Über sieben Jahre nach dem aufsehenerregenden Börsenskandal um den Villinger Leuchtenhersteller Hess AG erfolgt nun das strafrechtliche Finale vor Gericht.

Das Landgericht Mannheim hat jetzt entschieden, ein Strafverfahren gegen drei Hauptbeteiligte zu eröffnen: Angeklagt werden der ehemalige geschäftsführende Vorstand Christoph Hess (49), der ehemalige Finanzvorstand Peter Ziegler sowie ein weiterer leitender Angestellter der Villinger Alugießerei, die damals zu Hess gehörte. Dem Trio wird im Zuge des Börsengangs der Hess AG im Jahre 2012 umfangreiche Bilanzmanipulationen und Verstöße gegen das Aktienrecht und andere Wirtschaftsstraftaten vorgeworfen.

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Der Prozessauftakt vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Mannheim ist bereits auf den 7. Oktober 2020 festgesetzt worden. Vergangene Woche hatte das Gericht entschieden, den Prozess zu eröffnen. Die 100 Seiten umfassende Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, die schon seit fünf Jahren vorliegt, wurde weitgehend für den Prozess zugelassen. Nur ein einziger Vorwurf einer falschen Rechnungslegung sei fallen gelassen worden, berichtet auf SÜDKURIER-Anfrage Richter Sebastian Bröckner, der Pressesprecher des Gerichts. Angesichts des umfangreichen und komplexen Verfahrens wurden zunächst 36 Verhandlungstage bis Ende März 2021 terminiert.

Verfahren gegen Seniorchef eingestellt

Nicht auf die Anklagebank muss Seniorchef Jürgen G. Hess, der damalige Aufsichtsratsvorsitzende der Hess AG und vormalige langjährige Firmenchef. Sein Strafverfahren wurde bereits im August vom Landgericht Mannheim vom Hauptverfahren abgetrennt. Es wurde vom Gericht wegen Geringfügigkeit (nach § 153 Strafprozessordnung) gegen eine Geldzahlung eingestellt, berichtet der Gerichtssprecher Bröckner.

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Ebenso wurde mit zwei weiteren mutmaßliche Helfeshelfer verfahren: Der ehemalige Entwicklungsleiter der Hess AG sowie eine Schweizer Geschäftsfrau, die als Geschäftsführerin die Leitung mehrerer dubioser Hess-Firmen in der Schweiz inne hatte, galten der Staatsanwaltschaft als weitere Schlüsselfiguren mutmaßlich dunkler Machenschaften im Börsenskandal. Auch diese Verfahren wurden im August gegen Geldauflage vom Gericht eingestellt.

Insidern der ehemaligen Hess AG galt Seniorchef Jürgen G. Hess als die treibende Kraft des Börsengangs im Hintergrund. Offenbar aber hat die Beweislage für seine Mitverantwortlichkeit nicht ausgereicht. Möglicherweise hat auch die mangelnde Verhandlungsfähigkeit des 74-Jährigen hier eine Rolle gespielt. Damit konzentrieren sich die drei Richter der Wirtschaftsstrafkammer unter dem Vorsitz von Oliver Ratzel nun auf die mutmaßlichen drei Hauptverdächtigen Christoph Hess, Peter Ziegler und den dritten Mann, der als Helfeshelfer des ehemaligen Finanzchefs Peter Ziegler gilt.

Christoph Hess verhandlungsfähig

Das Gericht hat mittlerweile die Verhandlungsfähigkeit von Christoph Hess, dem damaligen geschäftsführenden Manager der Hess AG, untersuchen lassen. Wie berichtet, hatte er sich nach seiner fristlosen Entlassung Anfang 2013 mit der Begründung psychischer Probleme alsbald unter Vormundschaft seines Vaters stellen lassen. Das Amtsgericht Villingen hatte bei einem Prozess aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens seine eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit festgestellt. Mittlerweile aber hat das Landgericht Mannheim ein erneutes umfassendes psychiatrisches Gutachten beauftragt. „Laut diesem Gutachten ist der Betroffene grundsätzlich verhandlungsfähig“, teilte der Pressesprecher des Gerichts mit. Der Gutachter habe allerdings einige Empfehlungen abgegeben, wie eine reibungslose Verhandlungsführung erfolgen sollte. Dies werde das Gericht prüfen und gegebenenfalls umsetzen. Noch unklar ist, was dies bedeuten könnte. Vor dem Villinger Amtsgericht kam es damals zu zeitweisem Ausschluss der Öffentlichkeit, als Christoph Hess seine Aussagen machte.

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Die Verfahren gegen rund zehn weitere Randfiguren wurden in den vergangenen Jahren zumeist ebenfalls gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Dass es Jahre dauerte, bis das Hauptverfahren eröffnet wurde, hängt zum einen mit der Komplexität des Wirtschaftskrimis ab. Die Staatsanwaltschaft hat drei Jahre gebraucht, bis sie die Anklageschrift erstellt hat. Dann ruhte das Verfahren, weil die zuständige Wirtschaftskammer des Landgerichts Mannheim seit Jahren chronisch mit Wirtschaftsverfahren überlastet ist und vorrangige Prozesse zuerst abgearbeitet wurden. Das Gericht stand nun unter Druck. Denn maßgebliche Vorwürfe drohen ab 2022 zu verjähren. Durch die Prozesseröffnung wurde die drohenden Verjährungen aber unterbrochen.

Der Hess-Skandal

Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten vor, über Jahre hinweg die Bilanzen systematisch gefälscht zu haben. Dazu kämen Bankrott, Untreue, schwerer Betrug, Kreditbetrug, Subventionsbetrug und Verstoß gegen das Wertpapierhandelsgesetz. Ziel sei es gewesen, die Bilanzen für einen erfolgreichen Börsengang zu frisieren. Durch einen internen Zeugen wurden die Betrugsvorwürfe im Februar 2013 öffentlich, nur drei Monate nach dem Börsengang. Hess und Ziegler wurden gefeuert. Daraufhin stürzte der Aktienkurs ab, die Firma ging in Insolvenz. Tausende Anleger verloren ihr Geld, insgesamt 36 Millionen Euro. Rund 200 der knapp 400 Mitarbeiter verloren ihren Job. Der Schuldenberg der Hess AG belief sich auf weitere 105 Millionen. Die Gläubiger bekamen nur 14 Prozent davon zurück. (est)