Seit einem halben Jahrhundert steht der Kinderschutzbund Villingen-Schwenningen bedürftigen Kindern und Familien mit Rat und Tat zur Seite. Der Verein hat dabei nicht nur das soziale Leben in der Region, sondern auch ganze Generationen von Eltern und Kindern im Schwarzwald-Baar-Kreis mitgeprägt.
„Wir sind durch einen tragischen Missbrauchsfall, der 1971 am Villinger Klinikum entdeckt wurde, aktiv geworden. Zuerst haben wir nur Familienarbeit geleistet, daraus hat sich dann unsere Tätigkeit, wie wir sie heute ausüben, langsam entwickelt“ erzählt Gesine Bammert, Vorsitzende im Beirat des Kinderschutzbundes und Mitglied der ersten Stunde.
Kleines Team startet
Einen großen Bedarf an Unterstützung hätte das kleine, ehrenamtliche Team aus engagierten Bürgern in den frühen 1970er Jahren vorgefunden. „Wir haben uns als private Organisation an die Familien gewandt und gezielt Hilfe angeboten, die auch sehr gerne angenommen wurde“, erinnert sich Bammert.
Mehrere Aktionen entwickelt
Schließlich hätte man weder Polizei noch Jugendamt hinter sich gehabt und sei dadurch nicht als Gefahr oder Bedrohung wahrgenommen worden. Wenig später wurden dann, dank der guten Resonanz, Aktionen wie das Kindertelefon oder das Kinderstüble entwickelt.
„Wir haben damals mit der Volkshochschule einen Kurs initiiert in dem jugendliche einen „Babysitter-Pass“ erwerben konnten. Dieser Kurs existiert bis heute und hilft jungen Menschen, also den Eltern von Morgen, mit der Aufgabe des Elternseins klarzukommen“ verrät Bammert. Über 1000 Teilnehmer seien in 50 Jahren dabei gewesen und hätten so auch für einen ausreichenden Bestand an Babysittern in der Region gesorgt, die von Gesine Bammert auch an Familien vermittelt werden.
1987 wurde der Sitz des Vereins, das Villinger „Stelzenhaus“ von der damaligen Kinderschutzbund-Leiterin Ria Walter und ihrem Sohn geplant und gebaut, nachdem die Kinder in den Jahren zuvor auf demselben Gelände in Zirkuswagen untergebracht und betreut wurden. Seither wurde der Bau erweitert und im unteren Bereich zur Kindertagesstätte ausgebaut. „Heute ist unsere Arbeit viel mehr Prävention, damals waren wir praktisch die Feuerwehr und kamen erst zum Einsatz, nachdem etwas passiert war“, meint Gesine Bammert.
„So werden manche Kinder ohne Frühstück in die Schule geschickt, weil in der Familie schlicht kein Geld dafür vorhanden ist.“Albert Zahn, Geschäftsführer Kinderschutzbund
Kinder seien heute viel selbstbewusster als vor 40 oder 50 Jahren und hätten gelernt, auch mal Nein zu sagen und ihre Interessen selbst zu vertreten. Das bestätigt auch Gisela Walter, die 1996 den „Begleiteten Umgang“ des Kindschutzbundes ins Leben gerufen und 25 Jahre lang geleitet hat.
Die Familienhelferin hat mit ihrer Arbeit dazu beigetragen, dass Kinder auch in hoch strittigen Fällen unter ihrer Aufsicht den Kontakt zu beiden Elternteilen aufrechterhalten konnten, teilweise unter widrigsten Umständen: „Einer meiner ersten Fälle vor 25 Jahren war ein fünfjähriges Mädchen, das mit seiner Mutter aus der Schweiz nach Villingen gekommen war. Die Mutter wollte nicht, dass die Tochter zum Vater Kontakt hat, was natürlich nicht geht“.
„Ich möchte den Papa schon sehen, aber erst, wenn ich groß bin und ganz schnell wegrennen kann.“Gisela Walter, Familienhelferin, schildert eine Situation
Walter habe das Mädchen in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt jahrelang bei den Besuchen begleitet, bis zu ihrer Volljährigkeit. „Anders war dieser Fall damals nicht lösbar, schließlich hat jedes Kind ein Anrecht auf beide Elternteile“. Heute sei die Frau über 30 und würde noch immer in Kontakt mit ihrer ehemaligen Betreuerin stehen. „Ich war wie eine zweite Mutter für sie und wir treffen uns mindestens einmal im Jahr“, erzählt Gisela Walter.
Doch nicht immer ist ein begleiteter Umgang möglich, selbst wenn er gerichtlich gestattet oder angeordnet worden ist. „Ein fünfjähriges Mädchen hat mir einmal gesagt: Ich möchte den Papa schon sehen, aber erst, wenn ich groß bin und ganz schnell wegrennen kann. Hier war mir klar, dass ich einen begleiteten Umgang nicht verantworten kann“, berichtet Walter.
Man müsse in jedem Fall abwägen, ob die Begegnung für das Kind eine Bereicherung oder möglicherweise ein negatives Erlebnis oder sogar eine Gefahr darstellen könne. 12 bis 18 Familien in einem Quartal habe Walter für jeweils etwa ein halbes Jahr betreut, bis die Kinder wieder Umgang mit beiden Elternteilen haben konnten.
Mittlerweile betreut sie nur noch das Kinderschutzbund-Telefon und wirkt vereinzelt in der Familienarbeit mit. Ihre anspruchsvolle Tätigkeit habe sie nach so vielen Jahren nun in andere Hände legen wollen, weshalb ein Netzwerk des Jugendamtes gegründet wurde, durch das der begleitete Umgang weiterlaufen solle.
Man sei hier allerdings noch in der Findungsphase. „Die Familienstrukturen sind nach wie vor sehr schwierig. Ehescheidungen kommen heute viel öfter vor als früher und das stellt die Kinder immer wieder vor große Probleme“ stellt Albert Zahn, seit 1998 Geschäftsführer des Kinderschutzbundes fest. Laut Statistik sei das Phänomen, dass Kinder Betreuung brauchten und das Jugendamt eingreifen müsse, bei alleinerziehenden viel höher als beim klassischen Familienmodell.
Kinderarmut nimmt massiv zu
Auch das Thema Kinderarmut habe laut Zahn in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. So würden manche Kinder ohne Frühstück in die Schule geschickt, weil in der Familie schlicht kein Geld dafür vorhanden sei. „In einem so reichen Land wie Deutschland ist das ein riesiger Skandal und ein massives Problem, vor dem wir stehen“, erläutert Zahn. Manchen Kindern bliebe nichts anderes übrig, als Pfandflaschen zu sammeln, um sich das Pausenbrot leisten zu können.
Die Corona-Pandemie habe die Situation der Kinder und Jugendlichen zudem nicht leichter gemacht. So müsse man mit mindestens fünf Jahren psychologischer Nacharbeit der Pandemie und teilweise mit Entwicklungsverzögerungen bei Kindern rechnen, meint Albert Zahn, der zu diesem Zweck einen Arbeitskreis „Pandemiebewältigung für junge Menschen“ ins Leben gerufen hat.
Jugendjahre geopfert
„Die Kinder mussten wahnsinnig viel hinnehmen während der Pandemie, um die vulnerablen Gruppen zu schützen. Sie haben uns sozusagen ihre wichtigsten Jugendjahre geopfert“ resümiert Zahn. Jetzt müsse man den jungen Menschen auch langsam etwas zurückgeben. Für die Zukunft wünsche man sich deshalb vor allem einen größeren Zulauf an ehrenamtlichen Mitgliedern und Helfern.