Wenn Sonja Walter alle vier Wochen in die Dresdner Niederlassung der Firma Walter Straßenbau fährt, wirft sie immer wieder einen Blick auf die Baustellen entlang der 600 Kilometer langen Strecke. „Klar guckt man“, sagt sie und lacht. „Im klassischen Straßenbau – da bin ich schon sehr zu Hause, da schlägt mein Herz.“
Der Großvater gründete im Jahr 1941
Ihr Herz schlägt dafür so sehr, dass sie sich schon mit 27 Jahren dazu entschieden hat, in den elterlichen Betrieb einzusteigen und ihn eines Tages zu übernehmen. Das war 2010. Damals kam sie nach mehreren Jahren als Bauingenieurin in einem Planungsbüro zurück nach Hause, zurück nach Trossingen, wo ihr Großvater, der Pflastermeister Engelhard Walter, 1941 einen Straßenbaubetrieb gegründet hatte.

Damals sei sie auf der mittleren Führungsebene eingestiegen, sagt Sonja Walter. Nie habe sie als Tochter vom Chef zurückkehren wollen, sondern sich das Vertrauen und den Respekt der Mitarbeiter erarbeiten wollen. Sie ist überzeugt: „Man ist nur eine gute Führungskraft, wenn man auch mal angestellt war.“ Heute steht auf Sonja Walters Visitenkarte „Technische Leitung“ und sie hat vollumfängliche Prokura.
Nachfolge gelingt nicht immer
Längst nicht immer glückt in Unternehmen die Nachfolge. Laut dem „Nachfolge-Monitoring Mittelstand“ 2024 der Förderbank KfW hätten seit Start des Monitorings noch nie so viele mittelständische Unternehmen in Deutschland die Aufgabe ihres Betriebs in Erwägung gezogen. Demnach denken 231.000 Unternehmen über eine Geschäftsaufgabe bis Ende des Jahres 2025 nach, 67.500 mehr als im Vorjahr.

Bei der Firma Walter Straßenbau ist man von solchen Szenarien weit entfernt. 170 Menschen beschäftigt das Unternehmen. 130 am Standort in Trossingen und 40 in der Niederlassung bei Dresden, die Seniorchef Willy Walter nach der Wende aufbaute. Und die Nachfolge ist gesichert.
Eine Frau in leitender Position in einem Straßenbauunternehmen: Das ist auch im Jahr 2025 noch alles andere als gewöhnlich. Nach Angaben des Hauptverbandes des Deutschen Bauindustrie waren im Jahr 2023 nur 28 Prozent aller Bauingenieure in Bauunternehmen weiblich; wohingegen der Anteil in der öffentlichen Verwaltung bei 46 Prozent lag.
Frauen am Bau sind immer noch selten
„Als Frau in der Bauleitung muss man mitunter schon zweimal mehr zeigen, was man kann“, sagt Sonja Walter. In keinem anderen Wirtschaftszweig sind so wenig Frauen beschäftigt wie am Bau – zehn Prozent sind es im Bauhauptgewerbe, 13 Prozent im Ausbaugewerbe.

Schwere Baumaschinen, komplexe Planungen, Schotter und Asphalt: Sonja Walter kann sich keinen schöneren Beruf vorstellen. „Man kann gestalten und sieht, was man getan hat. Ich backe auch total gerne – es ist einfach faszinierend, mit den Händen etwas zu schaffen.“ Das sei im Bau im Grunde nicht anders. An einem gelungenen Projekt mitgewirkt zu haben, schaffe Zufriedenheit.
„Ich möchte nahbar sein und nicht die Chefin, die immer die Tür zu hat.“Sonja Walter, Geschäftsleitung der Walter Straßenbau KG
Selbst wieder einmal eine Bauleitung zu übernehmen, das wäre schön, sagt sie. Wieder einmal an der Bauingenieursfront sein, die Asphaltdisponierung und die zeitliche Abfolge der Baustellen planen. Zwischen allen administrativen Geschäftsleitungsaufgaben sei das aber kaum machbar.
170 Mitarbeiter an zwei Standorten
Sonja Walter kompensiert das mit regelmäßigen Besuchen auf die Baustellen und dem Dialog mit dem Team. „Ich möchte nahbar sein und nicht die Chefin, die immer die Tür zu hat.“
Ihre Eltern unterstützen sie bis heute. Sie sind froh, ihr Lebenswerk in den Händen ihrer Tochter zu wissen. „Man kann sehr glücklich sein, wenn eine Übergabe in der Familie funktioniert. Oft klappt das heute nicht mehr so einfach“, sagt Willy Walter, 73 Jahre alt.
„Es ist nie richtig, Kindern etwas vorzuschreiben, was sie womöglich gar nicht möchten.“Willy Walter, Seniorchef
Selbstverständlich sei es ohnehin nicht: „Wir haben beiden Kindern immer gesagt: Ihr müsst nicht in den Betrieb einsteigen, aber ihr dürft.“

Sonja Walter wollte. Ihren jüngeren Bruder hat es zur Informatik gezogen, wo er heute als Geschäftsführer einer Firma tätig ist. Ihren Kindern die freie Berufswahl zu lassen, sei seiner Frau und ihm immer wichtig gewesen, sagt Willy Walter. „Es ist nie richtig, ihnen etwas vorzuschreiben, was sie womöglich gar nicht möchten.“
Achtung und Respekt auf beiden Seiten
Er ist nach wie vor Komplementär – also Gesellschafter – des Unternehmens, begleitet das operative Geschäft aber schon länger nicht mehr. Was er aber macht: „Er unterstützt mich in der Akquise und Kalkulation, was im Tagesgeschäft immens hilft“, sagt seine Tochter. Margot Walter ist noch jeden Tag im Geschäft und arbeitet in der Personalverwaltung mit. „Ich habe unheimlich viel Achtung vor meinen Eltern“, sagt Sonja Walter.

Gegenseitige Achtung und Respekt: Diese Worte fallen bei Eltern und Tochter immer wieder. Das sei auf beiden Seiten wichtig, betont Sonja Walter. „Ich bin stolz auf unsere Tochter“, sagt Margot Walter. „Sie hat sich früh vorgenommen, die Nachfolge anzutreten, und sie hat es durchgezogen.“ Es sei nicht einfach, Familie und Geschäftsführung unter einen Hut zu bringen, das weiß sie aus eigener Erfahrung. „Deshalb unterstütze ich sie auch als Oma, wo ich kann.“
Den großen Firmen-Neubau in Schura, der 2016 eröffnet wurde, plante und begleitete Sonja Walter, als ihre Tochter noch ein Baby war. „Das war schon sportlich“, sagt sie rückblickend. Heute sind ihre Kinder neun und 13 Jahre alt.
Bodenständigkeit ist ihr wichtig
Die Werte, die Sonja Walter und ihr Bruder vermittelt bekamen, möchte sie auch ihren eigenen Kindern weitergeben. „Wir wurden immer sehr bodenständig erzogen. Wir wussten schon immer, dass man für sein Geld hart arbeiten muss.“
Bodenständig, das heißt für sie auch: Beim Rundgang durch die Firma wird jeder Mitarbeiter mit Namen gegrüßt, von vielen weiß sie um die persönliche Situation und auch um manchen Schicksalsschlag. „Das zeigt mir immer wieder, dass nichts im Leben selbstverständlich ist.“