Herr Baumann, Sie arbeiten in Schweden als sogenannter Environment Artist. Was muss man sich unter dieser Bezeichnung vorstellen?
Ein Environment Artist ist wie ein Filmset-Designer, nur für Computer-Spiele. Jedes Haus, jedes Auto, jeder Stein und Grashalm muss entworfen und in der Szene platziert werden, um die gesamte Spielwelt zu erschaffen. Die Rolle des Environment Artists variiert je nach Firma. Bei meinem aktuellen Arbeitgeber habe ich die Möglichkeit, ein breites Spektrum von Aufgaben zu übernehmen. Das reicht von der Gestaltung von Gegenständen wie Kaffeemaschinen bis hin zu komplexen Strukturen wie gigantischen Reaktoren oder Wolkenkratzern. Auch das Design von Verpackungen, beispielsweise für Spülmittel, gehört zu meinen Aufgaben. Das Wichtigste dabei ist immer, dass keine Urheberrechte verletzt werden dürfen. Jedes Objekt muss neu entworfen werden.
Woher nehmen Sie die Ideen für Ihre Gestaltung?
Von überall. Egal ob Filme, Spiele, Pinterest oder die Natur, man kann überall Inspirationen finden. Vor allem bei Ausflügen, bleibe ich oft stehen um Fotos von Steinen oder interessanten Kompositionen zu machen.
Wie wird man überhaupt Environment Artist?
Ohne Portfolio ist es praktisch unmöglich, einen Job zu finden. Webseiten wie Artstation bieten die Möglichkeit, Projekte hochzuladen, um die Aufmerksamkeit von Studios zu erlangen. Mit etwas Glück kommen Firmen auf einen zu und bieten eine Stelle an, aber man kann sich auch auf traditionelle Weise direkt bei Firmen bewerben.
Theoretisch ist es möglich, ohne ein Studium einen Job zu bekommen. Meiner Erfahrung nach haben die meisten Neueinsteiger allerdings studiert. Das liegt daran, dass viele Praktikumsplätze in der Branche an Studenten vergeben werden. Üblicherweise absolvieren Studenten in ihrem letzten Semester ein Praktikum, das häufig in eine feste Anstellung übergeht.
Ihre Aufgaben klingen sehr komplex. Was sind die größten Herausforderungen?
Obwohl das technische Wissen relativ einfach zu erlernen ist, ist es umso schwieriger, eine Welt aus dem Nichts zu erschaffen. Sie muss nicht nur ästhetisch ansprechend aussehen, sondern auch lebendig wirken und den Spieler intuitiv durch die Level führen. Besonders anspruchsvoll ist es, die Vorstellungen des Directors genau umzusetzen. Jede Szene muss genehmigt werden.
Und bei den Arbeitsumständen?
Jeder Environment Artist übt diesen Beruf aus, weil er oder sie ihn aus Leidenschaft macht. Viele meiner Kollegen bleiben deshalb freiwillig Stunden über ihre reguläre Arbeitszeit im Büro. Diese Überstunden werden in der Regel nicht gemeldet und dementsprechend nicht vergütet. Hinzu kommt der sogenannte Crunch, der in dieser Branche häufig vor Veröffentlichungen auftritt. Dabei handelt es sich um extreme Überstunden, die je nach Land entweder bezahlt oder unbezahlt sein können und von den Mitarbeitern verlangen, am gesamten Wochenende weiterzuarbeiten.
Man muss aufpassen, dass man keinen Burn-out bekommt. Persönlich habe ich einen Crunch noch nicht selbst erlebt, aber ich weiß, dass es auf freiwilliger Basis mit Kompensation bei meinem Arbeitgeber passiert ist und passieren wird.
Die eigentliche Schwierigkeit beginnt aber schon dabei, seinen ersten Job in einem großen Studio zu bekommen. Von allen Studierenden in meinem Jahrgang haben es nur eine Handvoll in regulärer Studienzeit geschafft. Sie alle haben fast ununterbrochen an ihren Projekten gearbeitet.
Wenn Ihr Beruf so viel Zeit in Anspruch nimmt, inwiefern spielt Gaming dann privat eine Rolle?
In erster Linie spiele ich, um im Kontakt zu meinen Freunden aus Deutschland zu bleiben, während ich mich zum Entspannen lieber meinen eigenen Spielszenen widme. Dennoch verfolge ich alle Gaming-Nachrichten, um Inspirationen zu sammeln.
Was schätzen Sie an Ihrem Beruf besonders?
Die Abwechslung. An einem Tag überlege ich mir den Umriss und das Aussehen einer verlassenen Firma, an einem anderen Tag entwerfe ich Pflanzen. Ein anderes Mal erzähle ich in meinen Szenen kleine Geschichten mit Objekten, die nur Spieler entdecken können, die genau auf Kleinigkeiten achten. Der Job macht mir extrem viel Spaß und man vergisst sehr schnell die Zeit.
Wieso sind Sie ausgerechnet in Malmö gelandet? Das ist ja nicht gerade um die Ecke.
Das hat zum einen mit meinem aktuellen Projekt, dem James-Bond-Game, zu tun und zum anderen damit, dass die Stadt eine angenehme Größe hat. Hier kann ich gut von meinem Gehalt leben. Es gelten starke Arbeitsrechte. Die Arbeitskultur ist lässiger und es gibt hier weniger Steuern mit gleichen Vorteilen. Da ich noch keine großen Verpflichtungen habe, kann ich verschiedene Städte und Länder erkunden, bis ich den perfekten Ort gefunden habe, an dem ich für immer bleiben möchte.
Was vermissen Sie trotz solcher Vorteile an Ihrer Heimat?
Vor allem meine Familie und Freunde. Dazu vermisse ich den Standort von Singen und das Klima, genauso wie einen guten Döner.
Was für Projekte stehen nach diesem Computerspiel bei Ihnen an?
In meiner Freizeit arbeite ich an Konzepten für ein eigenes Spiel, das ich möglicherweise in Zukunft umsetzen möchte.