Kerstin Oettle

Guten Morgen Frau Franz, was für eine Idylle in der Sie wohnen.

Guten Morgen – ja das finden wir auch und seit 2012 fühlen wir uns hier in Markdorf pudelwohl.

Das war nicht immer so?

Oh nein, wir lebten viele Jahrzehnte in einem Teil von Frankfurt am Main. Mitte der 90er Jahre waren wir hier in der Region im Urlaub und als wir eines Tages von Ittendorf hier runtergefahren sind, sah ich das schöne Städtchen Markdorf eingebettet in der Natur. Damals sagte ich zu meinem Mann, hier möchte ich einmal leben, hier finde ich es ganz zauberhaft. Allerdings musste dieses Vorhaben noch ein paar Jahre warten bis mein Mann in Rente ging, aber nun leben wir hier und können sagen, wir fühlen, dass wir angekommen sind.

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Was hat Sie geprägt fürs Leben, das Sie auch jetzt noch in Markdorf beschäftigt?

Im Alter von 25 Jahren bin ich sehr schwer an Asthma erkrankt und konnte meinem Beruf nicht mehr nachgehen. Klinikaufenthalte wechselten sich ab und dank meiner Verbeamtung mit 23 Jahren flog ich nicht gleich ganz aus dem sozialen Netz. Allerdings hatte ich genauso viele Wege und Anträge zu bewältigen wie Nichtbeamte und hatte letztendlich nur Erfolg durch die Hilfe des VdK. Durch deren Anwälte bekam ich viele Dinge und Hilfsmittel von den Kassen genehmigt und konnte auch meinem kleinen Sohn ein Leben mit seiner kranken Mutter, wenn auch mit Einschränkungen, ermöglichen.

Wo liegt der Bezug zum Jetzt – über 35 Jahre später?

Nachdem es mir etwas besser ging, arbeitete ich ehrenamtlich beim Sozialverband VdK Frankfurt/Main, auch als Dank für deren Hilfe in meinem Fall. So bekam ich einen guten Einblick ins Behindertenrecht und all deren Belange. Ich besuchte viele Workshops, gab selber Vorträge, führte Beratungen durch und arbeitete die letzten Jahre in Frankfurt als Stadtbezirks- und Sozialbezirksvorsteherin, natürlich ehrenamtlich. Mir wurde schnell klar, dass man nur durch Aneignung von Wissen das ganze Rechtliche und Antragswirrwarr verstehen kann, und dies Voraussetzung für eine erfolgreiche Hilfestellung bei Anfragen von Mitgliedern des Sozialverbandes oder auch in eigener Sache ist. Und Menschen in ihrer Hilfsbedürftigkeit gibt es nicht nur in Hessen, sondern auch in Markdorf. Und so bin ich auch hier seit 2012 innerhalb des VdK für die Bürger von Markdorf ehrenamtlich tätig.

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Was konnten Sie hier im Städtle bis jetzt erreichen?

Ich bin sehr viel in der Beratung von Einzelfällen und Vermittlung von Ansprechpersonen tätig. Außerdem habe ich erreicht, dass in allen Markdorfer Behindertentoiletten der Euroschlüssel eingeführt und damit eine gewisse Unabhängigkeit für diese Menschen erreicht wurde. Ich bin auch viel an dem Thema Rampen im Einzelhandel dran und spreche mit den Händlern sowie der Verwaltung, dass es in den meisten Fällen besser ist, überhaupt eine Rampe mit nicht genormten Steigungen zu haben, als gar keine. Lieber lassen sich Rollstuhlfahrer bei der Rampenauffahrt behilflich sein, als sich durch netterweise herauskommende Händler bedienen lassen – denn auch bei diesen Menschen gilt: Man kauft lieber und besser mit den eigenen Augen. Des Weiteren wurde auf meine Initiative hin eine Klingelanlage für Rollstuhlfahrer vor der Treppe der Polizeistation Markdorf installiert und ermöglicht nun auch den Menschen mit Handicap, sich bei den Beamten im Gebäude zu melden.

Was beschäftigt die Markdorfer, mit denen Sie zu tun haben, noch? Und wie kommen Sie mit ihnen in Kontakt?

Ich bin von Anfang an hier Mitglied in der Historischen Narrenzunft Markdorf, seit einiger Zeit bei den Freien Wählern sowie Fördermitglied der Sozialstation Bodensee. Dort wird mir einiges zugetragen und ich gehe mit offenen Augen und Ohren durch die Stadt. Was dieser Region, im Vergleich zur Großstadt Frankfurt, hoch anzurechnen ist, sind all die Familien, die ihre Angehörigen noch selber pflegen. Allerdings benötigen auch diese Pflegenden unbedingt Zeiten der Erholung und dafür bedarf es viel mehr Kurzzeitpflegeeinrichtungen für die Pflegebedürftigen. Das ist ein Punkt, für den ich mich engagiere.

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Und es gibt sicher noch weitere Punkte...

Bevor es allerdings zur Pflegebedürftigkeit kommt, gibt es noch ein anderes Thema. Und wenn dies näher betrachtet wird, könnte man in zweifacher Weise einen Erfolg erzielen. Ich weiß von ganz vielen älteren Bürgern, dass sie gerne aus ihren großen Häusern in der Peripherie von Markdorf ausziehen würden, aber wegen drohender Isolation eben nicht in eine kleine Wohnung oder Einrichtung am Rande der Stadt oder auf dem Berg. Sie möchten mitten in die Stadt rein und am Leben teilhaben, ein Teil von Markdorf sein. Für diese schöne Vorstellung des generationsübergreifenden Miteinanders mache ich mich stark. Ein bestehendes Gebäude mitten in Markdorf, wie beispielsweise aktuell das Bischofsschloss, zu einer offenen Seniorenwohnresidenz umzugestalten und somit ein integriertes Miteinander zu ermöglichen. Denn wenn es erst zu einem bettlägerigen Pflegefall kommt, dann ist es egal, ob man auf dem Berg oder am Stadtrand gepflegt wird – Hauptsache es ist schön und würdevoll. Mit solch einer Maßnahme wäre Seniorenalltag in der Stadtmitte gewährleistet. Und zum anderen würde den jungen Bürgern oder Zugezogenen durch den Auszug aus den Häusern mehr gefragter Wohnraum zur Verfügung stehen.

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Ich spüre, Sie sind mit dem Herz dabei?

Oh ja – beispielsweise finde ich es ganz traurig, an Feiertagen wie Weihnachten zu wissen, dass es Menschen gibt, die alleine sind. Aus diesem Gedanken heraus veranstalte ich seit über fünf Jahren ein gemeinsames Essen in der Krone am ersten Weihnachtsfeiertag. Jeder muss zwar sein Essen selber zahlen, aber die Menschen sind nicht alleine und manchmal werde ich für diesen Anlass sogar bezuschusst, sodass sich jeder auch mal etwas Besonderes von der Karte bestellen konnte. Inzwischen sind es 25 Menschen die mit mir gemeinsam die Gesellschaft, gerade an solchen Feiertagen, genießen.

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Sind solche Tage gute Tage für Sie?

Für mich ist jeder Tag, an dem mein Bett kalt wird, ein guter Tag, denn das heißt, ich konnte aufstehen und es noch verlassen und Gutes für mich und andere tun.

Das klingt nach einem zeitaufwendigen Ehrenamt – dabei wollten Sie doch mit ihrem Mann einen ruhigen Lebensabend hier in Markdorf verbringen?

Mein Mann hat mich schon so engagiert kennengelernt. Leider ist es inzwischen so, dass er selber erkrankt ist, einen Pflegegrad besitzt und wir gar nicht mehr unsere Hobbys von damals ausleben können. So agiere ich auch oft in eigener Sache. Es ist für uns beide ein Geschenk, hier in Markdorf unseren Lebensabend zu verbringen. Mein Asthma ist deutlich besser, wenn auch die Erkrankung meines Mannes fortschreitet, so bleibt mir mein Lebensmotto, ich ändere, was ich ändern kann, und akzeptiere, was ich nicht ändern kann. Das setzt Energien frei.