Ja zu demokratischer Auseinandersetzung und sachlicher Kritik, Nein zu Hass und Hetze von Gegnern der Corona-Politik und aus dem rechten Lager. Geht es um Inhalte und Botschaft erlebt der Bürger wahrscheinlich selten so viel Einigkeit zwischen den verschiedenen politischen Richtungen, wie sie das parteiübergreifende „Bündnis für mehr Demokratie und gegen Rechtsextremismus“ mit Vertretern fast aller Parteien des Landkreises Waldshut jetzt aussendet. Erstes Produkt dieser gemeinsamen Initiative, die auf Betreiben der parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Rita Schwarzelühr-Sutter, zustande gekommen ist, ist ein Video mit Statements der Waldshuter Kreisvorsitzenden von CDU, SPD, Grünen, FDP, Freien Wählern und Linken sowie Landrat Martin Kistler, Bad Säckingens Bürgermeister Alexander Guhl und dem Pandemiebeauftragten des Kreises, Dr. Olaf Boettcher.
Kritik erwünscht, aber im Rahmen der gesellschaftlichen Spielregeln
Klare Botschaften aller Beteiligter: Die Bereitschaft zum Dialog ist vorhanden, eine offene Kontroverse ist erwünscht. Zugleich verbinden die Vertreter aus Politik, Verwaltung und Gesundheitswesen ihre Aktion mit dem Appell dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen. Dies sei das solidarische Gebot der Stunde – denn es gehe dabei nicht nur um den Selbstschutz sondern um den Schutz für die Mitmenschen.
Insbesondere rufen die als sogenannte „Spaziergänge“ getarnten Demonstrationen Besorgnis bei den Mitwirkenden des Bündnisses hervor. Auch am Montag gingen in verschiedenen Kommunen im Landkreis Waldshut nach Polizeiangaben mehrere hundert Menschen auf die Straßen. Nachdem die Stadt Waldshut-Tiengen per Allgemeinverfügung die Durchführung derartiger Veranstaltungen untersagt hat, war eine Verlagerung der Aktionen in andere Kommunen befürchtet worden. Dies sei aber offenbar nur teilweise eingetreten, wie Polizeisprecher Mathias Albicker auf Nachfrage erklärte. Demnach seien in Laufenburg und Wehr mit je 200 Teilnehmern die größten Menschenansammlungen festgestellt worden. 150 waren es in Bad Säckingen. In der Waldshuter Innenstadt seien immerhin gegen acht Personen Platzverweise ausgesprochen und entsprechende Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet worden, so Albicker weiter.
Bürgermeister kritisieren sogenannte Spaziergänge
Guhl kritisiert insbeondere den „Taschenspielertrick“, anstatt ordnungsgemäß angemeldeter Demonstrationen nun sogenannte Spaziergänge zu veranstalten: „Es gibt ein Grundrecht zur Demonstration, aber wie in allen Bereichen des Lebens gibt es auch hierfür Regeln.“ Im Kontext der Corona-Pandemie lauten diese eben, dass bei Versammlungen gewisse Sicherheitsvorkehrungen einzuhalten sind – zum Schutz der Teilnehmenden ebenso wie zum Schutz derer, die an derartigen Protestaktionen nicht beteiligt seien. Wer diese Regeln zu umgehen versuche, mache weder seine Motive nobler noch verleihe er seinem Ansinnen besondere Glaubwürdigkeit, so Guhl.
Dass Bad Säckingen noch nicht dem Beispiel von benachbarten Städten wie Waldshut-Tiengen oder Schopfheim gefolgt sei und den sogenannten „Spaziergängen“ per Allgemeinverfügung einen Riegel vorgeschoben habe, begründet Guhl mit der Verhältnismäßigkeit eines solchen Schrittes, die dem Anlass nicht angemessen wäre. Allerdings: „Wir beobachten die Entwicklung in enger Abstimmung mit der Polizei und reagieren gegebenenfalls.“
Auch Wehrs Bürgermeister Michael Thater will von einem Verbot der sogenannten Spaziergänge vorerst nichts wissen: „Es handelt sich um gezielte Provokationen, denen wir als Stadt mit größt möglicher Gelassenheit begegnen, so lange es keine Verstöße oder Sachbeschädigungen gibt.“ Gleichwohl sei aber auch klar: „Die Freiheit des Einzelnen endet, wo die Freiheit des Anderen beeinträchtigt wird.“ Bei allem Verständnis für die um sich greifende Pandemie-Müdigkeit, könne folglich dem Egoismus, der nicht zuletzt in Aktionen wie den sogenannten Spaziergängen offenbar werde, nicht unwidersprochen zugesehen werden.
Illegale Proteste tragen zu Verhärtung der Fronten bei
Ist die numerische Anzahl derer, die derartig ihren Unmut über die aktuelle Lage äußern, überschaubar, so sei doch die Art und Weise, wie der Begriff des Spaziergangs politisch missbraucht werde, um die mit dem Demonstrationsrecht verbundenen Regeln zu unterlaufen, nach Ansicht aller Teilnehmer dieser ersten Gegenaktion, beinahe unerträglich. Zumal: Diese würden nach Erkenntnissen des Innenministeriums zunehmend von Rechtsextremen unterwandert, so Schwarzelühr-Sutter: „Demokratie lebt von der öffentlichen Debatte. Aber es ist nicht in Ordnung, Ängste zu instrumentalisieren oder zu Spaltung oder Gewalt gegen unser System oder seine Repräsentanten aufzurufen“, wie Schwarzelühr-Sutter (SPD) betont.
Derartigen illegalen Demonstrationen, bei denen auch gezielt Schutzmaßnahmen gezielt außer Acht gelassen würden und die in einigen Kommunen in der Region bereits zu Polizeieinsätzen geführt hätten, will das Bündnis für mehr Demokratie und gegen Rechtsextremismus etwas Positives entgegenhalten. Man dürfe das Feld nicht einer „potentiell gewaltbereiten Minderheit“ überlassen, so Schwarzelühr-Sutter.
Stattdessen müsse der Dialog möglich bleiben und Überzeugungsarbeit für die gute Sache geleistet werden – und dies mit fundierten Informationen und ohne Anfeindungen. Gleichzeitig rufen die beteiligten Akteure dazu auf, sich impfen zu lassen und sich an die gegebenen Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung zu halten. Denn anders lasse sich weder die Situation in den Griff bekommen noch die Freiheit zurückerlangen.
Appell zu Impfung: „Langzeitschäden von Corona weit schlimmer als viele glauben“
Zu lange sei den Fakenews der Impfgegner und den absurden Behauptungen der Verschwörungstheoretiker seitens der Politik nicht entschieden genug widersprochen worden, sagt Olaf Boettcher und räumt dabei zugleich mit einem weit verbreiteten Mythos auf: Wer glaube, dass eine Corona-Infektion mit überschaubareren Folgen verbunden sei als eine Impfung, befinde sich laut Boettcher auf dem Holzweg: „Die Folgen von Long-Covid sind bislang noch kaum überschaubar, aber die Schädigungen und dauerhaften Beeinträchtigungen für einstmals gesunde Menschen sind erschütternd.“ Abgesehen davon sprechen mehr als 17 Millionen Corona-Tote weltweit und 272 im Kreis Waldshut – darunter ein sechsjähriges Kind – eine deutliche Sprache, betont Boettcher.
Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Felix Schreiner stellte klar: „Der Feind ist das Virus, nicht die Mitmenschen.“ Folglich hätten all jene, die bei Kundgebungen gegen Staat, Politiker und sogar medizinisches Personal hetzten, eine Grenze überschritten und dürften nicht mit Verständnis rechnen.
„Wir müssen als Gesellschaft zusammenhalten und dürfen uns nicht in Grabenkämpfe verstricken lassen“, brachte es Landrat Kistler auf den Punkt. Weder respektloser Umgang miteinander führe aus der Krise noch helfe es, Risiken kleinzureden.
Grünen-Landtagsabgeordneter Niklas Nüssle verband sein Angebot zum Dialog nachdrücklich mit dem Aufruf: „Werden Sie zum Helden, indem Sie mit Vorsicht und Umsicht agieren und sich impfen lassen.“ Ein Appell, dem sich auch Harald Ebi (FDP) und Angelo De Rosa (Linke) ohne Umschweife anschlossen.
Video ist nur „erster Aufschlag“
Das gemeinsame Video, das möglichst große Verbreitung finden soll, wird nur „der erste Aufschlag“ des Aktionsbündnisses sein, wie Rita Schwarzelühr-Sutter sagt. „Wir wollen darauf aufbauen und unser Engagement ausbauen.“ Entsprechende Abstimmungen seien bereits im Gange.