Die Verlesung der umfassenden Vorwürfe gegen die drei Angeklagten, die sich zwei Oberstaatsanwälte aufgrund des Umfangs teilten, dauerte geschlagene zwei Stunden. Die Ankläger zeichneten darin ein Bild von systematischem Betrug, den vor allem die beiden Hauptangeklagten Hess und Ziegler forciert haben sollen, um die Bilanzen für den Börsengang des Unternehmens im Oktober 2012 vorteilhafter darzustellen, als sie tatsächlich waren.

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Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Hess AG, Christoph Hess, kam im Geleitzug seiner beiden Anwälte Hartmut Girshausen (München) und Mark Stöhr (Vilingen) in die Eingangshalle und hatte eine blaue Einweg-Gesichtsmaske bis unter die Augen gezogen. Diese setzte er während des gesamten ersten Prozesstages nicht mehr ab. Sein Anwalt Girshausen betonte, dass der ehemalige Geschäftsführer vorerst keine Aussagen und Einlassungen zu den Vorwürfen machen werde. An seiner Stelle kündigte der Anwalt eine umfangreichere Stellungnahme zu den Vorwürfen an.

Gutachten erklärt Hess für verhandlungsfähig

Christoph Hess war im Vorfeld in einem psychologischen Gutachten, welches das Gericht in Auftrag gegeben hatte, für verhandlungsfähig erklärt worden. Allerdings hat der Gutachter Empfehlungen ausgesprochen, um die psychische Belastung des unter Vormundschaft seines Vaters stehenden Angeklagten auf maximal fünf Verhandlungsstunden pro Tag zu begrenzen. Hess klagte beim Prozessauftakt über Kopfschmerzen und lehnte eine verkürzte Mittagspause ab.

Lockerer zeigte sich Peter Ziegler, in dessen Person die Anklage den eigentlichen Macher und Architekten eines manipulativen Systems von Scheinrechnungen und Kreisgeschäften sieht. Er werde sich gegen die Vorwürfe zur Wehr setzten, sagte er vor dem Prozess, viele Anschuldigungen seien unfair. Ziegler, der nach wie vor in VS-Obereschach wohnt, fungiert seit geraumer Zeit als Geschäftsführer eines Unternehmens mit Sitz in Berlin, das Photovoltaikanlagen entwickelt. Damit verdient er nach eigenen Angaben 4000 Euro im Monat. Sein Anwalt kündigte im Gerichtssaal an, der ehemalige Finanzvorstand der Hess AG werde sich im Laufe des Verfahrens zu verschiedenen Vorwürfen umfassend äußern.

Ein wesentlicher Vorwurf: Bilanzmanipulation

Die Anklageschrift präsentierte eine schier erschlagende Faktenfülle aus Zeugenaussagen, Unterlagen und Emails, die von den Oberstaatsanwälten Uwe Siegrist und Christina Arnold vorgetragen wurden. Ein wesentlicher Anklagekomplex umfasst den Vorwurf der Bilanzmanipulationen in den Jahren 2011 und 2012. Durch diese Machenschaften sei die Finanz- und Ertragslage der Hess AG im Vorfeld des Börsengangs vom 7. Oktober 2012 weitaus positiver dargestellt worden, als sie tatsächlich war. Ziel sei es gewesen, durch geschönte Zahlen das Unternehmen als wirtschaftlich florierend darzustellen, um möglichst viel Geld von Anlegern in die Firmenkasse zu bekommen. Die Ausführung habe zumeist Peter Ziegler übernommen, Christoph Hess habe das Vorgehen „ausdrücklich gebilligt“ und sei zum Teil auch selbst aktiv geworden. Seniorchef Jürgen G. Hess habe von vielen Vorgängen Kenntnis gehabt und diese gebilligt, so die Staatsanwälte.

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Ab November 2011 hätten die beiden Vorstände Hess und Ziegler beschlossen, die Bilanzmanipulationen zu verschärfen, damit der Börsengang des Unternehmens erfolgreich werde. Etabliert worden sei ein System von Scheingeschäften und Kreisverkäufen unter Einbezug von Firmen, die formell unabhängig schienen, de facto aber von Hess oder Ziegler oder deren Helfershelfer beherrscht wurden. Den Rechnungen, so der Vorwurf, lagen keinerlei Leistungen oder Lieferungen zugrunde. Im Jahr 2011 habe die Firma Hess damit den Umsatz um 8,7 Millionen und den Gewinn um rund 4,8 Millionen Euro in die Höhe geschraubt. Tatsächlich habe das Unternehmen in diesem Jahr einen Verlust geschrieben. Diese Manipulationen seien auch 2012 fortgesetzt worden. Es seien weitere Scheinrechnungen geschrieben oder Lieferungen, die noch gar nicht produziert waren, vordatiert worden, um ein positives Halbjahresergebnis 2012 zu präsentieren. Im Jahre 2012 summierten sich diese Fälschungen laut Staatsanwaltschaft beim Umsatz auf mindestens 9,3 und beim Jahresergebnis auf 4,8 Millionen Euro.

So wurden die Anleger getäuscht

Diese manipulierten Bilanzen, so der weitere Vorwurf, seien dann auch 2012 im Börsenprospekt des Unternehmens veröffentlicht und damit die Anleger getäuscht worden. Ebenso wurden die Bilanzen laut Staatsanwaltschaft herangezogen, um Kredite in Millionenhöhe bei verschiedenen Banken aufzunehmen. „Kreditbetrug“ nennt dies die Staatsanwaltschaft. Bei der BW-Bank hatte Hess demnach einen Darlehens-Rahmenvertrag bis zu 1,5 Millionen Euro locker gemacht und bei der Commerzbank weitere vier Millionen Euro. Das letztere Darlehen sollte vorgeblich für ein Investment im Scheichtum Katar verwendet werden, diente aber laut Staatsanwalt dazu, ein Scheingeschäft mit Finanzmitteln abzudecken. Noch härter betroffen wurde die Ostsächsische Sparkasse. Ziegler und Hess gelang es, hier zehn Millionen Euro locker zu machen, mit einer Bürgschaft des Landes Sachsen.

Vor dem Börsengang habe es weitere Aktionen der Vorstände gegeben, den Ausgabekurs zu beeinflussen. Denn die Nachfrage nach Hess-Aktien blieb hinter den Erwartungen. Deshalb hätten Ziegler und Hess den Plan entworfen, über zwei von ihnen beherrschte Firmen vor dem ersten Handelstag Aktien ordern zu lassen, um eine höhere Nachfrage vorzutäuschen und damit weitere Käufer zu animieren. 1,1 Millionen Euro seien geflossen, um 200.000 Hess-Aktien quasi aus der eigenen Kasse zum Börsengang zu zeichnen.

Vorerst angesetzt sind 36 Prozesstage bis Ende März. Der Vorsitzende Richter Oliver Ratzel kündigte an, das Gericht werde keine Verständigung in Form einer Prozessabsprache mit den Angeklagten suchen. Das Gericht werde sich die volle Zeit nehmen, die Vorgänge aufzuklären. Ein frühzeitiges Geständnis könnte sich daher positiv auf das Strafmaß auswirken.