf dafür, einen solchen zu organisieren.
Viel Hilfe vom Bürgermeister
Namentlich nennt Bernadette Manka vor allem zwei Männer: Sowohl Bürgermeister Robert Strumberger als auch der Vöhrenbacher Arzt Johannes Grossmann hätten sich unermüdlich eingesetzt. Ob beim Kontakt mit Behörden oder bei der Suche nach Mitarbeitern: „Herr Strumberger hat jeden Tag gefragt, was wir brauchen, wie er helfen kann. Er war immer da, wenn nicht mehr weiter wusste.“ Das habe sich bis heute nicht geändert, auch wenn Strumberger in wenigen Tagen in den Ruhestand geht.

Für den scheidenden Bürgermeister war und ist der Einsatz für den Luisenhof eine Herzensangelegenheit. Als damals neuer Bürgermeister begleitete er den Neubau durch die Firma Sozialkonzept im Jahr 2001 intensiv. „Es mag altmodisch klingen, aber der Luisenhof ist ein bisschen wie ein eigenes Kind“, sagt Strumberger. Die vielen Todesfälle hätten ihn auch persönlich tief betroffen gemacht, viele der Bewohner kenne er als Bürger der Stadt. In seiner 24-jährigen Amtszeit habe ihn kein Projekt so sehr bewegt wie die Frage: Wie bringen wir den Luisenhof durch diese Krise?
Eine echte Heldin des Alltags
Für ihn sei es keine Frage gewesen, Haus und Heimleiterin zu unterstützen. „Frau Manka ist für mich der Inbegriff einer ‚Heldin des Alltags‘“, sagt er. Selbst als sie selbst mit dem Coronavirus in Quarantäne gewesen sei, habe sie das Krisenmanagement mit Herzblut und größtem Engagement gesteuert. „Ich habe dem Korian-Konzern geschrieben, dass sie sich glücklich schätzen können, eine solche Kraft als Heimleiterin zu haben.“

Wie wird im Luisenhof Weihnachten 2021? Bernadette Manka plant vorsichtig für die nächsten Wochen. Die Stadt hat wieder einen Christbaum aufgestellt. Die Betreuungskräfte haben das Haus festlich geschmückt, auf den einzelnen Stationen sind kleine Weihnachtsfeiern für die Bewohner geplant. Auf eine Feier im großen Stil im Speisesaal verzichten sie, ebenso wie auf eine Weihnachtsfeier für die Mitarbeiter. Die Heimleiterin ist zuversichtlich: „Irgendwann wird‘s auch wieder besser.“
Personal fehlt auch hier
Sie hofft, dass sie das irgendwann auch über die Personalsituation sagen kann. Das Haus ist momentan nicht voll belegt. Neue Bewohner werden nicht aufgenommen – es fehlen die Mitarbeiter, die sich um die Menschen kümmern. Bernadette Manka findet es schade, dass nur vergleichsweise wenige junge Menschen einen Pflegeberuf erlernen. „Es ist ein so schöner Beruf.“