Bei ZF brummt das Geschäft wieder – allerdings mehr, als dem Autozulieferer aktuell lieb sein kann. Der Motor in der Produktion am Stammsitz des Milliardenkonzerns in Friedrichshafen droht zu überhitzen. In Mitarbeiterkreisen macht die Nachricht die Runde, ZF sei am Rande der Lieferunfähigkeit und ein Hauptkunde drohe mit Auftragsentzug. Bestätigt wird das vom Unternehmen indes nicht.

Chipkrise und Truck-Boom nimmt ZF in die Zange

Klar ist: In der Automobilindustrie läuft es wieder rund, und auch bei den Zulieferern füllen sich die Bücher. Insbesondere Teilemangel im Elektronikbereich hat in den vergangenen Wochen immer wieder die Bänder großer Autobauer wie Daimler oder BMW lahmgelegt. Dem Vernehmen nach, steigt daher auch der Druck auf die Zulieferindustrie. Aber wie sieht es bei ZF aus? Gibt es Lieferengpässe?

Wolf-Henning Scheider, Vorstandsvorsitzender der ZF Friedrichshafen AG, spricht vor Journalisten. Er führt das Unternehmen seit Anfang ...
Wolf-Henning Scheider, Vorstandsvorsitzender der ZF Friedrichshafen AG, spricht vor Journalisten. Er führt das Unternehmen seit Anfang 2018. Aktuell kämpft das von ihm geführte Unternehmen mit Auslastungsschwankungen in Folge der Corona-Krise. | Bild: Felix Kästle, dpa

Bei der Vorstellung der Halbjahresbilanz des Friedrichshafener Konzerns am vergangenen Donnerstag blieb Unternehmens-Chef Wolf-Hennig Scheider vage. „Im Vergleich zu den übrigen Herausforderungen, die wir in den vergangenen Monaten hatten, etwa die Halbleiterkrise, ist das nichts, was außergewöhnlich ist“, sagte er. Zur Situation in der Produktion in Friedrichshafen äußerte sich Scheider nicht genauer. Wohl aber zu einem Lkw-Getriebewerk in China, das von Friedrichshafen aus beliefert wird. „In China sind wir da immer etwas eng.“ Auch die ZF-Pressestelle gibt sich zugeknöpft. „Betriebsinterne Vorgänge und Diskussionen“ kommentiere man ebenso wenig wie Kundenbeziehungen.

Betriebsrat spricht von „außerordentlicher Situation“

Anderswo ist man auskunftsfreudiger. Der Betriebsrat bestätigt auf Anfrage, dass es aktuell ein echtes Problem gibt. „Um Stillstände bei unseren Kunden zu vermeiden, benötigt ZF eine weitere Erhöhung von Mehrarbeit, eine Ausweitung der Betriebsnutzungszeit und eine hohe Bereitschaft zu Sonderschichten über einen längeren Zeitraum“, teilt ein Betriebsrats-Sprecher mit.

Angesichts dieser „außerordentlichen Situation“ habe man sich in Verhandlungen mit dem Unternehmen auf ein Gesamtpaket geeinigt. Demnach darf ZF die monatliche Grenze für die zulässige Mehrarbeit überschreiten. Die Beschäftigten bekommen im Gegenzug für ihre Bereitschaft, Überstunden zu leisten, Antrittsprämien. Deren Höhe zeigt, wie drängend die Lage ist. Pro zusätzlicher Schicht gibt es täglich zwischen 50 und 100 Euro, vor allem am Wochenende. Dazu kommen Stundenprämien bei Schichtverlängerung unter der Woche.

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Wie prekär die Situation ist, lässt sich auch einem Infoschreiben des ZF-Betriebsrats entnehmen. Mehrarbeit sei nötig, „um weitere Stillstände bei unseren Hauptkunden zu vermeiden“, appelliert die Beschäftigtenvertretung an die Mitarbeiter. In „besonderen Engpassbereichen“ brauche der Arbeitgeber „dringend zusätzliche Sonderschichten und Planungssicherheit“.

Getriebefertigung bei ZF am Bodensee in der Vor-Corona-Zeit.
Getriebefertigung bei ZF am Bodensee in der Vor-Corona-Zeit. | Bild: Felix Kästle, dpa

Allerdings scheint die Bereitschaft zur Mehrarbeit bei vielen ZF-Mitarbeitern nicht mehr sonderlich ausgeprägt zu sein. Schuld daran, meint der Betriebsrat laut seinem Schreiben, sei die Streichung der sogenannten Treueprämie, einer Sonderzahlung, die bei ZF jahrelang üblich war und erst kürzlich im Zuge der Corona-Krise abgeschafft wurde. In Beschäftigtenbefragungen durch den Betriebsrat sei die Bereitschaft der ZFler gering gewesen, Sonderschichten zu schieben. Erst durch die Einführung der neuen Prämienregel, scheint ein Anreiz gesetzt worden zu sein, der zieht. Seitdem hätten sich mehr Mitarbeiter bereit gezeigt, länger ins Werk einzurücken.

An einem bestimmten Punkt blockt der Betriebstrat aber bislang die Wünsche der Geschäftsführung ab. So hat die Beschäftigtenvertretung die zeitweise Einführung eines sogenannten Fünf-Gruppen-Modells abgelehnt. Dabei werden die Mitarbeiter eines Bereichs in fünf Gruppen aufgeteilt, die dann in einem eigenem Zeitplan sieben Tage rund um die Uhr arbeiten.

600 Ferienjobber sollen helfen

Dieses Modell sei in Friedrichshafen „kein Thema“, so der Betriebsrat. Dafür habe ZF am Stammsitz nicht genug Fachkräfte, denn diese Modelle seien sehr personalintensiv, so der Sprecher. Stattdessen sollen es die bisherigen Anreize und Nachwuchskräfte richten. „Wir hoffen, dass wir mit Mehrarbeit sowie dem Einsatz von 600 Ferienjobbern die Auftragslage in den nächsten Wochen bewältigen können“, heißt es von der Beschäftigtenvertretung. Zudem sind 260 befristet Beschäftigte nach Unternehmensangaben an Bord geholt worden.

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Mehrarbeit und Sonderschichten seien allerdings „keine Dauerlösung“, positioniert sich der Betriebsrat auf Anfrage. ZF in Friedrichshafen brauche zusätzliches Personal, um das erhöhte Aufkommen zu bewältigen. „Außerdem brauchen wir Neuinvestitionen in Maschinen, um mehr Kapazitäten zu schaffen, aber auch Ersatzinvestitionen in bestehende Anlagen.“

Tarifliche Zulage mit freien Tagen bringt Konzern in Bedrängnis

Verschärft wird die Lage derzeit auch, weil ZF im vergangenen Jahr seinen Mitarbeitern dem Vernehmen nach nahegelegt hat, tariflich garantierte Freitage, tatsächlich abzufeiern und sich nicht in Geld auszahlen zu lassen. Diese Wahlmöglichkeit gibt es für Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie seit dem vergangenen Tarifabschluss. Unter dem Eindruck stark einbrechender Aufträge in der Corona-Krise habe das Arbeitsvolumen auch bei ZF gesenkt werden müssen, heißt es aus Unternehmenskreisen. Daher seien Freitage eine gute Option gewesen. Dieses Arbeitsvolumen fehle dem Unternehmen jetzt.