Die Notaufnahme im Schwarzwald-Baar-Klinikum, die zu den größten und modernsten in ganz Deutschland zählt, sieht sich immer wieder mal der Kritik durch Patienten ausgesetzt. Zu Gesamtsituation äußern sich jetzt Klinikgeschäftsführer Matthias Geiser und der leitende Arzt der Notaufnahme, Professor Bernhard Kumle, gegenüber dem SÜDKURIER. Die Patientenzahlen in der Notaufnahme sind in den letzten Jahren so stark angestiegen, wie dies niemand vorhergesehen hat. „Wir sind an der Grenze angelangt“, konstatiert Kumle. Und das nicht erst, seit das Coronavirus und die alljährliche Grippewelle für zusätzlichen Stress sorgen.
Enormer Druck: Zuletzt berichtete der SÜDKURIER von einem Patienten, der morgens um 3 Uhr aus der Notaufnahme nach Hause geschickt wurde, was die Angehörigen empörte. Auf diesen konkreten Fall gingen die beiden leitenden Angestellten des Klinikums nicht ein.
Zum einen greift hier die ärztliche Schweigepflicht, zum sieht sich das Klinikum grundsätzlich in der Fürsorgepflicht gegenüber den Patienten und will keine Fronten aufbauen. Unabhängig von diesem Fall skizzierten der Klinik-Geschäftsführer und der Chef der Notaufnahme, unter welch schwierigen Bedingungen die Mitarbeiter der Notaufnahme ihre anspruchsvolle Aufgabe bewältigen: Sie stehen unter Druck enorm steigender Patientenzahlen.
Immer mehr Patienten: Seit der Eröffnung des neuen Klinikums in 2013 ist die Zahl der Patienten in der Notaufnahme von gut 36.000 auf rund 44.500 angestiegen, ein Zuwachs von rund 23 Prozent. Die Zahl der stationären Aufnahmen aus der Notaufnahme ins Klinikum ist im gleichen Zeitraum nur um 6,6 Prozent gestiegen. Demnach, so schlussfolgern die Verantwortlichen, ist die gestiegene Inanspruchnahme der Notaufnahme überwiegend durch Patienten verursacht, die keine stationären, sondern eine ambulante Versorgung benötigen. Die ambulante Versorgung wiederum ist gesetzlich primär die Aufgabe der niedergelassenen Ärzte.
Lückenfüller Notaufnahme: Doch hier offenbaren sich aus Sicht der Klinik zunehmende Lücken. „Die ambulante Notfallversorgung der niedergelassenen Ärzte ist nicht so niederschwellig für die Patienten wie vom Gesetzgeber vorgesehen“, formuliert es Klinikdirektor Matthias Geiser.
Deshalb werde die zentrale Notaufnahme des Klinikums mit ihrem Dienst rund um die Uhr häufig von der Bevölkerung als zu jeder Zeit erreichbare Alternative zu Haus- oder Facharzt genutzt, für die sie nie vorgesehen war. Die Hintergründe diese Entwicklung sind aus Sicht der Klinik vielfältig. Eine Rolle spielt wohl die fallende Anzahl an Hausärzten, häufig lange Wartezeiten für Termine bei Fachärzten oder die Schließung des Krankenhauses in Schramberg. Außerdem, so ergänzt Bernhard Kumle, habe sich herumgesprochen, dass die hervorragend ausgestattete Notaufnahme den Patienten eine umfassende Diagnostik biete, die zumeist weit über dem Versorgungstandard der Hausärzte liege.

Hohe Fluktuation: Für die Notaufnahme am Klinikum hat diese Entwicklung gravierende Folgen. Für die Mitarbeiter, so verdeutlicht Kumle, bedeute diese Tätigkeit mit stark wechselndem Arbeitsaufkommen und zum Teil starken Stressphasen eine hohe Belastung. Zwar wurde die Anzahl der Mitarbeiter sukzessiv erhöht. Inzwischen arbeiten in der Notaufnahme 85 Ärzte, Pfleger und medizinischen Fachangestellte. Doch um den wachsenden Arbeitsdruck aufzufangen, mussten zunehmend Spät- und Nachtdienste eingeführt werden, was das Sozialleben der Mitarbeiter zusätzlich belastet. Entsprechend hoch, berichtet Kumle, sei die Fluktuation in der Abteilung. Wenn diese Mitarbeiter dann noch durch öffentliche Kritik in Einzelfällen an den Pranger gestellt würden, sei dies „schon zermürbend“, beklagt er.
Kapazitätsproblem: Kritik von Patienten entzündet sich oft an langen Wartezeiten in der Notaufnahme. Die lassen sich aus Sicht der Klinik indes nicht vermeiden. Da ist zum einen der hohe Arbeitsanfall. „Wir haben nachmittags manchmal 40 bis 60 Patienten zeitgleich zu versorgen“, berichtet Bernhard Kumle. Und dieser Andrang setze sich manchmal fort bis nachts um 1 oder 2 Uhr. „Wir haben dann ein Kapazitätsproblem.“ Hinzu kommt, dass die Patienten nach der Schwere der Erkrankung oder Verletzung behandelt werden und nicht der Reihe nach. Insofern müssen Patienten mit leichten Blessuren nicht selten stundenlang warten.
Unterfinanzierung: Dass Patienten manchmal mitten in Nacht aus der Notaufnahmen heimgeschickt werden, wie zuletzt kritisiert wurde, hat zweierlei Ursachen. Zum einen, weil die Ärzte die Betten benötigen, wenn neue Patienten eintreffen. Zum anderen auch aus Kostengründen. Die Patienten, die notfallmäßig versorgt werden, können nur dann stationär ins Krankenhaus eingewiesen werden, wenn dies ihr Gesundheitszustand erfordert. Dafür gibt es eine strenge Check-Liste. Die Kassen erstatten dem Klinikum für die ambulante Versorgung pro Patient 43 Euro. Schon damit, so Kumle, entstehe dem Klinikum im Schnitt pro Patient ein Defizit von 90 Euro. Das summiert sich im Jahr zu einem Millionen-Defizit. Den Patienten darüber hinaus ohne medizinische Indikation länger zu behalten, „bekommen wir nicht bezahlt“.
Grenzwertig: Matthias Geiser ergänzt: „Patienten haben oft eine Erwartung an sozialer Fürsorge an uns, die das Sozialgesetzbuch nicht mehr hergibt.“ Soll heißen: Die Kliniken können nicht anders handeln, weil der Gesetzgeber dies so beschlossen hat. Der Geschäftsführer räumt ein, dass dies bei der Entlassung von Patienten aus der Notaufnahme im Einzelfall auch zu harten Entscheidungen führen könne, die möglicherweise medizinisch grenzwertig seien.
Alles schaut auf die Bundespolitik
Muss die Zentrale Notaufnahme am Schwarzwald-Baar-Klinikum baulich und personell bald erweitert werden? Die Verantwortlichen schauen derzeit auf politische Initiativen der Bundesregierung.
- Auftrag gefährdet: Experten gehen davon, dass die Zahl der Patienten, die künftig die Notaufnahmen aufsuchen, noch steigen wird. Gleichzeitig zeigt sich, dass der Großteil der zusätzlichen Fälle keine schwerkranken oder kritisch-kranken Patienten sind. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) hat den klaren Auftrag, die Patientensteuerung in den ambulanten und stationären Sektor zu übernehmen. Doch dies funktioniert derzeit nicht. Deshalb will die Politik jetzt handeln.
- Reformgesetz: Aktuell arbeitet das Bundesgesundheitsministerium an einer Reform der Notfallversorgung. Ziel ist die Einwicklung eines „Integrierten Notfallzentrums“ (INZ) an den Kliniken. Es soll die Entscheidung, ob ein Patient ambulant oder stationär versorgt wird, durch eine qualifizierte Ersteinschätzung und einer ärztlichen Beratung oder Untersuchung leisten. Das Zentrum soll von der Kassenärztlichen Vereinigung geführt werden.
- Drohende Verschlechterung: Die Experten gehen davon aus, dass es im Schwarzwald-Baar-Kreis nur ein INZ geben wird, und zwar am Standort VS. Damit würde sich die Notfallversorgung im Landkreis verschlechtern. Denn die bisherige Notaufnahme am Krankenhaus Donaueschingen würde wegfallen. Die zentrale Notaufnahme am Klinikum VS kann aber die 13.000 Patienten, die jährlich die Notaufnahme Donaueschingen aufsuchen, nicht auch noch verarzten. Die Alternative wäre damit eine Erweiterung der Notaufnahme in VS. Solange die politische Entscheidung und die konkrete Ausgestaltung des Reformgesetzes noch aussteht, heißt es abwarten.