Christoph Hess (45) ist nach Feststellung des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen derzeit nicht verhandlungsfähig. Daher wurde der Strafprozess gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Villinger Hess AG wegen Untreue gestern bis auf Weiteres ausgesetzt. Nicht auszuschließen ist, so verdeutlichte Richterin Anja Mannhart, dass das Verfahren wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten in Gänze eingestellt werden muss.
Stundenlange nichtöffentliche Verhandlungen prägten gestern den Prozessauftakt gegen den ehemaligen Chef des Villinger Leuchtenherstellers. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Unternehmer vor, er habe in zahlreichen Fällen private Ausgaben, etwa Handwerksarbeiten an seinem Privathaus sowie Flüge mit der Familie, widerrechtlich über die Firma abgerechnet und sich damit der Untreue schuldig gemacht. Doch zur Verhandlung über diese Vorgänge kam es gestern erst gar nicht.
Hess erschien braungebrannt mit seinem Münchner Strafverteidiger Hartmut Girshausen und seinem gesetzlichen Betreuer Hartung Schreiber im Gerichtssaal in Villingen. Zuvor hatte er die im Treppenaufgang wartenden Fotografen ausmanövriert, in dem er mit dem Aufzug zum Gerichtssaal fuhr, in dem Fotografierverbot herrschte. Nach Feststellung der Personalien durch die Richterin wurde die Öffentlichkeit – neben den Medienvertretern auch ein halbes Dutzend privater Beobachter – gleich wieder ausgeschlossen. Die Verteidigung plädierte auf Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten. Die Details wurden im Gerichtssaal unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt, da sie nach Feststellung des Gerichts die schützenswerte Privatsphäre des Angeklagten berühren.
Bekannt ist aber, dass Hess seit rund zwei Jahren mit der Begründung einer psychischen Erkrankung unter gesetzlicher Betreuung, einer Art Vormundschaft, steht.
Wie Richterin Anja Mannhart am Ende des Verhandlungstages ausführte, hat ein Gutachter festgestellt, dass der Angeklagte nur "eingeschränkt verhandlungsfähig sei". Er sei nur verhandlungsfähig, wenn die Öffentlichkeit vom Prozessgeschehen komplett ausgeschlossen werde. Die Richterin stellte dazu fest, sie vertraue dem Urteil des Gutachters, der erfahren und zuverlässig sei. Da aber eine vollständige nichtöffentliche Prozessführung nach deutscher Gerichtsverfassung nicht zulässig sei, habe sie die Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten festgestellt.
Wie geht es weiter? Das Gericht werde nun ein weiteres Gutachten einholen, kündigte die Richterin an. Darin soll die Dauer der Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten festgestellt werden. Bis zum Ergebnis des Gutachtens werde das Strafverfahren ausgesetzt. "Falls das Gutachten die dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten ergibt, müsste das Verfahren sogar ganz eingestellt werden", erläuterte die Richterin.
Bei dem Prozess am Amtsgericht handelt es sich um einen Randkomplex des noch nicht eröffneten Hauptverfahrens, das beim Landgericht Mannheim anhängig ist. Die Staatsanwaltschaft wirft den ehemaligen Vorständen der Hess AG, Christoph Hess und Peter Ziegler, schwere betrügerische Wirtschaftsstraftaten im Zusammenhang mit dem Börsengang der Hess AG im Jahr 2012 vor. Sollte Hess demnächst eine dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit attestiert werden, so schlussfolgern Prozessbeobachter, müsste er sich möglicheweise auch nicht mehr im Hauptverfahren verantworten und wäre strafrechtlich aus dem Schneider.
Die Chronologie eines Wirtschafts-Krimis
Im Herbst 2012 kündigt die Hess AG den Börsengang an. Was nach einer Erfolgsgeschichte aussieht, entwickelte sich zu einem Wirtschaftskrimi und zur Insolvenz der Aktiengesellschaft.
- 21. September 2012: Die ambitionierte Leuchtenfirma Hess AG kündigt den Börsengang an. Der Mittelständler mit rund 360 Mitarbeitern will den Kapitalmarkt anzapfen, um sein Wachstum zu finanzieren, heißt es.
- 23. Oktober 2012: Die Hess AG platziert ihre Aktien zu je 15,50 Euro, weniger als zunächst gedacht. 2,645 Millionen Aktien werden zugeteilt. Der Gesellschaft fließen 35,65 Millionen Euro zu. 90,8 Prozent der Aktien gehen an institutionelle Investoren, 9,2 Prozent an Privatanleger.
- 21. Januar 2013: Der Aufsichtsrat entlässt die beiden Vorstände Christoph Hess und Peter Ziegler.
- 30. Januar 2013: Die Staatsanwaltschaft durchsucht die Firmenräume und beschlagnahmt Akten. Auch das Privathaus von Christoph Hess wird durchsucht.
- 13. Februar 2013: Die Hess AG und ihre Tochtergesellschaft Hess Lichttechnik GmbH beantragen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
- 6. März 2013: Hiobsbotschaft für 50 Mitarbeiter der Hess AG: Sie erhalten betriebsbedingte Kündigungen.
- 31. August 2013: Der Standort Löbau wird dichtgemacht. Die Tochter Hess Lichttechnik GmbH entlässt rund 80 Mitarbeiter – nur wenige werden in Villingen übernommen.
- 1. Oktober 2013: Der Leuchtenhersteller Nordeon übernimmt das angeschlagene Villinger Unternehmen. Die Stellen der verbliebenen 180 Hess-Mitarbeiter bleiben erhalten. Nordeon übernimmt alle für den Geschäftsbetrieb notwendigen Vermögenswerte der Hess AG, die in Stockholm ansässige Vertriebsgesellschaft und den US-Produktionsstandort in Gaffney. Diese gehen auf eine neue GmbH über. Die Insolvenz der Hess AG wird weiter abgewickelt.
- Januar 2015: Christoph Hess steht auf bestimmte Zeit unter Betreuung. Vormund soll sein Vater Jürgen G. Hess sein. Das Landgericht Mannheim muss nun die Schuldfähigkeit prüfen.
- Das Unternehmen: Die Firma Hess, ein Gießereibetrieb, wurde 1947 von Willi Hess gegründet und stellte zuerst Waffeleisen her. 1968 übernahm der Sohn Jürgen G. Hess die Firma mit acht Mitarbeitern. Er entwickelte das Unternehmen zum Hersteller moderner r Außen- und Straßenleuchten aus Metallguss und Straßenmöblierungen. (gha)