Am 8. März ist internationaler Frauentag. Für diesen Tag geraten Frauen mit all ihren Lebensumständen oder auch Benachteiligungen verstärkt in den Fokus. Wir stellen aus diesem Anlass heute vier Power-Frauen in völlig unterschiedlichen Lebenssituationen vor. Bei aller Unterschiedlichkeit haben die Frauen eines gemeinsam: Sie müssen sich immer wieder behaupten und ihren Alltag straff organisieren.
Stefanie Reichle: Major bei der Bundeswehr
Stefanie Reichle ist Major bei der Bundeswehr und muss sich in einem ausgesprochen männlich dominierten Berufsalltag beinahe täglich aufs Neue beweisen. Als Kompaniechefin des Jägerbataillons Donaueschingen hat die 33-Jährige freundschaftliche Kontakte zur Partnerstadt Bonndorf. Bereits während der Grundausbildung stand sie, was ihre physische und psychische Belastbarkeit anbelangte, als einzige Frau in der Kompanie unter argwöhnischer Beobachtung der männlichen Kollegen.
Arztbesuche schob sie soweit als möglich vor sich her, um bloß nicht den Eindruck zu erwecken, sie wolle sich vor irgendwelchen Ausbildungsmaßnahmen drücken. Die Sportwissenschaftlerin ist sich völlig darüber im Klaren, dass sie mit ihrer Körpergröße von 163 Zentimeter keineswegs dem idealtypischen Bild eines großen, breitschultrigen Infanteristen entspricht. Gleichwohl hat sie sich ganz bewusst für die Infanterie entschieden. Eine gewisse Skepsis spürt sie freilich, besonders von älteren Kameraden. Dieses ständige beobachtet werden ist eine besondere Herausforderung.

Ungeachtet dessen ist Stefanie Reichle begeistert von ihrem Beruf. Der birgt viele Facetten und Möglichkeiten, fördert vor allem in der Offizierslaufbahn das Verantwortungsbewusstsein sowohl für Personal als auch Material. Alle zwei bis drei Jahre werden Dienstposten gewechselt, was immer wieder neue Aufgabenfelder bedingt. Einziger Nachteil ist, dass man als Bundesbeamtin bundesweit einsetzbar ist und dies im Einzelfall mit dem Privatleben schwierig zu vereinbaren ist. Finanzielle Benachteiligung gegenüber männlichen Kollegen hat Stefanie Reichle ebenso wenig wie geschlechtsbedingte Beeinträchtigungen im Karriereverlauf.
Sie ist seit 2005 bei der Bundeswehr, wurde 2008 zum Leutnant befördert und begann mit ihrem Studium der Sportwissenschaften. 2012 kam sie zum Jägerbataillon Donaueschingen, wo sie 2015 Kompaniechefin der vierten, 2018 dann der Versorgungskompanie wurde. Im April 2019 wurde Stefanie Reichle zum Major befördert. Kommenden Monat wird sie mit einigen Soldaten ihrer Kompanie an einem sechsmonatigen Blauhelmeinsatz der Vereinten Nationen in Mali teilnehmen.
Rosalie Müller: Beruf und Familie
Vollzeit hingegen arbeitet Rosalie Müller, und zwar als Teamleiterin im Vertrieb bei Dunkermotoren. Bei Kundenbesuchen spürt sie zuweilen eine gewisse Skepsis, dass eine Frau über Elektroantriebe verhandelt. Im Kreis der Kollegen hingegen fühlt sie sich gleichermaßen wertgeschätzt wie die männlichen Kollegen. Die 35-jährige Betriebswirtin ist Mutter von drei Kindern im Alter von drei bis neun Jahren.
Um halb sechs Uhr morgens fängt ihr Tag an. Aus dem Haus kommt sie kaum vor acht. Regulär arbeitet sie 40 Stunden pro Woche, wobei die nicht immer ausreichen. Ihrem Arbeitgeber zollt sie ein hohes Maß an Flexibilität, wenn sei familiär bedingt frei nehmen möchte. Bei drei Kindern kommt das gelegentlich vor, zumal die älteste Tochter chronisch krank ist, was viele Arzt- oder Therapiebesuche, hin und wieder auch Krankenhausaufenthalte bedingt. Die Elternzeit nimmt ihr Mann.

Zusätzlich bewirtschaftet er eine Nebenerwerbslandwirtschaft, in der Rosalie Müller vor allem in der Erntezeit auch mithilft. Eher als Hobby erachtet sie den Blumen- und Gemüsegarten, die Wachteln ihrer Kinder oder zwei Schweine, die sie hin und wieder für den Eigenbedarf hält. Wenn die Kinder im Bett sind, beginnt das Abendprogramm: Waschen, Bügeln, Post und Bankgeschäfte erledigen oder Anträge für die Landwirtschaft stellen. Eine Putzhilfe schafft ein bisschen Erleichterung.
„Die Arbeit allein ist es gar nicht. Die ganze Organisation des Familienalltags nimmt viel Zeit in Anspruch“, sagt die Frau, die sich nebenbei auch ehrenamtlich als Katechetin oder bei den Eltern der „Herzkinder“ engagiert. „Eine große Erleichterung ist die Oma im Haus. Allein zu wissen, dass immer jemand da ist, macht manches entspannter“, räumt Rosalie Müller ein.
Kritisch sieht sie indes die Rolle der Frauen im 21. Jahrhundert. „Die Rolle eines Mannes als Hauptverdiener und Ernährer ist in der Regel vordefiniert, Frauen hingegen müssen sich selbst definieren. Und alle reden rein. Ob es darum geht, dass man ein einjähriges Kind in die Kita gibt, welche Freizeitaktivitäten die Kinder haben, oder was auf den Tisch kommt. Ich kann nur empfehlen, dass jede Frau ihren eigenen Weg geht und nicht so viel auf all das hört, was andere für richtig halten.“
Claudia Ketterer: Zuerst kommt der „Kranz“
Ihren Weg vorgezeichnet bekam hingegen Claudia Ketterer, Seniorwirtin im Gasthaus „Kranz“. Eigentlich wäre sie lieber Lehrerin geworden. Wäre gerne mal irgendwohin, wo einem nicht ständig – wie zu Hause – jemand sagte, was zu tun ist. Einfach rumsitzen, gab es im „Kranz“ aber nicht. „Unserer Mutter fiel immer etwas ein, das zu tun war.“ Dennoch steht die Frau mit demnächst 74 Jahren noch tagaus tagein im Gastraum und sagt von sich: „Ich kann gar nicht anders. Ich brauche einfach jeden Tag die Luft vom Kranz.“ Sie ist eine Vollblutwirtin.

Claudia Ketterer gehört zu einer Generation, in der man nicht nach Selbstverwirklichung fragte. Es wurde einfach getan, was getan werden musste. In ihrem Fall bedeutete das, schon in jungen Jahren einen eigenen Haushalt, die Erziehung ihrer vier Söhne und die Aufgaben im „Kranz“ unter einen Hut zu bringen. Oberste Priorität hatte immer, dass die Gäste zufrieden sind. „Meine Mutter sagte immer: Erst kommt der Kranz und dann lange nichts mehr“, blickt die Claudia Ketterer zurück. Daran änderte sich auch nichts, als sie 1986 das Gasthaus in eigene Regie übernahm. Erst sechs Jahre später führte sie einen Ruhetag ein. Auszeiten gab es allenfalls, wenn sie ihren Mann Hans zu Feuerwehrausflügen begleitete.
Ihre eigenen Bedürfnisse stellte sie zeitlebens zurück, auch als sie mit 43 Jahren Witwe wurde, drei Jahre später ein Sohn tödlich verunglückte und vor zehn Jahren ihr Ältester unvermittelt verstarb. Ihren ersten Urlaub verbrachte sie mit 45 Jahren bei der Hochzeit ihres Ältesten in Kanada.
Seit einigen Jahren hat sie die Verantwortung an ihren Sohn Hansjörg und dessen Frau Carola abgegeben, unterstützt diese aber nach wie vor tatkräftig. „Seither kann ich mir auch erlauben, mal zwei oder vier Wochen am Stück zu verreisen“, sagt Claudia Ketterer und verrät bei der Gelegenheit ihre Lebensphilosophie: „Das Leben ist wie ein Zahnrad. Einer braucht den anderen, alles fügt sich ineinander.“