Die Ausdünnung der hausärztlichen Notfallversorgung im Landkreis schlägt weiter hohen Wellen. Die Standorte des Hausarzt-Notdienstes an Wochenende wird von einem Tag auf den anderen um die Hälfte zusammengestrichen. Die Kassen-ärztliche Vereinigung (KV) Baden-Württemberg, als Selbstverwaltungsorgan der Ärzte organisiert sie die Notfallbereitschaft, begründet diese Einschnitte mit einem Urteil des Bundessozialgerichtes. Das Kassler Gericht hatte jüngst das landesweite System der hausärztlichen Notfallpraxen gekippt, weil die Ärzte nicht sozialversicherungspflichtig angestellt wurden.

Zweifel an der Glaubwürdigkeit der KV
Bad Säckingens Bürgermeister Alexander Guhl erhebt im Pressegespräch am Donnerstag konkrete Vorwürfe gegen die KV in Stuttgart. Guhl vermutet, dass „der KV das Pool-Urteil gerade recht gekommen ist, um den Bad Säckinger Notfallstandort zu schließen.“ Für die Kurstadt und ihre Ambitionen im Zusammenhang mit dem Gesundheitscampus ist das „ein Schlag ins Kontor“, wie Guhl sagte. Denn die Notfallpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung sollte eigentlich Bestandteil des künftigen Campus werden.
Das ist nun passé, glaubt der Laufenburger Arzt Olaf Boettcher beim Pressegespräch. Boettcher organisiert als Leiter der örtlichen Notfallpraxen deren Betrieb. Es werde zwar jetzt eine Lösung gesucht, so Boettcher, aber er glaubt nicht, dass die KV-Notfallpraxis in Bad Säckingen wieder geöffnet werde – „und zwar weil die KV das nicht will“. Boettcher, der die Strukturen der niedergelassenen Haus- und Fachärzte im Landkreis kennt, wird bei der Argumentation der KV zumindest stutzig: „Der große Teil unserer niedergelassenen Ärzte organisiert die Vertretung über das Ärzteteam Luppe“, berichtet Boettcher. Somit mag das Argument mit dem Pool-Urteil bei ihm auch nicht so richtig stechen.
Auch Bürgermeister Guhl ist sich sicher, dass aus dem Pool-Urteil „dieser krasse Schritt einer Schließung nicht abzuleiten ist.“ Im Gegenteil hält er das Argument für fadenscheinig. „Das kam denen doch grad gelegen“, wiederholt Guhl. Der SÜDKURIER hat die KV mit den Vorwürfen konfrontiert. Doch Pressereferentin Martina Tröscher nimmt dazu nicht konkret Stellung.
Hat die Begründung der KV ein „G‘schmäckle?
Wie soll der Notdienst bei den reduzierten Kapazitäten nun funktionieren? Da zuckt auch Olaf Boettcher mit den Schultern. Bisher taten jedes Wochenende in den KV-Notfallpraxen in Bad Säckingen und Waldshut jeweils zwei Ärzte Wochenenddienst – bei insgesamt 5000 Patienten im Jahr (2022), 2300 waren es in Bad Säckingen, 2700 in Waldshut. Geht man davon aus, dass die Patientenzahl im nächsten Jahr nicht sinkt, müssen künftig die zwei verbleibenden Mediziner in Waldshut damit klar kommen. Am Hochrhein fragen sich viele, wie die KV damit den Versorgungsauftrag sicherstellen will. Von der KV war dazu nur zu erfahren, dass die Versorgung von Patienten nach besten Möglichkeiten trotz der Schließung in Bad Säckingen gewährleistet werden soll. „Patientinnen und Patienten müssen aber mit mehr Wartezeiten in den Notfallpraxen rechnen“, kündigt KV-Pressereferentin Martina Tröscher an.
Boettcher sieht fürs erste große Fragezeichen. Eine Lösung könne sein, dass die niedergelassenen Ärzte am Hochrhein weiterhin und verstärkt ihre Vertretung direkt über das Ärzteteam Luppe abwickeln. Dieses System der Direktvertretung sei von dem Urteil nicht betroffen, sagt Boettcher. Und an dem System beteiligten sich laut Boettcher im Landkreis ohnehin schon rund 90 Prozent der Fachärzte und etwa 20 Prozent der Hausärzte – weshalb das Pool-Argument der KV für ihn auch ein bisschen „ein G‘schmäckle“ hat.
Rückschlag für den Campus
Für das Bad Säckinger Projekt der ambulanten Versorgung im Campus ist das ein Tiefschlag. „Für unsere Versorgungsstruktur hat das große Nachteile“, so Guhl, wirtschaftlich spiele es für den Campus hingegen keine Rolle. Denn die KV-Notfallpraxis hätte im Campus ohnehin keine Miete bezahlt. Das hätte die Stadt übernommen, um das Notfallangebot für Bad Säckingen sicherzustellen. Auch die Kosten für den Container am Spitalparkplatz, wo die Notfallpraxis bisher untergebracht war, hat die Stadt bezahlt. „Immerhin 15.000 Euro im Jahr“, so Guhl.
Das sagt der Landrat zur Schließung der Notfallpraxis
Auch Landrat Martin Kistler ist angesichts der Schließung der Notfallpraxis in Bad Säckingen äußerst ungehalten. In einer direkten Reaktion schrieb er an Doris Reinhardt, die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg in Stuttgart. Kistler machte in scharfem Tonfall ziemlich deutlich, dass auch er für die Schließung kein Verständnis hat. Wie schon Bad Säckingens Bürgermeister Guhl sieht Kistler im Urteil des Bundessozialgerichtes keinen ausreichenden Grund für die Schließung der Notfallpraxis in Bad Säckingen.

Kistler: „Denn meiner Kenntnis nach könnte die Notfallpraxis in Bad Säckingen auch allein mit niedergelassen Vertragsärztinnen und -ärzten betrieben werden.“ Deshalb gebe es keinen Grund „zur sofortigen und ansatzlosen Schließung der Notfallpraxis“, so Kistler. Gleiches müsse für die Einschränkung des Fahrdienstes Nord gelten. Kistler hält fest, dass er eine weitere Verschlechterung der ambulanten medizinischen Versorgung in seinem Landkreis und namentlich im Westen nicht akzeptiert und fordert die KV auf „schnellstmöglich Stellung zu nehmen und die Schließung zu begründen“. Denn aus seiner Sicht sei dies „ohne erkennbare Not geschehen.“
Ein Rattenschwanz: Schließung belastet auch Klinik WT und Rettungsdienst
Die Schließung der Notfallpraxis und die Einschränkung des Fahrdienstes Nord geht laut Kistler zu Lasten des Klinikums Hochrheins und des Rettungsdienstes. Kistler: „Beide Einrichtungen kompensieren bereits seit langem die haus- und fachärztliche Unterversorgung in unserem Landkreis und kommen dabei an die Belastungsgrenze“. Die KV sorge nun grundlos für eine weitere Zuspitzung der bestehenden Versorgungsengpasse am Hochrhein.
Abgeordnete fordern Ausnahmeregelung für Notdienstärzte
Der Waldshuter CDU-Bundestagsabgeordneter Felix Schreiner fordert eine schnelle Lösung. Diese sieht er beispielsweise in einer Ausnahmeregelung für Pool-Ärzte bei der Beitragspflicht zur Sozialversicherung. Schreiner verweist in diesem Zusammenhang auf einen entsprechenden Vorstoß seiner Lörracher Kollegin Diana Stöcker. Die CDU-Abgeordnete des Nachbarwahlkreises hatte im Mai eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt und eben eine Ausnahmeregelung bei der Sozialversicherungspflicht von Poolärzten vorgeschlagen. Dies sei von der Bundesregierung abgelehnt worden, so Schreiner und Stöcker.
Pool-Ärzte sollen angestellt werden
Auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Rita Schwarzelühr-Sutter hat reagiert und sich bereits an die KV in Stuttgart gewandt. Sie habe die KV darin aufgefordert, umgehend ihrem gesetzlichen Versorgungsauftrag nachzukommen. „Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg hat die Möglichkeit, die Pool-Ärzte in ein sozialversicherungspflichtiges Verhältnis zu übernehmen, und somit die Katastrophe zu verhindern.“