Bürgermeister Robert Scherer erreicht im kommenden April die Mitte seiner Amtsperiode. Als größten Meilenstein dieser ersten Hälfte nennt Scherer den Bürgerbeteiligungsprozess, den er nach seiner Wahl 2017 selbst anstieß.
„Ich bin stolz darauf, dass so viele Leute mitgemacht haben und auf die Ergebnisse, die für uns eine Leitplanke sind“ für den Stadtentwicklungsplan Meersburg 2030, sagt er. Leider werde man 2021 im Bürgerbeteiligungsprozess „eine kleine Pause einlegen müssen, da die Finanzen nicht so sind, dass wir in die Vollen gehen können“.
Scherer unterstreicht: „Meersburg 2030 ist mein roter Faden.“ Die Herausforderung in seinen ersten vier Jahren sei gewesen, einen Fahrplan aufzustellen: „Wann muss ich was anstoßen, damit nicht alles gleichzeitig ansteht?“ Das sei „bis Corona, das einiges durcheinander gewirbelt hat“ ganz gut gelungen.
Scherer: „Ich bin für 16 Jahre angetreten“
Viele Prozesse brauchten natürlich mehr als vier Jahre Zeit, zum Beispiel die Baulandentwicklung oder ein neues Tourismuskonzept. Scherer hofft, dass er den Stadtentwicklungsplan länger als die kommenden vier Jahre weiterverfolgen kann. „Ich bin für 16 Jahre angetreten“, betont er. Und: „Ich bin angetreten, um die Stadt mit der Bürgerschaft und dem Rat nach vorne zu bringen.“
Seine Hauptaufgaben sieht er darin, „die Zukunft mit der Vergangenheit in Einklang zu bringen“ – und Altlasten aufzuarbeiten. Zu Letzteren zählt er, neben Punkten wie dem anstehenden Ausbau des Lehrenwegs und der seit Langem geplanten Altstadtberuhigung, auch das Parkhaus an der Fähre, das 2020 eröffnet wurde und manche sicher ebenfalls als Meilenstein bezeichnen würden.

Doch Scherer, der sich für moderne Technologien wie E-Mobilität und Digitalisierung nicht nur als Stadtoberhaupt einsetzt, sondern sie selbst begeistert nutzt, schaut lieber nach vorne als nach hinten und wird nicht müde zu fordern: „Wir müssen Meersburg neu aufstellen für die Zukunft.“
Wie sieht es in einzelnen Bereichen in Meersburg aus?
- Haushaltsplanung 2021: „Wir werden alle Themenblöcke und Ausgaben durchleuchten“ und zwar über 2021 hinaus, so Scherer. Was wird sich die Stadt künftig noch an freiwilligen Leistungen erlauben können? „Wenn ich das wüsste“, räumt Scherer ein und betont: „Man muss alles diskutieren können. Es wird bestimmt Bereiche geben, wo man relativ schnell zur Erkenntnis kommt: Das bleibt.“
- Therme: Die Meersburg Therme war schon vor der Pandemie in finanzieller Schieflage, die die Corona-bedingten Ausfälle weiter verstärken. Steht die Weiterexistenz auf dem Spiel? Scherer antwortet mit einer Gegenfrage: „Reden wir von der Therme oder dem Freibad?“ Denn Letzteres, stets defizitär, ist Teil des Bäderbetriebs. Das Freibad jedoch sieht Scherer als Teil der Daseinsvorsorge, die Therme hingegen als freiwillige Leistung. Das sei jedenfalls seine Meinung, „aber die Bewertung liegt nicht bei mir“.
Therme nicht nur als Kostenfaktor sehen
Die Frage sei, ob man das Freibad künftig in anderer Form weiterführe. Scherer betont aber auch: „Für mich ist die Therme verdammt wichtig wegen der Wertschöpfung für die Stadt.“ Man dürfe sie nicht nur als Kostenfaktor sehen, sondern sie bringe Menschen und damit auch wieder Geld in die Stadt. Derzeit wird ein Konzept für eine Neuausrichtung der Therme erarbeitet, ein Grobkonzept soll laut Scherer bis Jahresende vorliegen. Einen Antrag ans Land, das auch Hilfsgelder für kommunale Thermen vorsieht, habe man gestellt, so Scherer auf Nachfrage.

- Hotelprojekt: Das geplante Hotelprojekt auf dem ehemaligen Hämmerle-Areal sei derzeit wegen Corona ins Stocken geraten. Der Investor sei aber nach wie vor interessiert, betont Scherer. Es gebe auch noch einige offene Fragen. Für die Tiefgarage habe man aber inzwischen eine Lösung gefunden: Stadt und Hotel würden sie gemeinsam nutzen.
- Tourismus: „Wir brauchen eine Zielgruppenanalyse“, hebt Scherer hervor. Es gebe einen gesellschaftlichen Wandel. So hätte auch die bisherige Hauptzielgruppe für Meersburg, „die Älteren“, heute andere Bedürfnisse als früher. Auch bei ihnen spiele Digitalität eine große Rolle.
Während Corona für den Tourismus nach Corona aufstellen
Die interessante Frage sei: „Welche Zielgruppe möchte ich?“ Gefolgt von: „Wie komme ich an sie heran und wie stelle ich die Stadt dann touristisch auf?“ Deshalb sei ein Tourismuskonzept so wichtig, betont Scherer. Dieses Jahr habe man eine neue Situation schon eins zu eins erlebt, die sich vielleicht auch nach Corona als Trend fortsetzen werde: „Die Leute kommen spontan, viele haben ihr Essen mitgebracht.“

Ein entscheidende Frage sei: „Wie entwickelt sich die Kaufkraft?“ Dann folge die Grundsatzentscheidung, ob man eine Zielgruppe wolle, die auf Ein-Euro-Shops abfahre oder nur noch auf Gucci und Dior. Oder ob man nicht eher auf den „gesunden Mittelstand“ setze, der nicht ganz abgehoben sei und auch in Meersburg übernachten wolle. Er sehe da in Corona auch eine Chance, aus der man etwas lernen könne.
Scherers Credo: „Du stellst dich in einer Krise neu auf und nicht nach der Krise. Danach haben wir den Zug verpasst.“ Die Aufstellung eines Tourismuskonzepts, das die Verwaltung aus eigener Kraft nicht stemmen könne, benötige etwa ein halbes bis Dreivierteljahr, rechnet Scherer. Wenn‘s gut laufe, sei man dann für die Zeit nach Corona gut aufgestellt. Allerdings hat der Gemeinderat in seiner letzten Sitzung 2020 die Entscheidung über die Beauftragung eines solchen Konzepts aufs kommende Jahr verschoben.
- Standortförderung: Tourismus spielt in Meersburg eine zentrale Rolle, aber nicht die einzige. Deshalb will die Stadt eine Wirtschaftsfachkraft für die neue Vollzeitstelle für Standortförderung, die Anfang 2021 ihre Arbeit antreten soll. Die Stelle, die direkt beim Bürgermeister angesiedelt ist, sei „für uns, den Einzelhandel, die Gastronomie, die Wirtschaft elementar wichtig“, so Scherer. Zu ihrem Aufgabenbereich zählten auch Punkte wie Leerstandmanagement und Social Media, vor allem aber: Netzwerken.
Um Meersburg neu aufzustellen, sei das Zusammenspiel von Bürgerbeteiligungsprozess, Tourismusneuaufstellung und Standortförderung essenziell, sagt Scherer. Er verspricht sich davon eine Verbesserung der Infrastruktur, der Aufenthalts- und Lebensqualität. Klar, das seien Schlagworte, die für alle Kommunen gälten. Aber: „Nur wir sind mit 6000 Einwohnern so bekannt und deshalb anders aufgestellt.“
- Baupolitik: Soeben hat Meersburg „baulandpolitische Grundsätze“ verabschiedet, die bezahlbaren, dauerhaften Wohnraum fördern sollen. Bebaubare städtische Flächen gibt es allerdings kaum, „momentan den Sommertalparkplatz“, sagt Scherer. Der Prozess für dessen mögliche Bebauung werde aber mindestens fünf Jahre dauern. Die Ausarbeitung eines Konzepts dafür hat der Rat bereits beauftragt.
Für die Fortschreibung des Regionalplans hatte Meersburg Potenzialflächen für Bebauung beantragt. Zwar seien im jetzt vorliegenden Planentwurf nicht alle Wünsche berücksichtigt worden, „aber wir können uns nicht beklagen“ angesichts der rigiden Vorgaben des Landesentwicklungsplans. In den Entwurf aufgenommen wurden die beantragten Flächen im Gewerbegebiet Toren sowie am San-Gimignano-Weg.

Weist die Stadt neue Wohnbauflächen aus, muss künftig – bei Vorhaben mit über 300 Quadratmetern Geschossfläche – auf 30 Prozent der Geschossfläche geförderter Wohnungsbau mit einer Bindungsdauer von mindestens 25 Jahren entstehen. Außerdem verlangt die Stadt ein Belegungs- und Benennungsrecht im Umfang von einer Mietwohnung je zehn neu ermöglichter Wohneinheiten. Bauvorhaben in diesen Größen würden sicher nicht allzu oft vorkommen. „Aber Investoren werden sensibilisiert für das Thema“, erklärt Scherer.
Meersburg kann flächenmäßig nicht groß expandieren
Außerdem hofft er in puncto Wohnbauförderung auf Drittmittel von Bund und Land. Letzteres forciere das Zweckentfremdungsgesetz, was Scherer gut findet. „Wir brauchen dieses Instrument, wir sind keine Kommune, die flächenmäßig expandieren kann.“ Und vielleicht müsse man sich auch mal mit dem Gedanken anfreunden, „dass irgendwo ein Geschoss mehr draufkommt“. Ferner bestätigt Scherer, dass die Stadt, wie angekündigt, ein Beratungskonzept für sanierungsinteressierte Hauseigentümer in der Altstadt in Arbeit habe.
Scherer betont, er sei dem Land sehr dankbar, dass Meersburg nahtlos von einem Stadtsanierungsprogramm ins nächste aufgenommen worden sei. Auch sonst habe man einiges an Förderung erhalten. Scherer hebt besonders die Zuschüsse für E-Mobilität und die Aufnahme in das Versuchsprojekt für einen emissionsfreien Lieferverkehr hervor. Auch dass Meersburg vom Land als Eröffnungsort für den Tag des offenen Denkmals 2021 ausgewählt wurde, freue ihn sehr.

Mobilität und Infrastruktur anzugehen, sei ihm ganz wichtig, hebt Scherer hervor. Er freue sich, dass 2021 der dritte Abschnitt des Breitbandausbaus starte, der die letzten „weißen Flecken“ abdecken soll. Was den anvisierten Aufzug angeht, der die Unter- mit der Oberstadt verbinden soll, hoffe er, „dass wir in ein bis zwei Jahren sagen können, dass er kommt“.
Standort für Aufzug soll Ende 2021 feststehen
Ende 2021 sei man hoffentlich so weit, dass der Standort feststehe. Damit sei der Aufzug natürlich noch lange nicht finanziert. Aber es gebe jetzt eine Perspektive nach 100 Jahren Diskussion. „Wenn wir das hinkriegen, wäre das ein richtiger Meilenstein in meiner ersten Amtszeit.“
Das von ihm angeregte Bürgermobil liege derzeit wegen Corona allerdings auf Eis, sagt Scherer auf Nachfrage. „Da hat uns Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht.“ Doch, Stichwort: Corona: „Ich bin stolz auf die Meersburgerinnen und Meersburger, das Miteinander funktioniert.“ Scherer hebt besonders die Nachbarschaftshilfe hervor, die Anja Adam startete und die Lebensmittelspendenaktion, die Bärbel Endress von der Narrenzunft initiierte. Auch die Eröffnung des Wasserspielplatzes, für den der Verschönerungsverein 10 000 Euro spendete, zählt Scherer zu den Pluspunkten. Und man sei dabei, alle Spielplätze aufzufrischen.

Der Bürgerbeteiligungsprozess habe die Leute ebenfalls ein bisschen zusammengeschweißt. Ein Miteinander funktioniere natürlich nur beidseitig. „Wenn mich jemand anspricht oder anschreibt, reagiere ich, solange sich nicht jemand total im Ton vergreift“, sagt Scherer. Die Verwaltung habe sich auch bei Corona „nicht weggeduckt, sondern versucht, alle Informationskanäle zu nutzen“.
Auf großes überregionales Medieninteresse war im Sommer die unkomplizierte Lösung des Bauhofs gestoßen, die Liegewiese per Streuwagen zwecks Abstandhaltung in Quadrate aufzuteilen. „Ich halte kreative Lösungen für richtig und fordere sie auch ein“, so Scherer. „Dem Vorurteil, dass Verwaltungen nicht kreativ sein können, widerspreche ich.“

So fällt wegen Corona zwar auch der klassische Neujahrsempfang aus, doch eine digitale Variante will die Stadt etwa auf ihrem Youtube-Kanal ins Netz stellen. „Wir können sehr gut mit sozialen Medien arbeiten und bekommen auch ein gutes Feedback von einem breiten Altersspektrum“, etwa auch auf das in diesem Jahr neu etablierte „Bürgermeister-TV“.