Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch (1911-1991, „Homo Faber“) notierte einst Fragen, die auch den klügsten Kopf in Verlegenheit bringen. Mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp-Verlags, in dem der Fragebogen erschienen ist, lassen wir regelmäßig prominente Persönlichkeiten auf einige der Fragen antworten – heute ist Gaby Hauptmann an der Reihe, Schriftstellerin aus Allensbach.
Wissen Sie in der Regel, was Sie hoffen?
Ja, klar weiß ich, was ich hoffe. Ich bin realistisch genug, um zu erkennen, was mir fehlt. Mir fehlt oft die Zeit, mich einfach mal an den See zu setzen. Oder an einen Baum im Wald. Den Ameisen bei ihrem Werk zuzusehen, dem majestätischen Milan bei seinem Flug. Ich hoffe ständig darauf, dass ich eines Tages einfach irgendwo sitze und meine Zehen in den Sand vergrabe wie in dem österreichischen Lied „Irgendwann bleib i dann dort …“.
Welche Hoffnung haben Sie aufgegeben?
Diese Hoffnung ist global. Ich könnte darüber schreiben, aber es würde nicht realistisch werden. Ich würde mir so sehr wünschen, dass sich alle gewalttätigen Menschen zum Jahresende in Luft auflösen – einfach wie Staub, weg. Was gäbe das für ein Aufatmen bei den Menschen, den Tieren, den Pflanzen.
Wen, der tot ist, möchten Sie wiedersehen?
Wenn wir uns alle wiedersehen könnten, dann würden auch all die Opfer dieser Welt ihre Mörder wiedertreffen. Vom totgeschlagenen Baby, das zu laut geweint hat, bis zu den Millionen, die von den vielen kleinen und großen Diktatoren dieser Welt zu Tode gequält wurden. Was würde das bedeuten? Das Jüngste Gericht? Würden die Peiniger daran glauben, würde es ja wohl weniger Gepeinigte geben. Der Gedanke ist schön, dass es doch irgendwann irgendwo Gerechtigkeit geben muss. Aber ich befürchte, es ist eine Hoffnung, die die Gequälten klein hält. Wenn das Jenseits verspricht, was das Diesseits nicht halten kann, dann sollte man diese Lehre genau ansehen. Und die Menschen, die dahinter stehen. Heilsversprecher haben schon immer vieles versprochen – aber nur selbst davon profitiert. Im Diesseits. Also denke ich, dass ich die Menschen, die ich gern wiedersehen möchte, in meiner Erinnerung wach halten muss. Dann sind sie bei mir.
Gesetzt den Fall, Sie haben nie einen Menschen umgebracht, wie erklären Sie es sich, dass es dazu nie gekommen ist?
Vielleicht liegt es daran, dass ich in meinen Büchern hemmungslos lieben, aber auch morden kann. Sicherlich sind Geschichten ein herrliches Ventil, um vieles loszuwerden. Aber einmal ist mir meine eigene Fantasie unheimlich geworden: In jungen Jahren hatte ich einen ehemaligen Vorgesetzten, der mit allen Mitteln versucht hat, meinen weiteren Lebensweg zu verbauen. Für mich nahm das existenzgefährdende Züge an. Also bastelte ich, frisch aus Haiti zurückgekehrt, eine Voodoo-Lehmpuppe und malträtierte sie mit Stecknadeln. Mein Weg ging weiter, aber ihn habe ich Jahre später in einem Krankenhaus wiedergetroffen: mit unzähligen Leiden. Da habe ich mich gefragt, welche Kräfte man wohl freisetzen kann, von denen man keine Ahnung hat?