Bei Französisch war für Alexandra Riedmaier dann endgültig Schluss. Englisch ging noch, sagt sie und lacht. Aber bei Französisch musste sie ihre Schwester anrufen. Die ist Spanisch-Lehrerin und hat dann mit ihrer 13-jährigen Nichte, Alexander Riedmaiers Tochter, Französisch gebüffelt.
Kreativität, zusammenhalten, helfen, wo man kann. So könnte man die Familienphilosophie der Riedmaiers aus Donaueschingen während der Pandemie wohl beschreiben. Ihr Lachen jedenfalls hat Alexandra
Es gibt aber etwas anders, das ein wenig verloren gegangen ist in der Zeit: das Lernniveau.
Nicht dramatisch. Aber: Ein bisschen im Rückstand sind ihre Kinder nach zwei Jahren Pandemie dann doch. So empfindet sie es.Und so hat sie es miterlebt. Die Lehrer, die sich sehr bemüht haben, den Online-Unterricht zu gestalten und die, bei denen es nicht ganz so geklappt hat. Wo der Akku oft leer oder die Internetverbindung schlecht war.
Bei ihrer Tochter ist beispielsweise viel Mathe-Unterricht ausgefallen. Da fehlt ihr jetzt eindeutig die Übung. Sie will nicht urteilen. Man wisse schließlich nicht, hatte der Lehrer vielleicht auch kleine Kinder daheim, hatte er auch Stress. Sie sagt: „Ich glaube schon, dass jeder sein bestes gegeben hat. Aber manche vielleicht doch noch ein bisschen mehr als andere.“
Und mit der Meinung steht Alexandra Riedmeier aus Donaueschingen nicht alleine da.
Eltern-Umfrage offenbart Lernrückstände
Das zeigt der Bawü-Check, eine Umfrageserie des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD) im Auftrag der baden-württembergischen Tageszeitungen.
In der aktuellen Ausgabe wird unter anderem beleuchtet, wie zufrieden die Eltern mit der Situation an den Schulen sind. Ein Punkt sind die Lernrückstände in Folge der Pandemie.
Demnach sind annähernd drei Viertel der der Eltern von Schulkindern der Meinung, dass ihre Kinder durch die Corona-Krise mit dem Lernstoff im Rückstand sind. 33 Prozent der Eltern diagnostizieren für ihre Kinder einen deutlichen, 40 Prozent einen begrenzten Rückstand. Ein Fünftel der Eltern hat den Eindruck, dass ihre Kinder nicht betroffen sind.
Das sind also die Zahlen. Die Menschen hinter den Zahlen, die sieht Ruth Zacher jeden Tag. Zacher ist Rektorin an der Lucien-Reich-Gemeinschaftsschule in Hüfingen. Sie sagt: „Lernrückstände sind vorhanden. Ganz unterschiedlicher Art.“ Und das nicht nur wegen des Lockdowns im vergangenen Jahr. Das war, wenn man so will, nur der Anfang.
Kinder, die beginnen ein Thema zu lernen, dann aber in Quarantäne müssen oder an Corona erkranken, zum Teil zum zweiten Mal. Lehrer, die ein Thema anfangen, dann in Quarantäne müssen oder auch an Corona erkranken. Immer fehlt irgendwo ein Stück. Ein Stück Kontinuität. „Das macht es schwierig für die Kinder, die Lernrückstände aufzuholen.“
Und so haben sie jetzt Zweit- und Drittklässler, die nicht so weit im Lesen und Schreiben sind, wie sie eigentlich müssten. Dritt- bis Achtklässler, die nach Monaten des Homeschoolings erst einmal wieder das „Miteinander“ lernen müssen und mit Konzentrationsschwierigkeiten in größeren Gruppen zu kämpfen haben.
Und sie haben Neun- und Zehntklässler, die sich noch mehr vor den Abschlussprüfungen fürchten, als in normalen Zeiten schon.
Sie haben jetzt ein Programm aufgelegt. „Rückenwind“ heißt es, bei dem sich eine Lehramtsstudentin und eine Erzieherin in Absprache mit den jeweiligen Klassenlehrern während der regulären Unterrichtszeit um die Kinder kümmern, die in manchen Bereichen ein wenig mehr Unterstützung brauchen. Englisch, Mathe und Deutsch sind die Schwerpunkte. Das Programm ist angelegt auf zwei Jahre. „Die werden wir sicher brauchen“, sagt Zacher.
Aufholen, üben, üben, aufholen...
Bei der 13-jährigen Tochter von Alexandra Riedmaier, inzwischen in der achten Klasse, merkt man es vor allem in Mathe. Da werde jetzt versucht, Stoff nachzuholen. Dass es wirklich in der Tiefe funktioniert, bezweifelt Alexandra Riedmaier. Es fehlt schlicht die Zeit zum Üben und Wiederholen.
„Ich will, dass die Kinder die Chance haben, es zu verstehen.“Alexandra Riedmaier, Mutter
Bei Theo, neun Jahre alt, jetzt in der vierten Klasse, zeigt sich erst seit diesem Schuljahr wirklich, wie weit sie hinterher sind. Trotz einem tollen Online-Unterricht in der dritten Klasse. „Ich habe das Gefühl, hier ist der Druck noch viel viel mehr.“ Und das spüren auch die Kinder.
„Die merken doch, wenn sie nicht hinterherkommen und keine Zeit ist, um nochmal zu gucken und es nochmal und nochmal zu üben.“ Das habe auch ihrem Sohn schwer zu schaffen gemacht.
Der Kleinste, Mats, hat keine Probleme. Er ist seit diesem Schuljahr in der ersten Klasse. Heimunterricht kennt er nur von den großen Geschwistern. „Da sind wir sehr sehr dankbar“, sagt Riedmaier.
Der Lernrückstand ist nicht das schlimmste
Der Lernrückstand ist das eine. Viel schwerer wiegt für Alexandra Riedmaier aber etwas anderes. „Die soziale Komponente hat gefehlt. Das war sehr prägend.“ Kein Sportverein, immer nur die gleichen zwei Freunde, kein Streiten, kein Diskutieren in größeren Gruppen.
Alexander Riedmaier sieht das an ihren eigenen Kindern, aber auch an denen, die in ihre Physiotherapie-Praxis kommen. „Die Zahl derer, die eine Therapie brauchen, hat sich drastisch erhöht. Das finde ich das Allerschlimmste.“ Genaue Zahlen hat sie nicht, aber sie arbeitet nun 20 Prozent mehr als vor Corona.
Dass ihre Kinder wirklich etwas verpasst haben, das würde sie nicht sagen. Sie sind schließlich keine Teenager. Und sie haben eine große Familie. Eher, dass sie etwas verloren haben.
Mit jedem Mal Sorge, ob wieder alles zu macht, sie wieder nicht in die Schule können. Mit jedem mal testen, bevor sie irgendetwas machen dürfen. Mit jedem Mal Maske aufziehen, bevor sie irgendwo rein dürfen. Mit jedem Mal ist ein bisschen dessen verloren gegangen, was Kindheit ausmacht. Leichtigkeit.