Groß genug war sie ja, um auch noch einen Tag später nachzuwirken: Die Zahl, die OB Jürgen Roth am Mittwoch in der Gemeinderatssitzung präsentierte und mit der erstmals der gesamte Investitionsstau der Stadt beziffert wurde.

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Schlappe 1,2 Milliarden Euro müssten für die Sanierung und Erhaltung von Straßen, Schulen, Kitas und Kanälen investiert werden. Das hat gesessen. Auch bei den Gemeinderäten war das Erstaunen nach der Präsentation mitunter groß. Das lag aber weniger an den Zahlen, sondern daran, wie sie präsentiert und berechnet wurden. Wir haben uns umgehört, einen Tag nach der Explosion.

"Die nackten Zahlen so in den Raum zu stellen, hat sie noch viel eindrucksvoller gemacht!", sagt Renate Breuning, CDU.
"Die nackten Zahlen so in den Raum zu stellen, hat sie noch viel eindrucksvoller gemacht!", sagt Renate Breuning, CDU. | Bild: Hans-Juergen Goetz
  • Renate Breuning (CDU): Ein bisschen überrascht war sie schon. "Weil noch nie jemand diese Zahlen so glasklar summiert hat." Und dann auch wieder nicht. "Weil wir alle wussten, was wir für einen Investitionstau vor uns haben." Jetzt, sagt sie, müsse man es schaffen, wie vom OB vorgeschlagen, in jeden Haushalt feste Summen für laufende Sanierungen einzuplanen, und darüber hinaus auch noch jeweils eine Summe zum Abbau der 'Bugwelle'. "Bei aller finanziellen Knappheit", sagt sie, "bleibt doch immer die Bildung, also Kitas und Schulen, in oberster Priorität".
"Die Zahlen stehen im Haushalt bei den langfristigen Investitionen schon seit längerem", sagt Andreas Flöß, Freie Wähler.
"Die Zahlen stehen im Haushalt bei den langfristigen Investitionen schon seit längerem", sagt Andreas Flöß, Freie Wähler. | Bild: Hans-Juergen Goetz
  • Andreas Flöß (Freie Wähler): Im Vorteil ist, wer den Haushalt lesen kann. Andreas Flöß hat das getan und sagt nun: "Ich bin nicht überrascht. Die Zahlen stehen im Haushalt bei den langfristigen Investitionen schon seit längerem." Der OB habe nun nur zusammengefasst, addiert und präsentiert. Jetzt müsse man Schritt für Schritt gehen. Immer nach dem Motto: grundsätzliche Arbeiten first. Dazu, sagt er, "zählt zukünftig sicher nicht die Sanierung der zweiten Eisbahn". Sondern vielmehr Bildung, also Schulen, Sportplätze und Hallen sowie Kindergärten und danach die Infrastruktur.
"Ich fand die Art der Präsentation nicht ganz so glücklich", sagt Marcel Klinge, FDP.
"Ich fand die Art der Präsentation nicht ganz so glücklich", sagt Marcel Klinge, FDP. | Bild: Hans-Juergen Goetz
  • Marcel Klinge (FDP): Fehlanzeige in Sachen Überraschung auch aufseiten der FDP. "Wer mit offenen Augen durch unsere Stadt läuft und vor allem fährt", sagt Marcel Klinge, "hat schon gesehen, dass hier einiges im Argen liegt". Ein ungutes Bauchgefühl haben sie bei der FDP schon immer gehabt, wenn sie die mittelfristige Finanzplanung angesehen haben.
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"Man wusste, da kommt ein großer Brocken auf uns zu." Aber mit eben so einem Blick relativiert sich eine solche Zahl dann auch wieder ein wenig. "Es müssen ja nicht morgen alle Straßen gemacht werden", sagt Klinge. Was ihn vor allem stört, sind darum nicht die Zahlen selbst, sondern die Art, wie sie präsentiert wurden. "Das fand ich nicht ganz glücklich."

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Keiner der Räte hatte die Zahlen vorab bekommen und auch am nächsten Tag liegt ihm bis Mittag die Präsentation des OBs noch nicht vor. Auch sei so manche Zahl irreführend. 980 Millionen Euro würde man nur dann brauchen, wenn alle Straßen voll saniert werden würden. Das Ganze habe jedoch gezeigt, so sein Fazit: "Wir setzen in der Stadt die falschen Prioritäten. Wir müssen unsere Arbeitsweise verändern, weil es offenbar so nicht recht funktioniert."

"Die funktionierende Infrastruktur ist die Messlatte, der alles andere unterzuordnen ist", sagt Edgar Schurr, SPD.
"Die funktionierende Infrastruktur ist die Messlatte, der alles andere unterzuordnen ist", sagt Edgar Schurr, SPD. | Bild: Hans-Juergen Goetz
  • Edgar Schurr (SPD): Zahlen, sagt Edgar Schurr, haben immer etwas Rationales. "In diesem Zusammenhang ist also lediglich die Dimension beeindruckend, die daraus resultiert, dass man in der Vergangenheit immer wieder sich dazu entschieden hatte, auf Investitionen in den Bestand zu verzichten." Beschlossen vom Gemeinderat. "Man kann sich auch kaputt sparen", hat Schurr noch in einer seiner zurückliegenden Haushaltsreden angemahnt.
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Der größte Brocken werden seiner Meinung nach die Schulen und Kindergärten sein (hier sind Investitionen in Höhe von 115 Millionen Euro erforderlich). Beharrlichkeit, Ausdauer, ein gehöriger Teil an Ausgabendisziplin sind jetzt gefragt. Und – angesichts vieler aus dem Ruder laufender Kosten für Projekte wie der Sanierung des Gymnasiums am Deutenberg oder der Wilhelmspflege – "müssen wir unsere Haushaltsentscheidungen überprüfen". An der Präsentation selbst hat sich Schurr nicht gestört. "Wenn ich einen Betrieb übernehmen würde, dann schaue ich mir die Bilanzen ganz genau an und mache auch einen Kassensturz. Nichts anderes wurde getan. Insoweit ist das Vorgehen des Oberbürgermeisters ok."

Dem Gemeinderat obliege es nun, die Bewertung dieser Zahlen vorzunehmen und entsprechende politische Entscheidungen zu treffen. "Wir brauchen einen Plan", sagt er. Und wenn es nach ihm geht, sieht der aus wie folgt: Zuerst Investitionen in Schule, Kindergärten, Straßen und Wohnungsbau. "Die funktionierende Infrastruktur einer Stadt", sagt er, "ist die Messlatte, der alles andere unterzuordnen ist."

"Uns hat der OB keine Zahlen 'vorgelegt', er hat ein paar Zahlen an die Wand geworfen und damit 'News' produziert. Respektvoll finde ich ...
"Uns hat der OB keine Zahlen 'vorgelegt', er hat ein paar Zahlen an die Wand geworfen und damit 'News' produziert. Respektvoll finde ich diesen Umgang nicht", sagt Hans-Joachim von Mirbach. | Bild: Hans-Juergen Goetz
  • Hans-Joachim von Mirbach (Grüne): An dieser Stelle kommt die harscheste Kritik an OB Roths Präsentation. Bereits am Abend hatte Hans-Joachim von Mirbach bemängelt, dass die Mitglieder des Gemeinderats im Vorfeld die Zahlen nicht bekommen hatten. Einen Tag später ist der Ärger immer noch da: "Uns hat der OB keine Zahlen 'vorgelegt', er hat ein paar Zahlen an die Wand geworfen und damit 'News' produziert. Respektvoll finde ich diesen Umgang nicht." Die Presse hingegen habe ein Papier bekommen und der OB selbst habe einen Videoauftritt bei Facebook ins Netz gestellt und das Ganze als eine Information bezeichnet. "Nun, wer sich informieren will, kann ganz einfach in den Haushaltsplan der Stadt schauen", sagt von Mirbach. Und dort findet man in der mittelfristigen Finanzplanung für die Jahre 2019 bis 2022 dann auch knapp 300 Millionen Euro Finanzbedarf. "Ich wette, die CDU-Fraktion wäre an die Decke gegangen, hätte Kubon so etwas gemacht."

Und dann wäre da noch die Sache mit den Straßen. 980 Millionen Euro hat der OB dafür aufgerufen. "Das hat nichts mit den sanierungsbedürftigen Straßen zu tun", sagt von Mirbach. "Das wissen wir alle." Und rechnet vor, warum: "Man nehme 470 Kilometer Straßen, multipliziere sie mit einem Faktor, der gewährleistet, dass ich diese 470 Kilometer innerhalb der nächsten 35 Jahre erneuern kann und schwupps, habe ich eine knappe Milliarde Euro an Finanzbedarf, der allerdings, das fällt aus der Betrachtung heraus, bis ins Jahr 2054 reicht." "Was", sagt er, "fang ich damit an?"

Er mahnt daher zu Ruhe und Besonnenheit. Und plädiert dafür, sich auf das Wichtigste zu konzentrieren. "Wir müssen endlich verkehrspolitisch bedingte Prioritäten setzen und die Hauptverkehrsstraßen reparieren und nicht Millionen Euro in die Luxussanierung einer Nebenstraße (Beispiel Waldstraße) stecken, wie es die Partei des Oberbürgermeisters wollte."