Der Titel des neuen Romans von Gaby Hauptmann dürfte kaum dem aktuellen Lebensgefühl ihrer Leserschaft entsprechen. „Unsere allerbeste Zeit“: Davon kann momentan wahrlich nicht die Rede sein. Aber die Schriftstellerin aus Allensbach erzählt ja auch keine Pandemie-Geschichte.
Wer sich von dem Buch eine literarische Fortsetzung ihrer vor einigen Wochen angestoßenen Corona-Debatte erhofft, wird eine Enttäuschung erleben. Damals hatte Hauptmann einen eigenwilligen Vorschlag zum Umgang mit radikalen „Querdenkern“ gemacht: Corona-Leugner sollten irgendwo auf der Welt ihren eigenen Staat bekommen.
Buch spielt in Stuttgart
Dass ihr Buch nun in Stuttgart spielt, wo auch die Initiative „Querdenken 711“ gegründet wurde, ist höchstwahrscheinlich reiner Zufall, selbst wenn sich ihre Hauptfigur schwer tut, hier wieder Fuß zu fassen: Katja, Mitte vierzig, Single, hat die letzten zwanzig Jahre als erfolgreiche Mitarbeiterin einer Werbeagentur in Hamburg gelebt. Nun ist sie zu ihren Wurzeln zurückgekehrt, um sich um ihre zunehmend demente Mutter zu kümmern.
Schon bald kommt ihr der Umzug vor, als sei sie auf die Schattenseite des Lebens gewechselt: Beruflich funktioniert gar nichts mehr, die Mutter braucht intensive Betreuung, ihr unzuverlässiger Bruder Boris lässt Frau und Kinder im Stich und sich selbst auf ein lebensgefährliches Liebesabenteuer ein. Einzige Lichtblicke sind ihre beste Freundin Doris, die aber eigene Sorgen hat, sowie ihre aufgefrischte Jugendliebe zu Heiko, mit dem sie‘s zwischenzeitlich jedoch wieder vermasselt. Prompt fühlt sich die Karrierefrau, deren Dasein sich bislang immer nur um sie selbst gedreht hat, mehr und mehr fremdbestimmt.
Kein klassisches „Frauenbuch“
Es ist kein Zufall, dass sich Hauptmanns Heldinnen stets an einem Wendepunkt befinden, wenn man sie kennenlernt: Biografien werden erst durch Brüche interessant. Während andere Protagonistinnen des literarischen Segments „Frauenbuch“ jedoch in der Regel nach dem Mann ihres Lebens suchen, sind sie bei Hauptmann meistens froh, den Kerl endlich los zu sein.
Abgesehen von der Gabe, ihre Stimmungen in improvisiertem Klavierspiel ausleben zu können, ist Katja ansonsten allerdings ein Mensch wie du und ich. Sie hat keine Luxusprobleme, sondern muss sich mit den Herausforderungen des Alltags herumplagen: ein wunderlicher Vermieter, seltsame Hausbewohnerinnen, Mobbing am Arbeitsplatz, Parkplatzsuche. Über allem aber steht der Kummer, den ihr die zunehmende Demenz der Mutter bereitet.
Diesen Rollentausch, wenn die Eltern zu Kindern werden, werden viele Leserinnen und Leser kennen; oder zumindest befürchten. Für ein bisschen Krimispannung sorgt die Ebene mit dem Hallodri Boris: Seine neue Freundin ist 19 und hat nach Ansicht ihrer konservativen türkischen Familie Schande über die Sippe gebracht, weshalb Katja gar um sein Leben fürchtet.
Nicht unterkriegen lassen
All das klingt, als sei der Titel ironisch gemeint, aber so ist es nicht; selbst wenn die Heldin zuweilen das Gefühl hat, ihr Leben sei nach dem Umzug völlig aus den Fugen geraten, zumal sie in ihrer Agentur ohne eigenes Verschulden Opfer eines Komplotts wird. Natürlich ist die Frau zwischendurch auch mal verzagt, aber mehr noch als die Gewissheit, dass sich am Ende alles zum Guten fügen wird, ist ihre Devise „Aufrecht durchs Leben“ ein echter Mutmacher: Katja lässt sich nicht unterkriegen, weder im Job noch durch die Sorge um ihre Mutter. Dass Hauptmann für alle Probleme eine perfekte Lösung findet, ist zwar fast zu schön, um wahr zu sein, aber im Rahmen der Geschichte völlig plausibel.
Wie alle Romane der Allensbacherin ist auch „Unsere allerbeste Zeit“ mit den bewährten Zutaten Humor, Sex und gutes Essen gewürzt. Genauso interessant sind die Einblicke ins Innenleben der PR-Agentur, die eine Werbekampagne für ein junges Winzertrio gestalten soll.
Das Geschick der Autorin
Viel wichtiger ist jedoch das Geschick der Autorin, eine unmittelbare Beziehung zwischen Leserschaft und Hauptfigur herzustellen: Katja erzählt ihre Geschichte selbst und im Präsens; auf diese Weise ist man automatisch nicht bloß Beobachter, sondern unmittelbar beteiligt. Dafür sorgt auch die Alltagsnähe: So oder so ähnlich könnte es den Leserinnen und Lesern ebenfalls ergehen. Katja kümmert sich liebevoll um ihre Mutter, aber Boris, der sich um jede Verantwortung drückt, braucht bloß mal kurz mit einem Blumenstrauß vorbeizuschauen, und schon ist er ein Held.

Wieder einmal zeigt sich zudem Hauptmanns Talent, Szenerien mit wenigen Sätzen zu beschreiben, ohne sich in Details zu verlieren; und Menschen zu skizzieren, ohne Klischees zu verwenden. Auf diese Weise bleibt nicht nur Raum für die eigene Fantasie, sondern auch für Überraschungen, weil die Figuren unerwartete Seiten offenbaren; der kauzige Vermieter zum Beispiel entpuppt sich als wahrer Engel. Einige Beziehungen entwickeln sich ohnehin regelrecht herzerwärmend.
Das Buch spricht zwar durchaus auch große Themen an (was ist Heimat?), aber über allem steht eine tiefe Mitmenschlichkeit: weil Katja, womöglich zu ihrer eigenen Überraschung, ein großes Herz hat. Christen würden von Nächstenliebe sprechen; ein Charakterzug, der nach Ansicht vieler Menschen heutzutage nur noch viel zu selten anzutreffen ist.
Fakten zu Gaby Hauptmann
Mit „Suche impotenten Mann fürs Leben“ fing alles an: Gaby Hauptmann zählt bis heute zu den erfolgreichsten Autorinnen Deutschlands.
- Meistverkaufte Bücher: „Suche impotenten Mann fürs Leben“ (1995), „Nur ein toter Mann ist ein guter Mann“ (1996), „Fünf Sterne-Kerle inklusive“ (2002)
- Verfilmte Romane: „Nur ein toter Mann ist ein guter Mann“ (1998), „Die Meute der Erben“ (2000), „Ein Liebhaber zuviel ist noch zu wenig“ (2002), „Suche impotenten Mann fürs Leben“ (2002), „Fünf-Sterne-Kerle inklusive“ (2005), „Hengstparade“ (2005)
- Ebenfalls lesenswert: „Suche impotenten Mann fürs Leben“ (1995): Der bissige Gesellschaftsroman ist bis heute eins ihrer meist verkauften Bücher und gehört zu den Romanen, die Hauptmann-Fans gelesen haben müssen. Ihre vermeintlichen Liebesgeschichten sind allerdings oft mehr Krimi als Romanze. „Ich liebe Dich, aber nicht heute“ (2013) ist ein erotischer Thriller, in dem die Heldin vor den Schergen eines russischen Oligarchen quer durch Europa fliehen muss. Gewohnt spritzig, aber auch ungewohnt düster ist der Roman „Die Italienerin, die das ganze Dorf in ihr Bett einlud“ (2016); hier spielt der Tod eine tragende Rolle. „Zeig mir, was Liebe ist“ (2015) ist ein süffiger Cocktail aus den Zutaten Romanze, Drama und Komödie, aber mit viel Krimi gewürzt. (tpg)