Fast 20 Jahre lang hat sich der mittlerweile 80-jährige Friedrich Engelke für die Verlegung von Stolpersteinen in Villingen-Schwenningen eingesetzt, sogar einen Verein, Pro Stolperstein gegründet, dessen Vorsitzender er ist. Erste Stolpersteine sind in der Stadt verlegt, jetzt sollen Anfang November die voraussichtlich letzten Gedenksteine ihren Platz finden.
Angehörige und Nachfahren der Opfer der Nazi-Herrschaft reisen dafür extra bis aus Übersee in den Schwarzwald. Doch weil die Stadt keine Unterstützung für die Unterbringung der Angehörigen gewährt, steht nun die Finanzierung auf der Kippe.
40 Gedenksteine liegen schon in VS
Aber auch schon der Weg bis zur ersten Verlegung war mit vielen Hürden gepflastert. Erst nach jahrelangen Debatten im Gemeinderat und zwei abgelehnten Anträgen, wurde im dritten Anlauf 2020 die Verlegung von Stolpersteinen genehmigt.
Seitdem wurden 40 Gedenksteine auf dem Stadtgebiet verlegt. Am 7. und 8. November sollen dann die vorerst letzten 25 Steine folgen. Künstler Gunter Demnig selbst verlegt, wie bereits bei den vergangenen zwei Aktionen, die Steine. Einen, der im November seinen Platz in der Rietstraße 15 finden soll, ist der von Jenny Bär.

Der letzte Stolperstein
Den Stolperstein für Jenny Bär hat Friedrich Engelke bereits vor zehn Jahren anfertigen lassen – lange bevor die Verlegung vom Gemeinderat abgesegnet wurde. Damals wusste der heute 80-Jährige nicht, ob der Stein jemals seinen Platz finden würde. Nun hat er Gewissheit.

Am 7. November soll er gemeinsam mit sieben Weiteren in der Rietstraße 15 in der Villinger Innenstadt verlegt werden. Es sei der Letzte, den er noch bei sich zuhause hätte. „Dann habe ich keinen mehr im Keller“, sagt Friedrich Engelke.
Friedrich Engelke schämt sich nicht mehr so
Insgesamt sollen im November in Villingen 22 und in Schwenningen drei Stolpersteine verlegt werden. Das Ziel, auf das Friedrich Engelke fast zwei Jahrzehnte lang hingearbeitet hat, ist damit fast erreicht. Verspürt man da nicht Erleichterung? „Nein, Erleichterung nicht“, sagt der 80-Jährige. „Was ich in erster Linie empfinde ist: Ich schäme mich nicht mehr so.“

Zur Stolpersteinverlegung im November werden Engelke zufolge auch zahlreiche Angehörige und Nachfahren der Opfer erwartet. Sie würden dafür extra aus Frankreich, der Schweiz, den USA, Israel und so gar Argentinien anreisen.
Gerne würde der Verein Pro Stolperstein VS die Angehörigen der Opfer bei ihrem Besuch anlässlich der Stolpersteinverlegung angemessen unterstützten. Gerade weil sich nicht jeder die Reise leisten könnte. Doch dieses Vorhaben gestaltet sich nun als äußerst kompliziert.
Stadt lehnt Unterstützung ab
Anders als bei den zwei vergangenen Stolpersteinverlegungen soll es dieses Mal keine finanzielle Unterstützung der Stadt geben. Eine entsprechende Anfrage sei Friedrich Engelke zufolge zurückgewiesen worden. „Völlig abgelehnt wird jede finanzielle Unterstützung“, berichtet der Vorsitzende von Pro Stolperstein VS. Lediglich ein offizieller Empfang der angereisten Gäste sei vorgesehen.
Auf Anfrage des SÜDKURIER teilt der Pressesprecher der Stadt, Christian Thiel, mit, dass der Verein bei der Organisation und Vorbereitung der Verlegung der Stolpersteine unterstützt würde. Auch ein Empfang der Gäste sei geplant. Weitere Planungen lägen zum aktuellen Zeitpunkt nicht vor. Die Frage, ob die Stadt den Besuch der Angehörigen auch finanziell unterstützt, blieb unbeantwortet.
Image-Schaden für die Stadt
Für die mangelnde Hilfsbereitschaft der Stadt Villingen-Schwenningen fehlt Friedrich Engelke das Verständnis. Als Stadt hätte man eine gewisse Verpflichtung der eigenen Geschichte gegenüber. Das Verhalten würde dem städtischen Ansehen schaden. „Es kratzt am Image“, meint Engelke. Zwar hätte der Verein keinen Anspruch auf finanzielle Unterstützung – andere Städte würden aber zeigen, dass es Wege gäbe.
Auf Anfrage des SÜDKURIER teilte beispielsweise die Stadt Konstanz mit, dass die dortige Stolperstein Initiative jährlich mit 13.800 Euro unterstützt würde. Auch in Tübingen hätte die Stadt Finanzmittel bereit gestellt. Die seien jedoch nicht in Anspruch genommen worden.
Trotz all der Enttäuschung ist es dem 80-jährigen Engelke wichtig, die bislang gute Zusammenarbeit mit den städtischen Ämtern positiv zu erwähnen. Noch nie hätte man dem Verein Dienstleistungen rund um die Verlegungen in Rechnung gestellt.
Auf Spenden angewiesen
Die aktuell fehlende Unterstützung der Stadt stelle den gemeinnützigen Verein jetzt aber vor große finanzielle Herausforderungen. „Wir sind aufgeschmissen“, sagt Vorsitzender Engelke. Als kleiner Verein würde man nicht über die notwendigen Mittel verfügen. Deshalb bittet der Verein nun um Spenden.
Für eine angemessene Unterstützung bei der Anreise, Unterbringung und Bewirtung der Angehörigen würden schätzungsweise Kosten von mehr als 10.000 Euro anfallen, berichtet Engelke. Derzeit sei man in der Lage, etwa die Hälfe davon zu tragen. Eigentlich sei dieses Geld aber für ein anderes Projekt vorgesehen gewesen.
Neue Gedenkstätte für NS-Opfer geplant
Der Verein hatte geplant, auf dem Schwenninger Waldfriedhof eine Gedenkstätte für die unzähligen Opfer des Nationalsozialismus zu errichten. Die Idee: Ein Lesepult mit einer Art Aktenordner, in dem die hunderten recherchierten Schicksale festgehalten werden.

Ein erster Entwurf für die Gedenkstätte liegt bereits vor. Er stammt aus der Feder des Künstlers Jochen Meyder. Aufgrund der komplizierten finanziellen Situation ist nun aber fraglich, ob die geplante Gedenkstätte realisiert werden kann.