Sein Leben sei eintönig, findet er selber: Aufstehen, Kaffee, eine Zigarette, dann am Computer, Handy oder vor dem Fernseher. Den ganzen Tag. Die Wohnung verlässt er kaum. Er hat eine Katze, aber so gut wie keine Kontakte in der wirklichen Welt. Einmal in der Woche holt ihn seine Mutter zum Einkaufen ab. Wegen eines angeborenen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsdefizits (ADHS) bekommt er eine kleine Invalidenrente, damit hält er sich finanziell über Wasser.

Der 21-jährige Thurgauer, der vor dem Bezirksgericht Weinfelden steht, wirkt so gar nicht erwachsen. Er ist schmal, zurückhaltend und höflich. Von seiner Zukunft hat er nur vage Vorstellungen. Vielleicht eine Ausbildung zum Logistiker, doch die bisherigen Lehrstellen hat er verloren, da er meistens zu oft gefehlt hat. Sogar den Beginn der Gerichtsverhandlung verschläft er, weil er nachts vor dem Fernseher eingepennt sei. Die Polizei holt ihn schließlich ab.

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Aus eigener Kraft bekommt der junge Mann sein Leben nicht in den Griff, da sind sich alle einig: Staatsanwältin, Verteidiger und Richter. Das Gericht verurteilt ihn wegen versuchter „Schreckung der Bevölkerung“, mehrfacher Schändung und mehrfacher Pornografie zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten. Statt Gefängnis soll er eine stationäre Maßnahme durchlaufen, also eine Therapie. Das müsse wohl sein, sagt er selber. Und er sagt auch, dass er froh sei, dass alles aufgeflogen sei.

Angezeigt wurde der Beschuldigte vor knapp einem Jahr. Angetrunken war er während eines Livestreams ausgerastet, weil es technisch nicht so klappte, wie er wollte. Daraufhin beschimpfte er erst seine Community als „Hurensöhne“ und „Scheiß Nazis“ und drohte dann einen Massenmord an. Seine Follower machten sich über seinen Ausbruch lustig.

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Angeklagter missbrauchte seinen Halbbruder

Doch ein paar Tage später stieß ein Nutzer zufällig auf die Amokdrohungen und informierte die Polizei. Bei der Durchsuchung der Wohnung entdeckten die Ermittler dann jedoch wesentlich schwerwiegendere Delikte. Auf insgesamt 1860 heruntergeladenen Dateien entdeckten sie Kinderpornografie.

Das Delikt, das am schwersten wiegt, ist ebenfalls auf mehreren Videos dokumentiert. Sie zeigen sexuelle Handlungen des Beschuldigten mit seinem vierjährigen Halbbruder. Zur Zeit der Videos war der Beschuldigte 15 Jahre alt, das heißt, noch minderjährig. Die sexuellen Handlungen liegen sechs Jahre zurück und wären damit verjährt. Deshalb hat die Staatsanwältin auf „Schändung“ geklagt.

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Vor Gericht ist der Beschuldigte kleinlaut, er gibt sämtliche Taten zu. Er habe niemandem mit seiner Amokdrohung Angst machen wollen. Doch: „Ich bin im falschen Moment aufbrausend.“ Was seinen kleinen Bruder betreffe, schäme er sich heute nur noch. „Sehen Sie sich als pädophil?“, fragt der Vorsitzende Richter. Der Beschuldigte sackt in sich zusammen, dann flüstert er ein „Ja“.

Mittlerweile suche er regelmäßig einen Therapeuten auf. Es helfe ihm einzusehen, dass es falsch sei, was er getan habe. Doch das reicht nicht. Der Psychiater, der ihn begutachtet hat, stellt eine Persönlichkeitsstörung und Pädophilie fest. Das Risiko eines Rückfalls sei langfristig gegeben.

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Gericht möchte Kinder vor dem Mann schützen

Die Staatsanwältin spricht von „Verwahrlosungstendenzen“. Sie beantragt ein lebenslanges Tätigkeitsverbot für Berufe mit einem regelmäßigen Umgang mit Kindern. Der Verteidiger versucht dies abzuwenden, die Persönlichkeit seines Mandanten sei noch nicht voll entwickelt. Doch das Gericht hat dafür kein Gehör. Der Vorsitzende Richter erinnert an die Menge an Dateien, auf einigen seien die Kinder gefesselt gewesen.

Im Grundsatz sind sich aber alle Parteien einig, lediglich bei der Dauer der Freiheitsstrafe, die in eine stationäre Maßnahme umgewandelt wird, gibt es Unterschiede. Der Verteidiger hält 20 Monate für ausreichend, die Staatsanwältin hatte auf 32 Monate plädiert. Das Urteil des Bezirksgerichts liegt mit 26 Monaten genau dazwischen. Dem missbrauchten Halbbruder spricht das Gericht eine Genugtuung von 12.000 Franken zu.

Ida Sandl ist Reporterin bei unserer Partnerzeitung, der „Thurgauer Zeitung“.